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«Hast du keinen Beißring?«

«Den gibt's nur bei größeren Operationen. Das hier zählt nicht. «Sie warf die Watte weg und griff nach einem Pflaster.»Sag mal, Cherokee, woher bist du eigentlich heute Abend gekommen? Doch bestimmt nicht aus Los Angeles. Du hast ja gar kein — hast du Gepäck?«

«Aus Guernsey«, antwortete er.»Ich bin von Guernsey rübergeflo- gen. Als ich heute Morgen gestartet bin, dachte ich, ich könnte alles heute erledigen und am Abend zurück sein. Darum hab ich nichts mitgenommen. Aber dann habe ich fast den ganzen Tag am Flughafen gehockt und auf besseres Wetter gewartet.«

Deborah fragte:»Alles?«

«Was?«

«Du sagtest, du wolltest alles heute erledigen. Was heißt alles?«

Cherokees Blick glitt zur Seite. Nur einen Moment, aber es reichte, um Deborah zu erschrecken. Als er gesagt hatte, er habe ihre Adresse von seiner Schwester, hatte Deborah angenommen, China habe sie ihm in den Staaten gegeben, vor seiner Abreise, nach dem Motto:»Ach, du fliegst nach London? Dann schau doch mal bei Deborah vorbei!«Doch bei genauerer Überlegung musste sie einsehen, dass dies in Anbetracht der Tatsache, dass sie seit fünf Jahren keinen Kontakt mehr mit Cherokees Schwester hatte, reichlich unwahrscheinlich war. Wenn also Cherokee mit ihrer Adresse in der Tasche und der ausdrücklichen Absicht, die amerikanische Botschaft aufzusuchen, Hals über Kopf von Guernsey nach London gekommen war, ihm selbst aber offensichtlich nichts fehlte.

«Cherokee«, sagte sie,»ist China was passiert? Bist du darum hergekommen?«

Er sah sie unglücklich an.»Sie ist verhaftet worden«, sagte er.

«Mehr habe ich ihn nicht gefragt. «Deborah hatte ihren Mann unten in der Küche entdeckt, wo er, umsichtig wie stets, Suppe aufgesetzt und den Toaster eingeschaltet hatte. Der zerschrammte Küchentisch, an dem Deborahs Vater im Lauf der Jahre Tausende von Mahlzeiten zubereitet hatte, war für eine Person gedeckt.»Ich dachte, es ist besser nach dem Bad. da kann er sich erst ein bisschen erholen. Ich meine, bevor er uns erklärt — wenn er uns überhaupt etwas erklären will. «Sie hatte ein schlechtes Gewissen und versuchte, sich einzureden, dass dafür kein Grund bestand. Freunde kamen und gingen, das war etwas ganz Normales im Leben. Aber sie war diejenige, die irgendwann aufgehört hatte zu schreiben. Weil China River zu einem Abschnitt von Deborahs Leben gehörte, den Deborah am liebsten vergessen wollte.

Simon, der mit einem Holzlöffel die Tomatensuppe umrührte, warf ihr einen Blick zu. Er schien ihr Widerstreben, mit Cherokee zu sprechen, als Furcht auszulegen, denn er sagte:»Es kann etwas ganz Simples sein.«

«Was kann an einer Verhaftung simpel sein?«

«Ich meine, nichts Weltbewegendes. Ein kleiner Verkehrsunfall. Ein Missverständnis im Supermarkt, das wie Ladendiebstahl aussieht. Etwas in der Art.«

«Er wollte bestimmt nicht wegen eines Verdachts auf Ladendiebstahl zur amerikanischen Botschaft, Simon. Außerdem würde sie so was niemals tun.«

«Wie gut kennst du sie denn?«

«Ich kenne sie gut«, erwiderte Deborah und fühlte sich veranlasst, es gleich noch einmal mit Nachdruck zu wiederholen.»Ich kenne China River wirklich gut.«

«Und ihren Bruder? Cherokee? Was ist das überhaupt für ein Name?«

«Der, den er bei seiner Geburt bekommen hat, nehme ich an.«»Die Eltern stammen wohl aus der Sergeant-Pepper-Generation?«

«Hm. Die Mutter hatte eine radikale Ader. Sie war so eine Art Hippie — nein, warte, sie war Umweltschützerin. Richtig. Das war, bevor ich sie kennen lernte. Sie hat Bäume besetzt.«

Simon warf ihr einen schrägen Blick zu.

«Um zu verhindern, dass sie gefällt werden«, erklärte Deborah.»Und Cherokees Vater — die beiden haben verschiedene Väter, weißt du — gehörte auch zu den Umweltschützern. Hat er nicht.?«Sie überlegte.»Doch, ich glaube, er hat sich an Eisenbahnschienen gekettet. irgendwo in der Wüste.«

«Ebenfalls, um sie zu schützen, nehme ich an? Sie sind ja mittlerweile tatsächlich vom Aussterben bedroht.«

Deborah lächelte. Der Toast schoss in die Höhe. Peach war da wie der Blitz, in der Hoffnung, es werde etwas für ihn abfallen, wenn Deborah die Brote strich.

«Cherokee kenne ich eigentlich gar nicht so gut. Lange nicht so gut wie China. Ich habe ihn fast immer nur bei Familienbesuchen gesehen. Wenn wir zu Weihnachten oder Neujahr oder so zu Chinas Mutter gefahren sind. Sie lebte in — warte mal, die Stadt hatte den Namen einer Farbe.«

«Einer Farbe?«

«Rot, Grün, Gelb. Ach ja, Orange. Sie wohnte in einem Ort namens Orange und hat immer fürchterliches Zeug gekocht — Tofutruthahn, schwarze Bohnen, braunen Reis, Algenpastete, wirklich grauenvoll. Wir haben uns jedes Mal große Mühe gegeben, wenigstens ein bisschen was runterzuwürgen, bevor wir unter irgendeinem Vorwand verschwunden sind, um uns ein Restaurant zu suchen. Cherokee kannte einige höchst dubiose, aber durchweg preiswerte Spelunken.«

«Na, das ist doch schon mal was wert.«

«Wie gesagt, ich kenne ihn eigentlich nur von diesen Besuchen. Insgesamt habe ich ihn höchstens — hm, zehnmal gesehen. Einmal kam er nach Santa Barbara und verbrachte ein paar Nächte auf unserem Sofa. Zwischen ihm und China bestand damals so eine Art HassLiebe. Er ist älter, aber er benahm sich immer wie der Kleine, und das ärgerte sie maßlos. Andererseits tendierte sie dazu, ihn zu bemut- tern, und das ärgerte ihn maßlos. Die Mutter der beiden — na ja, wirklich mütterlich war die nicht.«

«Hatte wohl zu viel mit den Bäumen zu tun?«

«Und mit tausend anderen Dingen. Sie war da und doch nicht da. Das verband China und mich. Neben der Fotografie. Und anderen Dingen. Die Mutterlosigkeit. «Deborah bestrich den Toast mit Butter, ohne Peach zu beachten, der hoffnungsvoll seine feuchte Schnauze an ihren Fuß drückte.

Simon drehte das Gas unter dem Suppentopf herunter und sah, an den Herd gelehnt, seine Frau an.»Das waren harte Jahre«, sagte er gedämpft.

«Tja. Hm. «Sie zwinkerte einmal und lächelte schnell.»Aber irgendwie haben wir uns durchgekämpft.«

«Ja, das ist wahr«, bestätigte Simon.

Peach hob mit gespitzten Ohren den Kopf. Alaska, die große graue Katze, die bisher faul auf dem Fensterbrett gelegen und die Regenbäche an der Scheibe beobachtet hatte, richtete sich auf und streckte sich genüsslich. Die scharfen Augen waren auf die Souterraintreppe neben dem altmodischen Küchenbüfett gerichtet, auf dem die Katze häufig ihr Nickerchen zu machen pflegte. Einen Augenblick später knarrte oben die Tür, und der Hund bellte kurz. Alaska sprang vom Fensterbrett und verschwand in der Speisekammer.

Von oben ertönte Cherokees Stimme.»Debs?«

«Wir sind hier unten«, antwortete Deborah.»Wir haben dir eine Suppe und Toast gemacht.«

Cherokee kam in die Küche. Er sah wieder einigermaßen menschlich aus. Zwar war er etwas kleiner als Simon und athletischer gebaut, aber Simons Schlafanzug und Morgenrock passten ihm gut, und er fror auch nicht mehr. Seine Füße allerdings waren nackt.

«Ach, ich hätte an Hausschuhe denken sollen«, sagte Deborah.

«Das geht schon so«, erklärte Cherokee.»Ihr wart klasse. Vielen Dank. Ich meine, so wie ich hier reingeplatzt bin, das war ja nicht gerade eine freudige Überraschung. Es ist total nett von euch, dass ihr mich aufgenommen habt. «Er nickte Simon zu, der den dampfenden Topf zum Tisch trug und die Schale mit Suppe füllte.

«Hör mal, das ist ein denkwürdiger Tag«, sagte Deborah.»Simon hat tatsächlich einen Karton Suppe aufgemacht. Sonst nimmt er immer nur Dosen.«

«Vielen Dank«, sagte Simon.

Cherokee lächelte, aber er sah todmüde aus, wie man eben aussieht, wenn am Ende eines schrecklichen Tages alle Energie aufgebraucht ist.