Aber der Reißverschluss klemmte, also verfluchte Bogoljub den Namen der Gottesmutter, der heiligen Gottesmutter aller Reißverschlüsse und ließ Vater keine andere Wahl, als loszudonnern, dass es die ganze Nachbarschaft und die halbe Stadt hören und niemals vergessen würde: Fick doch die Sonne, Dragica! Hab ich uns das Haus mit diesen meinen Händen hingestellt, damit du darin herumhurst? Hab ich uns das Regal gezimmert und die Bücher ausgesucht, damit sich ein Trafikantenarschloch am Genossen Marx und an Mister Hemingway reibt? Lass sofort die Tischdecke los, hörst du! Den Fleiß deiner eigenen Mutter beschmutzt du! Und du, Bogoljub, kennen wir uns seit den Pionieren, damit du in meinem Haus den Pionierschwur der Freundschaft brichst und mich beschämst und erzürnst, indem du meiner Dragica den Mund stopfst, sie zu einer Ehebrecherin machst? Hab ich dir damals das Geld für die Trafik geliehen, ohne einen einzigen Dinar Zins zu verlangen, damit du in meinem Haus reaktionär und gläubig wirst und dich mit deinem Schwanz in solche Schulden stürzt, die du in diesem Leben nicht mehr zurückzahlen kannst? Fick doch die heilige Trafikantenmutter! Raus hier! Beide! Und wenn euch euer Leben lieb ist, stellt ihr die Bücher ins Regal zurück!
Mutter räumte zitternd die Klassiker ein und sammelte ihre Kleidung auf. Bogoljub hatte immer noch alle Hände voll zu tun und half ihr nicht. Er hob die Schultern und schluchzte kaum hörbar: ich wollte ja gar nicht … Wir haben nur …
Moment mal! Vater riss sich das Hemd vom Leib und sah zum flimmernden Fernsehbildschirm. Unser C-64 lag auf dem Boden, Kabelsalat, zwei Joysticks, Salzstangen, Zahnstocher in Käsestückchen auf Vaters Lieblingsteller, dem mit den kleinen Basketbällen. Das Momentmal war kaum verklungen, da hatte Vater auch schon Bogoljub derart eine gehemingwayt, dass es den Trafikanten kapital gegen das Regal drehte.»Tito — Die Partei, Teil 2«und» Also sprach Zarathustra «fielen heraus, was nebeneinander keine so große Tragödie ist. Mutter räumte auch sie winselnd ein und Vater zeigte dem Fernseher ein technisches Foul an: Moment mal … habt ihr Tetris gespielt?
Die Highscoreliste war zu sehen: Bogoljub belegte die Plätze eins bis drei. Er hatte seine Resultate mit BOG unterschrieben — Gott —, und Vater griff hinter das Regal und lud die Flinte. Habt ihr in meinem Haus meine Rekorde gebrochen? Er schloss das linke Auge und zielte tief. Mutter und der Trafikant rannten panisch aus dem Haus. Vater sicherte die Flinte und lehnte sie gegen das Bücherregal. Er hob die Hände vors Gesicht, drehte und besah sie, als wunderte er sich, so etwas wie Daumen oder Nägel oder Schicksalslinien zu besitzen. Dann setzte er sich vor den Fernseher und spielte bis spät in die Nacht Tetris, im Unterhemd, ohne ein Wort zu sagen oder sich die Hände zu waschen, wie er es sonst immer tat, wenn er nach den Spielen nach Hause kam, und bevor er Mutter und mich umarmte.
Ich aß die restlichen Rippchen, sie schmeckten nach Erde. Ich zerrupfte die Blumen: Ankica liebt mich, liebt mich nicht, liebt mich und liebt mich. Auf meine Fragen kam von Vater keine Antwort. Ich machte mich über die Salzstangen und den Käse her. Vater aß nicht, sprach nicht, stapelte Steine und polierte zwischendurch die Flinte, bis das Eisen glänzte. Um Mitternacht machte er mit 74 360 Punkten alles klar — MIL MIL MIL, hieß es auf den ersten drei Plätzen.
Gott, sagte Vater, ist tot.
Bring alles her, Zoran, ein Glas brauche ich nicht. Er zog sich bis auf die Unterhose aus, und ich brachte ihm Schnaps, Brandy und Wein, sah eine Zeit lang zu — kippen, absetzen, kippen, absetzen. Da aber ernsthaftes Saufen ohne Gesang und Gesellschaft das Langweiligste auf der Welt ist, schlief ich irgendwann auf dem Sofa ein.
Vater trank, bis die Spatzen loszwitscherten. Dann schulterte er die Flinte, schlenderte durch die Straßen, schoss im Morgengrauen auf die Spatzen und traf keinen einzigen. Er klingelte bei Bogoljub, rief: komm raus, auf dass wir uns wie Brüder küssen! Da sich im Haus aber nichts rührte, schoss er alle Fenster kaputt und die Tür auf, warf das Bücherregal um und schlug mit der Flinte gegen den Fernseher, ohne dass das Glas brach. Also stöpselte er Bogoljubs C-64 ein, legte die Flinte quer über den Schoß und überbot BOGs Tetris-Highscore im ersten Versuch. Dann zündete er Bogoljubs Marx-Gesamtausgabe an, und während die Flammen an Höhe gewannen, kackte er auf den Teppich.
Ich war von den ersten Schüssen aufgewacht und Vater durch die Stadt gefolgt, zuerst allein, später mit einigen älteren Višegradern, die um diese Zeit angeln gingen. Sie knabberten gesalzene Kürbiskerne und wetteten. Auf den Fernseher setzten die wenigsten. Ich setzte zehntausend Dinar auf das Tetristalent meines Vaters — Mutter hatte in der Eile ihren Geldbeutel vergessen — und gewann fünfundvierzigtausend. Und gerade als Vater seine Hose herunterließ und sich in Bogoljub Balvans Flur anstrengte, kamen die beiden Polizisten Pokor und Kodro hinzu, verschlafen, blass und unrasiert. Ihre Uniformen rochen nach gebratener Leber. Sie rauchten. Papa hatte nicht an Toilettenpapier gedacht, aber Bogoljubs Schal hatte eine brauchbare Länge. Er wickelte den gebrauchten Schal um den Fernseher und die Polizisten baten ihn, sich erst mal die Hände zu waschen. So geht das nicht. Eigentum. Mutwillig. Feuer. Geldstrafe. Mitkommen.
Vater hörte sich an, was Pokor und Kodro zu sagen hatten, stützte sich auf die Flinte und gab ihnen in allem Recht. Dann aber erzählte er ihnen ehrlich und traurig, was das Hurenstück in seinem Haus getrieben hat, warum Vertrauensbruch im Brustkorb mehr als Rippenbruch schmerzt, wie viele Spatzen er am Leben ließ, weil der Spatz so eine gemarterte Kreatur ist, und wie viel zu viel, wie lebenslänglich lang er sich dafür schäme, dass die schönen Augen seines einzigen Sohnes diese Schmach sehen mussten.
Die Polizisten nahmen ihre Mützen ab, kratzten sich mit den Schirmen am Nacken, nickten und schüttelten abwechselnd ihre ungekämmten Köpfe. Zum Schluss hob Vater die Schultern und zeigte ihnen seine Handflächen: und sagt ihr mir jetzt noch maclass="underline" so geht es nicht und: Eigentum! Jede Strafe zahle ich, aber mitkommen werde ich nicht, bevor die Rechnung nicht beglichen ist. Das, was mir genommen wurde, bekomme ich niemals so zurück, wie es war. Alles, was ich ihm nehmen werde, ist ersetzbar, also nehme ich ihm viel.
Pokor und Kodro zogen sich zurück in Bogoljubs Küche, frühstückten und berieten sich. Die Angler packten ihre Hocker aus und boten mir Apfelsaft an, aus Kanistern ohne Etikett. Als Pokor und Kodro ihre Mützen wieder aufsetzten und grußlos Kaffee trinken gingen, nickten die Alten zustimmend. Ihre Wette hatten die Polizisten verloren — sie nahmen Vater nicht mit.
Bogoljub hatte geahnt, was ihm blühte. Er war Trafikant mit Leib und Seele, trug immer den gleichen, dunkelroten Overall und konnte alles sofort oder spätestens übermorgen besorgen. Aus der Trafik hatte er gerettet, was er tragen und fahren konnte. Den Rest räumte mein Vater aus. Er schlug die Fensterscheiben ein, warf bis zum letzten Stift alles einzeln von der Brücke in die Drina. Auch Schubladen, Wandregale, Zeitungsständer — alles, was nicht niet- und nagelfest war, landete im Fluss, und später auch das Niet- und Nagelfeste. Niemand hielt ihn auf, mehr als zwanzig Männer sahen zu, wie er als Letztes die Tür aus den Angeln riss und in die Fluten warf.
In der Stadt hatte sich herumgesprochen, was uns im eigenen Haus zugestoßen war. Man reichte Vater Schnaps und Lauch, Amela brachte ihm warmes Brot und Salz, Amela backt das beste Brot der Welt. Mir tätschelten alte Männer den Kopf und sahen aus, als müssten sie weinen und fluchen zugleich. Betrunken wie er war, nahm mich Vater zur Seite und sagte nur: Zoran, ich fahre jetzt weg. Du bleibst bei Tante Desa. Ich komme zurück, ich muss uns aber erst alles neu besorgen.»Das Kapital «für mich und eine Mutter für dich. Er steckte mir zweihundert D-Mark in die Hemdtasche und griff mir zum Abschied in den Nacken. Mit dem Auto donnerte er zweimal gegen die Trafik, dann fuhr er hupend aus der Stadt.