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Was hinter Gottes Füßen gespielt wird, wofür sich Kiko die Zigarette aufhebt, wo Hollywood liegt und wie Mikimaus zu antworten lernt

Um 14.22 Uhr funkten sie den Waffenstillstand in den Schützengraben der Territorialen Verteidigung. Den dritten in diesem Monat. Um 14.28 Uhr schoss vom nördlichen Waldrand, aus dem serbischen Graben, der Ball im hohen Bogen auf die Lichtung, die auf etwa zweihundert Metern die Stellungen trennte, setzte zwei Mal auf und rollte zu den beiden zusammengeschossenen Tannen, die schon in den letzten Kriegsauszeiten als Pfosten gedient hatten.

Der Befehlshabende der Territorialen, Dino Safirović, genannt Dino Zoff, hechtete aus dem Stand auf den Grabenrand, formte mit den Händen einen Trichter um seinen Mund und streckte den Oberkörper nach hinten, als er auf die andere Seite rief, was ist, Tschetniks, wollt ihr wieder auf die Fresse? Er langte sich in den Schritt und schob die Hüfte vor und zurück, vor und zurück, lief dann einige Meter in Richtung Ball, zu der Stelle, wo Ćora ausgestreckt lag mit einem Riesenloch im Kopf.

Wir haben eure Mütter schon zwei Mal arschgefickt, Mudschaheddiner Fotzen, tönte eine heisere Stimme aus dem serbischen Graben, während sich Kiko, Kiko — die Neun, Kiko — das Kopfballungeheuer, Kiko — die Eisenstirn von der weichen Drina — zu Dino Zoff gesellte, Ćora an den Knöcheln fasste und hinter sich zum Graben schleifte. Er deckte ihn mit seinem Mantel zu und strich die blutigen Strähnen aus seiner Stirn, schau mal wie du aussiehst, mein Ćora, flüsterte er, Gras und Erde überall.

Neben ihm schnalzte Meho mit der Zunge, kramte aus dem Ranzen das rot-weiße Trikot von Roter Stern und streifte es über seine Weste. Umständlich leerte er die Taschen: ein Schweizer-Messer, ein Feuerzeug, zwei Handgranaten, eine angebrochene Konserve Wurstaufstrich. Das Foto von Audrey Hepburn küsste er mehrmals verzückt und steckte es wieder ein. Auf Dino Zoffs fragenden Blick grinste er, sagte: jedem seinen Talisman, hast du gewusst, dass Maradona seine Unterhose …, da bemerkte er Kiko und den toten Ćora und hielt inne. Er hätte nicht rausgehen dürfen, egal wie dunkel …, setzte Meho an, entschuldigend und anklagend zugleich, begegnete aber Kikos Blick, seufzte und schob ihm eine Schachtel Drina unter die Nase. Jeder im Trupp wusste, dass Meho noch Kippen besaß, es wurde gemunkelt, die Schachtel sei sogar halb voll. Kiko nahm sich die vorletzte. Er lenkte sie waagrecht an die Oberlippe und sog ihren Duft auf.

Mirabellen, murmelte er und schloss die Augen, Hanifas Hals, wenn sie mich nach dem Training abgeholt hat, Kaffee, der richtige, türkische. Siehst du, mein Ćora, du gehst drauf und ich krieg ne Kippe. Mit den Fingerspitzen streifte Kiko über Ćoras Augenlider und steckte sich die Zigarette hinters Ohr. Für nach dem Spiel, sprach er mit gesenktem Kopf.

Fünf-zwei und Zwei-eins hatten die Serben die letzten beiden Waffenruhen für sich entschieden. Ein gewisser Milan Jevrić, genannt Mikimaus, machte im ersten Spiel drei der fünf Tore. Mikimaus war ein zwanzigj ähriger Bauernbursche, der auf Zweimetersechs hundert Kilo wog, allein geschätzte dreißig in diesem Felsmassiv von einem Kopf, das er mitsamt Nasenvorsprung und zwei-drei dünnen Haarbüscheln auf seinem Ochsennacken trug. Eigentlich ein Innenverteidiger, überraschte er mit seiner Schusskraft sich selbst am meisten, als er zu Beginn der zweiten Halbzeit vorstürmte, aus dreißig Metern draufhielt und Dino Zoff geradewegs ins Gesicht traf. Erst als Marko, einer der beiden serbischen Stürmer, Dino einen Schnaps unter die Nase hielt, kam der wieder zu sich, sprach aber in den nächsten zwei Stunden nur noch fehlerloses Latein und gab einige Weisheiten von Cicero von sich. Seit diesem Volltreffer spielte Mikimaus im offensiven Mittelfeld und hämmerte aus jeder erdenklichen Lage auf das Leder ein. Wenn er einen seiner Schüsse mit dem rechten Vollspann abfeuerte und der Ball kugelscharf aufs Tor strich, warf sich Dino Zoff jedes Mal nicht furchtlos, aber tapfer in die Flugschneise, blieb danach regelmäßig mit schmerzverzerrtem Gesicht oder benommen liegen. Wahrscheinlich, weil die Brecher von Mikimaus anders nicht zu halten waren, vielleicht aber auch in der Hoffnung auf die Wiederkehr von Markos Schnaps. Mikimaus’ Schüsse waren keine Kunstschüsse, sie kamen ohne Effet oder Außenrist aus und überraschten nach dem ersten Mal niemanden mehr. In ihrer Schnörkellosigkeit entsprachen sie Mikimaus’ selten geäußerten, geradlinigen Gedanken, sie waren einfache Anstrengungen, für die der große Mann gelobt und gefürchtet wurde und die er daher wie ein Kind mit Begeisterung wiederholte.

Einen einzigen Makel hatte Mikimaus’ rechtsfüßige Gewalt und den nutzten die Territorialen gnadenlos aus. Nach jedem Schuss entlud der Riese seine ganze Kraft und Freude in einem Schrei, der musikalisch zwischen dem Brunstruf eines Stieres und dem Bremsgeräusch eines Fünfundzwanzigtonners mit Anhänger auf steil abschüssiger Straße lag — Original Monika Seleš! rief Kozica, der ziegenbärtige Linksaußen der Territorialen, nach einem solchen Aufjauchzen durch Berg und Tal, und prustete los.

Spielt Monika heute wieder mit? oder: Monika, Monika, spiel an mir Mundharmonika! frotzelten seitdem Dino Zoffs Männer und stöhnten laut, sobald Mikimaus am Ball war. Und dieses Gebirge von einem Mann, für den es keine passende Uniform gegeben hatte, so dass er seine riesenhaften Latzhosen von Zuhause anbehielt, wurde durch die Sticheleien verunsichert. Im zweiten Spiel dämpfte er seine Schreie, prompt fielen auch seine Weitschüsse zurückhaltender aus und bereiteten Dino Zoff kein Kopfzerbrechen mehr. Wenn ein Gegenspieler in seiner Nähe aufjodelte, zuckte Mikimaus zusammen, der Felsenkopf kippelte auf den vergleichsweise schmächtigen Schultern und die schmale Stirn furchte sich vor Gedanken. Gerne hätte Mikimaus sie geäußert, wenn man ihm nur etwas mehr Zeit gegeben hätte, aber schon verlagerte sich das Spielgeschehen auf die andere Seite und der Spötter fegte davon.

Auch heute johlte Kozica beim Warmmachen auf die serbische Seite: ach, wie schade, dass Fräulein Graf nicht auf den Igman kommen konnte! Sie ist in Wimbledon, lässt aber Monika liebe Grüße ausrichten, das mit dem Nagellack geht klar. Uh, uh, uh, rief Kozica und seine Kameraden fielen mit ein.

Zweimal vierzig Minuten, erste Halbzeit ein Schiedsrichter von den Territorialen, zweite ein Serbe — wenn schon beschissen wurde, dann gleichmäßig verteilt beschissen. Zwischen den Tannenpfosten am südlichen Rand der Lichtung zog Mikimaus ein Seil als Latte fest. Das andere Tor bestand aus Überresten des Zauns, der einen der beiden Karrenwege gesäumt hatte, die sich auf der Lichtung kreuzten. Der Maschendraht zwischen den Zaunlatten wurde gekappt, die Pfosten mit Brettern auf zweieinhalb Meter verlängert. Wer die Wege kontrollierte, kam am Berg schneller voran und musste sich nicht durch dichte und ungenau kartografierte Wälder schlagen, mit mehr Minen als Pilzen in der Erde. Darum ging es hier seit zwei Monaten — um zwei Karrenwege. Einer davon ging weiter unten im Tal in eine asphaltierte Straße über, die nach Sarajevo führte. In ordentlichen Zeiten zogen Fliegen ihre Quadrate über getrockneten Rinderkot, mittlerweile kam kein neuer Kot zum Trocknen hinzu. Die Rinder von den Bauern, die nicht höher ins Gebirge getrieben wurden, hatte man längst erlegt, und die Menschen vergruben ihre Scheiße. Die Fliegen kreisten jetzt über den Leichen, die nicht immer sofort unter die Erde gebracht werden konnten.