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Im Fenster am Flurende hängt die Nacht. Draußen brummen die Motoren und singen die Soldaten. Čika Hasan sagt: die ziehen weiter nach Westen ins Landesinnere, theoretisch. Čika Sead ist nicht mehr da, um zu widersprechen.

Die Bräutigame im Haus sind nicht mehr in Feierlaune, müde spazieren sie über und zwischen und unter uns. Einer singt das fröhliche Lied, alle kennen es, er singt allein und schläft dabei ein. Mit einer Plastiktüte und einem Topf kommen zwei neue Soldaten auf unser Stockwerk, der eine zeigt schiefe Zähne und steckt dem schlafenden Sänger den Finger ins Ohr. Aus der Tüte holt er Brot, Salz und Bier. Packt aus der Alu-Folie zwei gebratene Hühnchen. Aus dem Topf dampft es, gekochte Kartoffeln. Große Messer mit schartiger Klinge und Kerben im Griff: Teller brauchen die nicht.

Alle Türen im fünften Stock stehen offen oder liegen auf dem Boden — man muss über die Tür laufen, um in eine Wohnung zu kommen. Čika Sead hat dort gewohnt, wo zwei Soldaten jetzt hineingehen. Die Tischbeine scharren übers Parkett, und der Tisch passt doch nicht durch den Türrahmen. Da stehen die Soldaten, zwei drinnen, einer draußen, was jetzt? Der mit dem größten Hunger nagt schon am Hühnerbein, im Stehen. Die beiden in Čika Seads Wohnung setzen sich an den Tisch, einer setzt sich vom Flur aus dran. So wird das gemacht, Soldaten bohren die Finger ins Fleisch, spießen es auf die schartigen Messer, essen das Fleisch von den Messerspitzen.

Alle zwei Minuten erlischt das Licht im Treppenhaus. Für Sekunden verhüllt die Dunkelheit das Warten. Nicht genug Zeit, um Konturen zu erfassen. Sofort knipst jemand das Licht wieder an. Jede Dunkelheit ist ein kleines Verschwinden, eine kleine Genesung. In einer solchen dunklen Sekunde flüstert Asija: vergiss mich nicht! Das Vergessen kitzelt an meinem Ohrläppchen, ich weiß nicht, warum sie das sagt, warum sie das jetzt sagt, ich weiß nicht, was ich ihr antworten soll. Das Licht lebt wieder, Asija dreht sich das Haar auf den Finger, Tränen haben Adern aus Schmutz über ihre Wangen gezogen.

Wenn die Neonröhren angehen — ein großes Blinzeln jedes Mal, aber kein Aufwachen. Die Soldaten verschwinden nicht, sie ziehen ihre Stiefel aus und sehen sich ihre Zehen an. Das Warten endet nicht.

Asija und ich haben Durst, man lässt uns in Čika Seads Wohnung. Nichts darin ist geschlossen: keine Tür, kein Fenster, kein Schrank, keine Anrichte, keine Schublade — nicht ein einziges Geheimnis gibt es hier noch. Auf dem Teppich liegen Messer und Gabel und Teller und Tassen und Gewürze und ein einzelner großer Schuh, in den jemand Milch gegossen hat.

Ich wasche Asij as Gesicht.

Asija wäscht mein Gesicht.

Als wir wieder im Treppenhaus sind, steht eine Soldatin mit zierlicher Nase, grünen Augen und knallrotem Haar auf unserem Platz neben Čika Hasan und liest ein Buch. Die Pausen, die das Licht einlegt, stören die schöne Soldatin, sie haut gegen den Lichtschalter. Aus einer Wohnung schiebt sie ein Sofa in den Flur und setzt sich direkt unter den Schalter.

Einmal, unmittelbar nachdem die Rothaarige das Licht angeknipst hat, deutet Asija mit einem Kopfnicken auf sie und beginnt flüsternd zu zählen. Bei hundertsiebzehn geht das Licht aus. Die Soldatin haut gegen den Schalter. Das nächste Mal sind wir schneller, flüstert Asija und beginnt wieder zu zählen. Es würde sicher reichen, uns am Schalter bereitzuhalten, um schneller zu sein, aber wir zählen, und können uns für jede gleichzeitig geflüsterte Zahl später etwas wünschen. Bei hundert legen wir die Hände hinter dem Rücken an den Schalter, ich lasse die Rothaarige auf der anderen Flurseite nicht aus den Augen, bei hundertfünf prasselt draußen eine Gewehrsalve, bei hundertelf flüstere ich: solange wir einander nicht verlieren, können wir einander nicht vergessen, bei hundertsiebzehn lacht die Rothaarige laut, die Dunkelheit holt ihre Freude ein, ich nehme Asijas Hand, gemeinsam drücken wir den Schalter. Asijas Strahlen ist in diesem Sieg, da sie vor Glück in die Hände klatscht, heller als jedes Licht. Ruhe da hinten!

Die Soldatin mit dem roten Haar will lesen.

Wie der Soldat das Grammofon repariert, was Genießer trinken, wie wir schriftlich in Russisch stehen, warum Döbel Spucke essen und wie es sein kann, dass eine Stadt zersplittert

Die Mütter geben Wasser in die Kuhlen aus Mehl, die Soldaten einander zum Abschied die Hände, einer mit goldenem Eckzahn fragt: wollen wir nicht alle warten auf warmes Brot, der andere sagt: nein, und zu uns: wir stellen Wachen auf, nach acht verlässt mir keiner das Gebäude, macht euch nicht die Straße zum Grab, es gibt Schöneres. Müde Soldaten boxen schlafenden Soldaten gegen die Schulter, stecken ihnen das Korn ihrer Gewehre in die Nase, aufauf, Abmarsch, auf! Der mit Gold im Mund will keinen Abmarsch jetzt, warmes Brot will der. Aber fester können die Hände den Teig nicht ballen und die Finger doch nicht schneller kneten im Teig, weiß er das denn nicht? Er weiß es nicht, und was bringt es, dass er Amela nach Seife fragt, sich mit Eisenschwamm Lauge in die Hände reibt, selbst die Finger tunkt in den Teig? Seine Arme legt er um Amelas Taille, ihre Hände birgt er in seinen Fäusten, rührt so in der Schüssel. Amela mit den geflochtenen Zöpfen, aber auch Strähnen im Gesicht. Mit Mehl an der erröteten Wange und jetzt besorgt gefurchter Stirn, wenn der Soldat mit seinem Ohr an ihrem Nacken lauscht, unter Amelas geflochtenen Zöpfen den anderen Frauen rät: schließt die Tür, wenn ihr hinausgeht, alle, sofort! Sie schließen die Tür, lehnen an der Wand, reichen einander die Zigarette, spucken auf den Zeigefinger, streichen die Spucke auf die Kippe und die Tränen von den Wangen. Flüstern: Amela, Amela, Amela.

Einen Abend und eine Nacht waren die Soldaten unter uns, sie stürmten das Gebäude und sahen sofort nach, was es in den Schubladen gab. Sie trieben alle in das Treppenhaus, schossen und schimpften gähnend: welcher Idiot muss denn jetzt noch schießen? Weinten doch die Bälger ohne Unterlass, wenn es durch das Treppenhaus gellte und der Putz von der Decke bröckelte. Die Kleinen schrien nach ihren Müttern, obwohl sie ihnen auf den Armen lagen, ihnen im Schoß saßen, sie längst umarmten. Schreie und der feine Putz. Und für Čika Hasan Fesseln am Geländer und der Gewehrkolben im Genick, wo ist dein Sohn, Alter, wo ist die Missgeburt?

Eine Abenddämmerung und einen unruhigen Schlaf lang waren die Soldaten unter uns; sie schliefen auf unseren Laken, im Treppenhaus schliefen wir, die Wachen weckten uns tief in der Nacht, sie spielten zwei gegen zwei mit einem Hühnerknochen im Flur. Ihre Panzer parkten im Hof, ihre Hunde waren namenlos, schlecht gelaunt und kinderlieb.

Abmarsch der Soldaten, während die Mütter Brot backen. Aus Čika Seads Wohnung tritt ein Sieger auf den Flur, zieht den Kopf unter dem Türrahmen ein, kein Helm der Welt passt auf diesen größten Kopf der Welt, er bräuchte eine Wanne. So ein Siegerschädel wiegt zwei eckige Steine schwer, und wenn der Sieger blinzelt, rollt ein Steinschlag aus seinen Augen. Der Sieger schreit seinen Männern und der Soldatin mit dem roten Haar zu: gleich gibt es was, Männer, gleich ist Zeit für Genießer.

Er schleift ein Grammofon hinter sich her, wie eine Gans zum Schlachten hat er es am Trichter gepackt, hebt es über die Schwelle. In seiner Pranke ist der Plattenspieler spielzeuggroß. Gleich! Männer! Čika Seads Grammofon links, die glanzpolierte Kalaschnikow rechts. Gleich, gleich, gleich, hallt es im Treppenhaus, und die Bewaffneten und die Gefesselten horchen. Der Sieger mit dem größten Kopf der Welt setzt den Tonarm auf die Platte, aber nichts geschieht gleich. Was ist das für ein Mut! schreit er und schlägt und tritt auch gleich gegen den Kasten. Männer, ich habs gleich! reißt er an den Knöpfen, legt die Schalter um, rüttelt am Tonarm, nimmt die Platte ins Visier, überlegt es sich und treibt den Lauf in den Trichter.