Und mein Vater kauft sich jetzt Kautabak und sagt: Kokosnüsse! sagt: ich bin der erste Bosnier, der weiß, wie Kautabak funktioniert, und Mutter sagt: die Jacksonville Jaguars haben diese Saison ein gutes Team. Abends werden andere Bosnier eingeladen. Mothermade Ćevapčići und Supermarkt-Hamburger werden auf der Veranda gegrillt, und die Grillen zirpen, der Asphalt kühlt ab und riecht nach Zimt. Ein gewisser Dino Safirović erzählt, wie er mit seiner Truppe gegen die Serben Fußball zwischen den Schützengräben gespielt hat, wie er den entscheidenden Schuss mit dem Gesicht gehalten hat, seitdem aber keine Verschlusslaute mehr bilden kann. Er erzählt, wie er in einem hohlen Baumstamm Feuer machen wollte, in dem eine Handgranate lag, und meine Mutter sagt, dass sie mich vermisst. Sie kauft slowenischen Wein, und Vater ist der Meinung, unsere Grillen würden den amerikanischen den Arsch versohlen.
Asija, ich wollte deinen Namen im Internet suchen und dabei ist mir aufgefallen, dass ich deinen Nachnamen gar nicht sicher weiß, obwohl ich ihn immer so selbstverständlich auf die Umschläge schrieb. Ich las seitenweise Vermisstenlisten, Asija kam zweimal vor, das hat nichts zu heißen. Ich fand immerhin heraus, was dein Name bedeutet.
Wenn ich nach meinem eigenen Namen suche, bekomme ich einen Treffer.»Sommernachtstraum «im Schultheater. Ich habe Puck gespielt. Puck ist ein Elf, dem sein König den Auftrag erteilt, ihm eine Blume zu bringen, deren Nektar auf den Augen eines Schlafenden dafür sorgt, dass der sich in die erste lebende Kreatur verliebt, die er sieht. Keine so tolle Geschichte, aber Puck kann zaubern. Zwischendrin wird jeder mal geliebt, sogar einer mit einem Eselskopf, und alles darf ein Traum sein, wenn das Publikum es am Ende so beschließt. Asija, ich kann Nazis weismachen, dass ich aus Bayern bin, ich sage: stamme. Ich kann mich auf Kosten der Friesen amüsieren, die sind so ein bisschen wie die Montenegriner bei uns — wenn ihr Reißverschluss heute nicht offen ist, pinkeln sie halt morgen. Ich freue mich für fünf Nationalmannschaften. Wenn jemand sagt, ich sei ein gelungenes Beispiel für Integration, könnte ich ausflippen.
Asiya (Asija) w.
Als arab. Name: heilend, pflegend; Friedensstifterin.
Nach der Überlieferung der Name der gläubigen Frau des Pharaos, die Moses aus dem Nil rettete.
Mein Vater fragt, ob ich wüsste, dass jährlich mehr Menschen von Kokosnüssen getötet werden als von Haien. Coconuts are murderers, sagt er.
Ich beschließe, alles geträumt zu haben.
Herzliche Grüße,
Aleksandar.
Aleksandar, ich möchte das Paket unbedingt — dir — schicken
Habe es allein — für dich — gepackt. Karl und Friedrich und Clara und Tito. Die ganze Bande ist drin. Erinnerst du dich? Du mochtest Karl. Slavkos Parteibuch möchte ich unbedingt dir schicken. Seine Festreden. Seine Aufsätze. Was für eine malerische Handschrift dein Opa hatte! Großbuchstaben wie Ranken! Niemand schreibt ja mehr mit der Hand. Bestimmt tippst auch du alles mit einer Schreibmaschine. Unanständig ist das! Wie soll man durch eine Maschine erfahren, mit wem man es zu tun hat? Oder willst du etwa nur den Lippenstift deines Mädchens küssen? Zeitungsartikel über Opa möchte ich unbedingt — dir — schicken! Du hast auf seinem Schoß gesessen und mit ihm Kreuzworträtsel gelöst! Ach, Slavko und seine Kreuzworträtsel! Was noch? Fotos von Vladimir Iljitsch, Fotos von Tito bekommst unbedingt du. Was ist das hier?» Die Aufgaben der revolutionären Jugend«? Ja, wunderbar! Du bist die Jugend! Ach, die Handschrift deines Opas in den Kreuzworträtseln! Ach, Titos Uniform und wie gut wir es damals hatten, wir Schafe! Ich mochte das ganze Theater drum herum nicht leiden. Meinen Slavko habe ich doch nicht wegen seiner Tagungsprotokolle und seiner Referate geheiratet. Politik umarmt miserabel! Was soll ich noch mit Arbeiterliedern und Clara-Zetkin-Briefmarken und mit Flugzetteln, die erklären, wie man sich zu verhalten hat, wenn Tito in die Stadt kommt? Punkt eins: Schmücken wir unsere Terrassen und stellen wir so viele Grünpflanzen wie möglich aus! Nehmen wir alles andere außer den Grünpflanzen, zum Beispiel Unterhosen, Bettwäsche etc., von den Terrassen! Ja wo gibt es denn so was! Der ist auch gut, Punkt vier: Jeder soll mindestens eine Blume mitbringen, die auf die Straße zu werfen ist, und zwar hundert Meter vor dem ersten Wagen in Titos Kolonne. Auf den Wagen vom Genossen Tito darf auf keinen Fall etwas geworfen werden. Aleksandar, ich habe das alles nie gebraucht und du hast doch bestimmt immer noch Ambitionen dieser Art. Slavko und du seid zwar niemals über das Warenkapitel im» Kapital «hinausgekommen, ohne beide einzunicken, aber du hast daraus ganze Passagen auswendig zitiert. Und deine blaue Mütze und das rote Halstuch hast du sogar dann freiwillig getragen, wenn kein Feiertag war. Auch dann noch, als die Pionieruniform gar nicht mehr Pflicht war, Hände hinter dem Rücken verschränkt, wie es dein Opa immer getan hat. Beim Abschlussfest in der vierten Klasse warst du der Fahnenträger. Die halbe Schule ist hinter dir und der Roten Fahne marschiert. Deine Ohren haben vor Glück und Aufregung geglüht. Die Fahne war riesig. In einer Marschpause wurde ein Gedicht über die Stirn von irgendeinem Kommandanten aufgesagt, da hast du dich hingesetzt und die Fahne auf dem Boden abgelegt. Es gibt ein Foto, wie du dich vor der Fahne ausruhst. Das Foto möchte ich unbedingt — dir — schicken. Sag mal, öffnen die Deutschen immer noch alle Pakete aus Jugoslawien? Überwachen sie uns immer noch? Ich möchte dich nicht in die unangenehme Lage bringen, erklären zu müssen, wozu du das Material brauchst. Slavko sollte eine Rede beim neunten Kongress des BdKJ halten. Neunzehnsiebzig war das und keine kleine Sache. Es ist dann aber leider kein Referent krank geworden. Diese Rede möchte ich unbedingt — dir — schicken. Die Rolle und die Perspektiven von Ehe und Familie im Proletariat! Ach, Slavko und seine Perspektiven! Die Mutterfrage! Die Erziehungsfrage! Die sexuelle Frage! Hochaktuell! Slavko war empört über die Tugendheuchelei der Bourgeoisie! Und ich … ich war seine stolze Genossin! Ach, mein Slavko … Aleksandar, wann heiratest du endlich?
Als alles gut war
von Aleksandar Krsmanović
Mit einem Vorwort von Oma Katarina
und einem Aufsatz für Herrn Fazlagić
Für meinen Opa Slavko
Aleksandar, du warst vier. Du hast bei uns geschlafen. Zwischen Opa und mir. Hattest du so am liebsten. Opa musste früh weg. Parteikomitee. Du hast gequengelt. Du wolltest mit. Er hat dir etwas zugeflüstert. Du bist ruhig geworden. Hast gelacht, gelacht hast du. Deine Mutter ist später zu uns gekommen. Sie wollte mit dir zum Frisör. Sie wusste, dass Opa nicht da war. Sonst nahm er dich immer mit. Und dann kam nichts weg. Den Denkern fallen Haare in die Stirn. So war dein Opa. Mama und ich sind in die Nachbarschaft auf einen Kaffee. Zu Amela. Zeitverschwendung, hast du gesagt. Du bist oben geblieben. Du hast deine kleinen Autos sortiert. Du hast mit ihnen nie richtig gespielt, hast sie immer nur umgeparkt. Zu jedem Auto hast du etwas erfunden. Wo es herkommt. Wer es fährt. Welche Probleme die zickige Fahrerfrau hat. Der Auspuff vom Porsche hat Partisanenlieder geröhrt. Wir sind nach einer Stunde zurückgekommen. Die Autos waren nicht geordnet. Sie lagen einfach da. Du lagst da, vor Slavkos Sofa. Du hast ferngesehen. Der Ton war leise und die Autos nicht in Ordnung. Du hast den Fernseher ausgeschaltet. Du hast dir das Haar aus der Stirn gestrichen. Die Autos lagen herum. Ich habe die Vase sofort gesehen. Dass sie nicht da war, auf dem Fensterbrett. Und nirgendwo sonst. Auch hast du nicht gesaugt. Weil du vor Staubsaugern Angst hattest. Vor Waschmaschinen auch. Die winzigen Scherben im Teppich. Du hast danach nie von der Vase gesprochen. Ich habe danach nie von der Vase gesprochen. Und Opa ist die Vase wahrscheinlich nie aufgefallen. Dass sie nicht mehr da war. Obwohl sie sein Geschenk war. Das wusstest du. Er hat drei Tage lang Blumen für mich gepflückt. Er hat die ganze Wohnung mit Blumen ausgeschmückt. Ich habe nie davor und nie danach so viele Blumen auf einmal gesehen. Und in der Vase war roter Mohn gewesen. Die Autos lagen da. Du hast dich angezogen. Ich habe dich angesehen. Du hast gesagt, dass ihr jetzt zum Frisör geht. Deine Mutter hat sich gewundert. Ich habe nichts gesagt. Ich habe dich nicht auf die Stirn geküsst. Ich habe dir nicht gesagt, dass es am Abend warme Milch geben wird. Du hast immer genau zwölf Minuten gewartet und dann hast du warme Milch getrunken. Ich habe dir nicht gesagt, dass alles in Ordnung ist. Dir nicht gesagt, dass du ein Kind bist. Dir nicht gesagt, dass du unsere Sonne bist und wegen ein paar Scherben keine Angst haben musst. Dir nicht gesagt, wie ich mich freue, wenn du zwischen Opa und mir schläfst. Und dir nicht gesagt, wie ich mich freue, dass du jeden Tag mit fünf Fragen beginnst. Bevor du uns guten Morgen wünschst, fünf Fragen. Was hast du bloß immer in deinen Träumen gemacht? Ich habe dir nicht gesagt, dass alles gut ist. Ihr seid gegangen. Ich habe die Milch aufgesetzt. Ich habe deine kleinen Autos umgeparkt. Den Ferrari nach vorne gestellt. Sein Fahrer ist ein Wüstennomade mit einem sehr kranken Großvater. Der liegt in einem Zelt in einem blockfreien afrikanischen Staat. Mit schwacher Stimme sagt er zu seinem Enkeclass="underline" meine Sonne, ich sterbe bald, habe aber einen letzten Wunsch. Es gibt einen fernen Ort, da ist das Wasser fest. Du kannst es werfen wie einen Stein. Hältst du den Stein lang genug in der Hand, verwandelt er sich in weiches, kaltes Wasser. Bevor ich sterbe, will ich einmal einen solchen Stein trinken. Bring ihn mir, meine Sonne. Seitdem irrt der junge Nomade in seinem Ferrari durch die Welt und sucht einen Weg, seinem Opa Steinwasser in die Wüste zu bringen. Deine Geschichte aus einer Zeit, als niemand dachte, dass nichts in Ordnung war. Als alles gut war.