Karfiol scheut, Karfiol buckelt, Karfiol tritt mit den Vorderbeinen nach dem Soldaten, Karfiol reißt sich los, Karfiol prescht durch das Wasser auf das Ufer zu. Am Ufer stehen drei Soldaten mit Bart und rauchen freihändig, die Gewehre im Anschlag.
Zitternd mache ich einen Schritt vom Fenster weg und halte mir die Ohren zu. Ich stürze rückwärts aus dem Zimmer, packe meinen Rucksack. Edin hilft mir ernst und stumm. Ich schmiere drei letzte Bilder des Unfertigen aufs Papier und verstecke sie mit den restlichen hinter Oma Katarinas Kleiderschrank, neunundneunzig an der Zahl. Emina, weit weg vom Soldaten mit dem goldenen Zahn. Karfiol im Galopp ohne Zäune weit und breit. Pistole, nicht geladen.
Im Treppenhaus begegne ich meinem Vater, er hetzt die Stufen hinauf, nickt mir zu wie einem Bekannten, Schweißflecken unter dem Arm. In jedem Stockwerk rufe ich Asijas Namen und bekomme keine Antwort. Das Gepäck stopfe ich in den Haufen auf dem Rücksitz unseres Yugos, der jetzt, so voll beladen, wie die anderen Autos aussieht, die in den letzten Tagen Višegrad aufgegeben haben. Nena, kriegst du Luft da hinten? Nena Fatima lächelt mich an, und die Tüte mit meinen Malsachen fällt ihr in den Schoß. Ich will den Fußball mitnehmen, Mutter schüttelt den Kopf, und ich passe ihn Edin zu. Vater und Oma kommen aus dem Gebäude, Oma küsst weinend die weinenden Nachbarinnen und bleibt vor einem der Wachsoldaten stehen. Sie mustert ihn von Kopf bis Fuß, steigt auf die Zehenspitzen und zischt ihm etwas ins Ohr. Der Soldat grinst hämisch und zuckt mit den Schultern. Oma zwängt sich auf den Rücksitz neben Nena Fatima.
Edin hat den Ball mit der Sohle gestoppt. Aus seiner Hosentasche holt er ein Stück Kreide und lässt es zwischen den Fingern kreisen. Er wippt auf dem verbogenen Garagentor, in das gestern ein Panzer beim Einparken gedonnert ist. Ein Soldat stieg oben heraus, besah fluchend den Schaden, wischte mit dem Ärmel über das Metall und fuhr wieder weg. Das Tor fiel aus den Angeln, die kleinen Fenster brachen. Edin macht das Geräusch des brechenden Tores nach und schabt mit der Fußspitze in den Scherben. Irgendwie, sagt er, ist die ganze Stadt zersplittert. Haust du jetzt auch ab?
Nur kurz, antworte ich, und muss schlucken.
Wir gehen also doch nie wieder über die Brücke zusammen. Ich wette mit dir, ruft er und winkt schon, dieses Jahr kommt kein Hochwasser mehr. Es kann gar nicht kommen, schreit er, das darf nicht sein, nicht auch noch ein Hochwasser, weint er, wie soll das denn gehen: eine Stadt ohne ihre Menschen und ohne ihre Brücken, von denen wir Fische mit Spucke füttern, wie soll das denn gehen? Sagt er — vielleicht: ich höre ihn nicht mehr, sehe im Rückspiegel, wie er mit der Kreide die Pfosten aufmalt, die Latte so hoch ansetzt, dass er drei Mal die Hand durchschütteln muss. Den Ball volley nimmt, oben links, den Ball aus der Drehung nimmt, Aufsetzer, halbhoch rechts — jeder Schuss ein Treffer, bis der Regen die Kreide verwischt.
Emina auf den Armen durch ihr Dorf getragen,
Ich habe Emina auf den Händen durch ihr Dorf getragen, sagt der Soldat mit Gold im Mund und Teig an den Händen, von Haus zu Haus Eminas Gewicht ernst und ohne viele Worte getragen. Ihre Arme um meinen Hals gelegt, damit sie mir nicht fällt. Schranktüren mit Stiefeln eingetreten, tausend Kleider gesehen, hundert Stoffe berührt, bis ich endlich in einer Truhe aus dunkelstem Kirschholz das Tuch für meine Emina fand. Weicher als Seide und schneeweiß für Eminas weiße Haut und ihr schwarzes Haar. Dieses schönste Tuch und meine schönste Zigeunerin habe ich zum Dorfplatz getragen. Meine Kameraden gaben den durstigen Dorfbewohnern Wasser und karrten sie in die Lastwagen.
Was macht ihr da? schrie ich die Gefährten an, das dürft ihr noch nicht! Eine Schneiderin brauche ich und jemanden, der meiner Braut und mir aufspielt! Ich sang das Lied, und die Kompanie gab mir im Chor Recht. Schneiderinnen ließ ich den Stoff befühlen, hielt das Ende über die Erde, kein Dreck durfte dran, nur Dreck von diesen meinen Händen. Musikanten ließ ich Instrumente aus den Flammen retten: wer legt denn jetzt schon Feuer? Hier wird im Morgengrauen eine Hochzeit gefeiert! Bist du das Akkordeon, von dessen schnellen Fingern alle sprechen, alter Mann? Schneiderin, nähst du Emina aus diesem Stoff ein Kleid, so fein, wie es im Leben noch niemand getragen hat? Alter Mann, gute Schneiderin, wollt ihr eure Leben retten?
Meine Tochter und meinen Enkel lass nur am Leben, flehte der Alte. Meine Schwester und ihre Kleinen lass nur am Leben, flüsterte die Schneiderin und küsste den weißen Stoff. Die Lastwagen fuhren los, und kaum dass sie das Dorf verlassen hatten, ratterten die Gewehre.
Warum schießt ihr so viel? rief ich, als die Kameraden nach fünf Minuten zurückkamen, und schlug dem Fahrer mit der flachen Hand aufs Ohr, nie wieder so! Macht es nie wieder so! Fahrt doch tiefer in den Wald!
Wahnsinniger! schmeichelte mir der Fahrer und schlug zurück, wo ist deine Waffe, Wahnsinniger? Wir werden angegriffen! Und Schüsse und Stellung halten und die Brücke sichern und Zehn auf die Flanke und weg von den Flammen und der Funker und wo sind die schweren MGs und Vladimir nein und raus und Adler bitte kommen wir stehen unter Beschuss und Explosionen und Vladimir und Dule am Boden und Vladimir zuckt und nach hinten durch und eng beisammen bleiben Männer und zurück und Einschläge und der rieselnde Schutt und Blut zwischen den Fingern und lass ihn da — lasst mich nicht da und Rückzug und als die Nacht kommt und die Schlacht endet, rufe ich Eminas Namen in die Dunkelheit und bekomme keine Antwort. Ob sie den Stoff mitgenommen hat? Ob sie mit der Schneiderin und dem alten Musikanten durch das brennende Land zieht? Wir gaben das Dorf auf, und seitdem suche ich meine Emina, und meine Ruhe finde ich nicht.
Der Soldat zupfte den trockenen Teig von seinen Fingern. Er saß mit nacktem, nassen Oberkörper neben dem alten Musa und spielte mit Musas Handschellen. Flüsterte: Emina, Emina, Emina.
26. April 1992
L iebe Asija, wenn mein Opa Slavko noch am Leben wäre, würde ich ihn fragen, wofür man sich jetzt am meisten schämen müsste.
Ich schreibe dir, ich habe dich nicht mehr gefunden, ich habe mich für die Erde geschämt, weil sie die Panzer ausgehalten hat, die uns auf der Straße nach Belgrad entgegenkamen. Mein Vater hupte für jeden Panzer, jeden Jeep und jeden Lastwagen. Hupst du nicht, halten sie dich an.
An der Grenze nach Serbien haben sie uns angehalten. Ein Soldat mit schiefer Nase fragte, ob wir Waffen im Auto hätten. Vater sagte: ja, Benzin und Streichhölzer. Die beiden lachten, und wir durften weiterfahren. Ich verstand nicht, was daran komisch war, und meine Mutter sagte: ich bin die Waffe, die sie suchen. Ich fragte: warum fahren wir dem Feind in die Arme? und musste versprechen, in den nächsten zehn Jahren keine Fragen mehr zu stellen.
Der Regen nahm kein Ende, die Straße war verstopft, immer wieder blieben wir stehen. Einmal liefen maskierte Bewaffnete mit weißen Handschuhen hinter zwei Männern an der Wagenkolonne entlang. Die Männer waren geknebelt, ihre Augen mit einem Tuch verbunden und ich wollte versprechen, das Erinnern in den nächsten zehn Jahren einzustellen, aber Oma Katarina war gegen das Vergessen. Für Oma ist die Vergangenheit ein Sommerhaus mit einem Garten, in dem die Amseln zwitschern und die Nachbarinnen zwitschern und man Kaffee aus einem Brunnen schöpft, während Opa Slavko und seine Freunde um sie herum Verstecken spielen. Und die Gegenwart ist eine Straße, die wegführt von diesem Sommerhaus, unter Panzerketten wimmert, nach schwerem Rauch riecht und Pferde hinrichtet. Beides müsse man erinnern, flüsterte mir Oma auf dem Rücksitz zu, die Zeit, als alles gut war, und die Zeit, in der nichts gut ist.
Asija, wir sind entkommen und unsere Bekannten in Belgrad umarmen uns erst, als wären wir Eichen, dann, als wären wir zerbrechlichstes Glas, und ich wünsche euch allen in Višegrad Entkommen und Umarmen.