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Das müssten Sie besser wissen, sage ich und tauche die Hände zum Waschen ein, Sie haben ihn zuletzt gesehen und ich war noch zu klein.

Es tut mir Leid.

Ich war sehr klein.

Möchtest du schwimmen?

Danke, nicht so bald, nachdem ich über den Tod gesprochen habe.

Ich entscheide mich für einen sechser Einfachhaken. Tun Ihnen die Haken eigentlich weh? frage ich.

Willst du das nicht lieber die Fische fragen?

Ich stecke den ersten Regenwurm auf den Haken und werfe weit aus. Die Pose bewegt sich langsam mit der Strömung.

Was ist das für ein Gefühl mit den ganzen Fischen?

Es kitzelt, wenn sie springen.

Ich fahre mit der Hand über die Oberfläche, kitzelt es auch, wenn jemand eine kaputte Waschmaschine in Sie schmeißt?

Schweine!

Ich richte mich auf und ziehe die Schnur ein. Der Wurm noch dran. Ich werfe aus, etwas weiter nach links, näher an den Felsen. Drina? Wie kommt es, dass Sie keinen Dialekt sprechen?

Sprichst du einen?

Ich sehe auf die Pose und antworte nicht. Wenn ich es tun würde, mit einem» Nein«, würde sie» na also «erwidern. Vielleicht erzählt sie, wenn ich nichts sage, von alleine weiter: wie gut sie mit dem Rzav wirklich befreundet ist, wie sehr sie der Staudamm stört und ob sich auch Flüsse fürchten. Ich verrate nicht, wie sehr ich sie beneide, weil sie so viel sehen kann, von der Quelle bis zur Save, zum Himmel, in die Erde, rechts, links, das ist eine Menge Blick.

Rzav sei ein feiner Herr, spielt sie kollegial um die Felsen, obwohl er jeden Frühling seine cholerischen Anfälle auslebe und über die Ufern trete. Und der Staudamm stopfe ihr den Mund, schnell fließen sei wie laut schreien. Sie gibt zu, ja, Angst zu haben. Der Winterkälte trotze sie und die Herbstregen wühlen sie nicht auf, aber sie habe davor Angst, dass die Schüsse auch uns mit Krieg anstecken. Gegen den Felsen klagt sie, unzählige Kriege habe sie durchgemacht, einer scheußlicher als der andere. So viele Leichen habe sie tragen müssen, so viele gesprengte Brücken ruhen für immer auf ihrem Grund. Ich solle ihr glauben, wird sie am Ufer trüb, nichts auf der Welt leide so sehr wie ein Brückenstein ohne seine Brücke. Auch habe sie sich nie verstecken können und vor keinem Verbrechen die Augen verschließen, schäumt sie vor Wut, ich habe nicht mal Augenlider! Ich kenne keinen Schlaf, kann niemanden retten und nichts verhindern. Ich will mich ans Ufer klammern, kann aber nichts festhalten, ich bin ein scheußlicher Aggregatzustand! Ein unendliches Leben lang keine Hände! Wenn ich mich verliebe, küsse ich nicht und wenn ich glücklich bin, greife ich nicht in die Akkordeontasten. Ja, Aleksandar, das ist eine Menge Blick, eine Menge Blick ganz umsonst.

Einmal, zweimal zuckt die Pose, ich stehe auf, ahne einen dritten Biss, die Pose taucht ganz ab, ich gebe Kontra und spüre sofort das Gewicht an der Angel, lasse etwas Schnur, schlage wieder an und weiß — ich habe ihn. Er ermüdet schnell, ein junger Huchen, ich gebe ihm die Drina zurück und sie lässt ihn einen Bogen springen.

Drina, ich brauche einen größeren für morgen. Wenn Opa Slavko schon kocht, dann soll es ein anständiger Fisch sein. Was meinen Sie, gewinnt Carl Lewis die hundert Meter? frage ich und werfe wieder aus, aber der Fluss gibt keine Antwort mehr. Der Wind wird stärker, oder es ist ein Schluchzen der Schlucht, oder möchte der Nebel auch etwas sagen? Er lichtet sich, und die Sonne ist jetzt wieder ganz da für die Lagune, die Grillen sind ganz da für die Lagune, ket-ket, ruft der Falke und stürzt sich in die Schlucht, ket-ket, und ich frage mich, ob auch die Drina genau jetzt eine Gänsehaut hat — die kräuselnden Wellen —, ket-ket, kju, ket-ket.

11. Februar 2002

Liebe Asija, habe ich dich erfunden? Habe ich unsere Hände an den Lichtschalter geführt wegen einer rührenden Geschichte über Kinder im Krieg? Du hast mir deinen Nachnamen nie verraten, trotzdem adressierte ich jeden Brief, als hätte ich ihn gekannt. Ich erinnere mich an den Morgen des Soldatenreigens. Die Stadtarchitektur hat aus Regenwolken, Tarnfarben und Glassplittern bestanden. Edin und ich wollten etwas völlig Normales machen, etwas so Einfaches spüren wie das Gewicht eines Fisches an der Angel. Du kommst nicht vor. Nicht verängstigt im Treppenhaus, nicht Steine in den Fluss werfend, ich sehe dein schönes Haar zwischen den gemächlich plündernden Soldaten nicht. Du bist nicht mitgekommen, wir haben nie Abschied genommen, Asija.

Keine Briefe mehr. Ich betrinke mich und rufe Bosnien an, entschuldige die Theatralik. Die Uhr auf meinem Notebook zeigt an:»23:23 Montag, 11. Februar 2002. «An welchem Tag war unser Lichtschalter? Keine Briefe mehr, Asija, hat es dich jemals gegeben?

Ich bin Asija. Sie haben Mama und Papa mitgenommen. Mein Name hat eine Bedeutung. Deine Bilder sind gemein

Ich fahre mit dem Mauszeiger über die Uhr.»23:23 Montag, 11. Februar 2002. «Ich klicke, das Fenster» Eigenschaften von Datum und Uhrzeit «erscheint. An welchem Tag war der Lichtschalter, welcher Tag der 6. April 1992? Ich stelle das Datum um zehn Jahre zurück. Gleich blitzt es, und mein Vater wird ein Buch auf meinen Kopf legen und mit Bleistift meine Größe am Türrahmen markieren. Gleich blitzt es, und ich werde 1,53m groß sein, und

Vater weckt mich: Aleksandar, heute fällt die Schule aus, wir gehen zu Oma, zieh dich an, ich sage dir, was du mitnimmst.

Man wächst im Schlaf.

Gleich blitzt es. Ich erwarte, zurückversetzt zu werden an einen Tag — der Computer zeigt an: an einen Montag —, an dem ich vor meinem Vater Angst haben werde. Angst vor seiner Liste der Dinge, die ich packen soll, vor seiner Mahnung: nur das, was du brauchst. Angst, weil er nicht sagt, wofür.

Was braucht man?

«7:23 Montag, 6. April 1992. «Gleich blitzt es, und ein fast vergessenes Gefühl wird zum Blick auf staubverklebte Spinnweben an den Kellerwänden in Erwartung des nächsten Einschlags. Ich mache eine Liste von Gegenständen im Keller meiner Großmutter, an die ich mich erinnere. Ausgediente Bügelbretter, kopflose Puppen, Kleidersäcke mit Hemden, die nach altem Kürbis riechen, Kohlen und Kartoffeln und Zwiebeln, Motten und Katzenpisse. Unter Detonationen flackernde Glühbirnen. Gänsehaut um Gänsehaut. Nicht, weil die Angst so groß ist, sondern weil die Wahrscheinlichkeit, dass man im Frieden einschläft und im Krieg aufwacht, so klein ist.

Heute fällt die Schule aus. Im Wohnzimmer sitzt meine Mutter und näht sich Geldscheine in ihren Rock.

All das, was vor dem Aufwachen unvorstellbar war, wird Vater mit seinen Worten und seiner Nervosität einläuten. All das, was vor dem Unvorstellbaren gut war, rückt mit Vaters Unsicherheit und den ersten Granaten in die Ferne. Einen Frosch anzünden wollen ist weiter weg als Japan; Träume von Jasnas ausgebeultem Hemd so unpassend, dass ich mich für sie schäme; die Pflaumenernten ausgefeiert, die Geheimzeichen, wie sich Edin gegen die unsichtbaren Verteidiger freilaufen soll, unnütz. Was geschehen wird, ist so unwahrscheinlich, dass keine Unwahrscheinlichkeit übrig bleibt, um eine erfundene Geschichte zu erzählen.

Ich mache eine Liste von Dingen, für die ich nie bestraft wurde. Die Tafel anzünden. Frösche, Tauben und Katzen in Čika Veselins Wohnung einquartieren, nachdem er Onkel Bora eine Dampfwalze genannt hat. Durch das Fenster spähen, als Zorans Tante Desa die müden Männer vom Staudamm besuchte. Schneebälle auf Windschutzscheiben werfen. Präsidenten des Lokalkomitees anrufen und mit verstellter Stimme sagen: hier Tito, Sie sind hohl. Anspitzer und Hefte aus dem Kaufhaus stehlen. Omas Blumenvase zerschlagen.

Warum bist du nicht auf der Arbeit, Papa?