Zoran sitzt auf der Treppe vor Meister Stankovskis Frisörladen und starrt auf ein Foto zwischen seinen Händen. Zoran mag die Prinzessinnen unter den Mädchen — langes Haar müssen sie haben, blass und schlank müssen sie sein, und stolz. Wie die Frau auf dem Foto. Und wie Ankica, Zorans Ankica mit den schwarzen Locken.
Ich setze mich neben ihn und reiche ihm die Tüte mit den Sonnenblumenkernen. Zoran ist drei Jahre älter als ich, und ich darf gelegentlich etwas für ihn erledigen. Heute musste ich mit seiner Ankica reden. Ich musste mich bei Zorans Ankica für Zoran entschuldigen.
Obwohl der Laden geschlossen bleibt, muss Zoran auch heute ran. Er soll Meister Stankovski beim Packen helfen, weil der ein paar Tage in Urlaub fährt. Urlaub — ja, klar, sagte Zoran, als ich ihn heute Morgen zum ersten Mal traf, und zog mit dem Zeigefinger die Haut unter seinem Auge nach unten.
Natürlich, sagte ich und machte dasselbe.
Sonst kehrt Zoran das Haar zusammen, poliert die Spiegel und reinigt mit winzigen Bürsten die beiden Panesamig-Rasierer. Meister Stankovski behauptet, die seien besser als Panasonic — schärfer und billiger, und Hand aufs Herz: woher sollen Japaner auch wissen, was Bärten gut tut?
Sieht meine kleine Österreicherin nicht wie Ankica aus? fragt Zoran, als ich ihm die Sonnenblumenkerne reiche und wischt unsichtbare Staubkörner von dem zerknitterten Schwarz-Weiß-Bild.
Ihre Augen kommen mir bekannt vor, nicke ich und sehe mir die junge Frau mit den langen Locken und einer weißen Kleidglocke genauer an. Ich habe das Foto schon oft gesehen, Zoran zeigt es immer, wenn er von Österreich oder von Mädchen schwärmt.
Die gucken da alle so, sagt Zoran und die Prinzessin mustert uns streng, kannst du dir das vorstellen — ein Land, in dem alle Mädchen so gucken? Irre!
Du, Zoran, sage ich, die guckt ja wie Bruce Lee …
Ganz genau, gibt er verträumt und gar nicht überrascht zurück, die Österreicherinnen gucken alle wie Bruce Lee. Haben aber schöneres Haar und diesen Hals …
Wir schweigen beide und sehen uns das Foto an. Diesen Hals! Zoran riecht an den Sonnenblumenkernen. Es ist nicht schwer mit Zoran zu schweigen, denn es ist nicht leicht, mit ihm zu reden. Ihn interessieren nur Bücher, Prinzessinnen, allen voran Ankica, Österreich und sein Vater, das Walross. Immer steckt ein Buch hinten in seiner Jeanstasche, die Jeans ist ausgewaschen, auf seinen Turnschuhen ein weißer Stern.
Grissgott, flüstert er zu dem Foto und küsst die Ecke, in der in geschwungenen Buchstaben Hissi oder Sissi zu lesen ist. Grissgott, kiss die Hand, scheene Frau! Zorans Lippen sind leicht vorgeschoben, wenn er Österreichisch spricht, gespitzt für einen kleinen Kuss. Kiss die Hand, hibsche Frau, kiss die Hand! Kung Fu!
Zoran lehnt sich nach hinten auf die Stufen und kneift die Augen zusammen. Die Sonne steht tief, kaum jemand ist auf der Straße zu sehen. Mit Zoran schweigen ist auch deswegen leicht, weil man nie weiß, wie man ihm eine Frage stellen soll.
Wo warst du so lange? fragt er mich, und spuckt eine Schale im hohen Bogen auf die Straße.
Kurz zu Hause. Meine Alten haben gestritten, ich habe an der Tür gelauscht.
Wer war schuld?
Ging nicht um sie. Ging darum, dass alle wegfahren. Und um die Lage. Lage, Lage, Lage … Was sich anbahnt, was man tun soll und so.
Hm. Zoran knackt einen Kern zwischen den Zähnen, legt das Foto auf die Treppe und fährt sich mit der Hand durch das Haar. Was bahnt sich denn an?
Keine Ahnung, da hat meine Alte die Tür aufgerissen.
Hm.
Wenn ich mit Zoran rede, nenne ich meine Eltern» die Alten«. Wir schweigen wieder, man hört nur das Knacken und das Spucken. Ein Spatz landet vor den Schalen.
Ich habe es ihr ausgerichtet, sage ich, nachdem die Stille etwas zu still wird. Zoran blinzelt in die Sonne. Wir waren allein, wie du gesagt hast, ich habe ihr dann einfach erzählt, so und so ist es.
So und so ist es, wiederholt Zoran.
Ja, dass es dir Leid tut. Dass du dich entschuldigst. Ja, und dass es nicht wieder vorkommen wird …
Wie sah sie aus?
Was?
Wie sah meine Ankica aus?
Ja, hm, so wie immer, Locken und Augen und all das. Sie hat gesagt, du hättest schon die ersten beiden Male versprochen, dass es nicht mehr vorkommen wird. Sie hat gesagt, dass sie dich hasst und nie wieder sehen will. Sie hat gesagt, du sollst gefälligst keine Zwerge zu ihr schicken, wenn du mit ihr reden willst, das sei fast schlimmer als deine Unbeherrschtheit. Das fand ich wiederum nicht so gut von ihr.
Sie hat nicht Unbeherrschtheit gesagt. Zoran schüttelt den Kopf und schnippt eine Schale weg.
Sie hat Ohrfeigen gesagt, das hat sie gesagt. Es reicht, hat sie gesagt, du machst sie nicht mehr froh.
Dreimal hat Zoran seine Ankica schon geohrfeigt. Seine Ankica, von der jeder weiß, dass sie seine Ankica ist und dass Zoran Ankicas Zoran ist. Beim ersten Mal soll er zu ihr gesagt haben: das ist dafür, dass man mir etwas genommen hat, das ich niemals zurückbekomme.
Du solltest dich wirklich selbst bei ihr entschuldigen, Zoran, sage ich, und es ist mir peinlich, so etwas sagen zu müssen. Ich habe es in einem Film gehört, da klang es aber tausendmal besser und es ging um einen Detektiv, der lange Zeit die Falsche gejagt hatte.
Zoran steht auf und stützt sich bequem auf das Geländer. Er sieht sich wieder das Foto an.
Warum schlägst du sie wirklich? frage ich ihn. Ich traue mich nicht, ihn auf seinen Teil der Abmachung anzusprechen.
Nach der Schule, sagt Zoran zum Foto, fahre ich in dieses Österreich. Und morgen gibt es für meine Ankica Rosen. Merk dir eins, Aleksandar: Blumen sind nicht einfach Blumen. Meine Ankica wird mitkommen, dann brauche ich keine Österreicherinnen, da können sie Bruce-Lee-Augen machen, so viel sie wollen. Servus, junges Frolein, Servus … Er verstaut das Foto in die Hemdtasche, sagt: so musst du dir nämlich dein Mädchen vom ersten Tag an halten, dann kann dir das, was meinem Vater passiert ist, niemals passieren:
Wann Blumen Blumen sind, wie Mister Hemingway und Genosse Marx zueinander stehen, wer der wahre Tetrismeister ist und wofür Bogoljub Balvans Schal sein Gesicht herhalten muss
An diesem Sonntag kamen Vater und ich aber schon am Morgen zurück nach Hause, sechs Stunden früher als geplant. Die Tür stand offen, offen stand auch der Reißverschluss von Bogoljub Balvan, dem Trafikanten. Meine Mutter kniete vor Bogoljub, das Haar zerzaust, als wäre sie gerade aufgewacht, dann aber hätte sie zumindest ihr Nachthemd angehabt. Sie streichelte die Trafikantenschenkel und schob den Kopf wie ein Huhn vor und zurück.
Der Blumenstrauß klemmte zwischen Vaters Hand und der Sporttasche, die Stängel platt gedrückt, aber Blumen sind Blumen. Ich sah ihn an, wollte, dass er mir dieses Huhn und diesen Trafikanten erklärt. Er ließ den Strauß fallen, die Tasche auf den Strauß. Noch hatten Mutter und Bogoljub uns nicht bemerkt. Vater führte seine Schiedsrichterpfeife zum Mund und pfiff. Die beiden erschraken, Mutter biss die Zähne zusammen, Bogoljub brüllte auf vor Schmerz. Sie machte sich vom Trafikantenschoß los, wischte sich über den Mund und taumelte auf Vater zu. Gott hilf mir, Milenko! flehte sie mit Strähnen in der Stirn und riss Omas gehäkelte Decke vom Tisch, um sich zu bedecken. Die Blumenvase kippte und das Wasser ergoss sich über die Tischplatte, Blumen sind Blumen — Rosen aus Bogoljubs Trafik.
Moment mal, murmelte Vater und sprang auf sie zu. Kraftvoll streckte er den Arm aus: Offensivfoul. Mit der Faust deutete er ihr — bis dorthin und keinen Schritt näher. Auf dem Boden neben Bogoljubs Füßen lagen zwei Bücher. Moment mal, liegen dort Marx und Hemingway nebeneinander?
Bogoljub Balvan riss die Augen auf. Maria, Mutter Gottes! winselte er, trippelte zwischen» Das Kapital «und» Der alte Mann und das Meer «und zog an seinem Reißverschluss. Heiligemuttergottes, piepste er und pustete auf die immer noch schmerzende Stelle im Schritt, Maria, mein Seelenheil, mach, dass er nicht klemmt!