Eh, fick doch die Waldfee, schüttelte Meho den Kopf und ging in die Hocke, als müsse er sich übergeben. Der Schiri pfiff, zeigte erst auf Meho, dann zum Wald — eine Geste, die es wohl bei keinem anderen Fußballspiel auf der Welt gab, und die bedeutete: Meho hat die Scheiße verbockt, also hat er das Ding auch zu holen. Einen Plan, wo genau die Minen lagen, konnte man ihm allerdings nicht mitgeben, vermutlich existierte so etwas gar nicht. Die Minen aber existierten ganz gewiss. Noch bevor sich die Front um die Lichtung verhärtete, hatten die Serben bei einem Versuch, von hinten an die Territorialen heranzukommen, zwei Mann in dem Wald verloren und vom dritten ein Bein. So isses gut, holt sie euch brav alle zurück und lasst ja keine liegen, schade um die Ziegenböcke, hatte es damals von den Stellungen der Territorialen gedröhnt.
Dino Zoff griff Meho unter die Arme. Mensch, Meho, flüsterte er, haben wir es nicht tausend Mal besprochen: eine gute Abwehr haut den Ball nicht weg! Hinten schön abgeklärt, kurze Pässe, das kann doch echt nicht schwer sein.
Kann nicht schwer sein, flüsterte auch Meho zu sich, als er, begleitet von zwei Sanitätern, am Waldrand ankam und sich umschaute. Alle Spieler und beide Aus-Linien sahen in seine Richtung. Irgendjemand winkte, also winkte Meho zurück. Der Ball lag etwa zwanzig Meter vom Waldrand entfernt, friedlich unter rotem Farn auf Moos gebettet. Die Sonne durchflutete das Waldstück mit gleißendem Licht, die Strahlen fielen schräg durch die Blätter auf den leicht ansteigenden Waldboden, der dem zitternden Mann im Trikot von Roter Stern Dutzende Minen verheimlichte. Das Trikot! Panisch zog Meho den rot-weißen Dress seiner Lieblingsmannschaft aus, küsste den Stern und faltete es auf dem Boden sorgfältig zusammen.
Meho, warte mal! Marko war seinem Gegenspieler die kleine Anhöhe hinauf gefolgt. Hier, für den Ball, zwinkerte der serbische Stürmer und reichte Meho eine kugelsichere Weste, wickel ihn gut ein, bevor du zurückläufst.
Meho starrte die schwarze Weste an.
Sag mal, Meho, wie kommt das denn eigentlich? Marko hob Mehos Trikot auf und schüttelte den Kopf. Die sind doch Belgrader?
Mehos Kinn zitterte. Immer und ewig die Rot-Weißen! schnarrte er und wischte sich den Schweiß aus der Stirn. Er streifte Markos Weste über und sagte mit bebender Stimme: geh du mal lieber zurück, und dann in akzentfreiem Englisch, indem er einen Schritt in den Wald trat: this could get fuckin’ dangerous.
Mit Mehos Trikot in der Hand lief Marko zu den anderen zurück. Man saß im Gras, unterhielt sich und sah zu den Bäumen, auch nachdem Meho in ihrem Schatten verschwunden war. Gavro kratzte sich mit einem Holzsplitter unter den Fußnägeln und pfiff eine verspielte Melodie vor sich hin. Der satte Pfeifton schaukelte zwischen den nackten Oberkörpern der serbischen Elf und tanzte vor den konzentrierten Gesichtern der Territorialen. Ein Klezmer, und sie alle hörten demselben Lied zu, einige tippten zum Takt ins Gras oder sich gegen den Oberschenkel — andere nicht, das war der einzige Unterschied. Den Bäumen beim Waldsein zuzusehen, war ein zuhörendes Warten. Auf Meho, auf ein neues Lied oder auf einen Knall.
Es knallte, als General Mikado wieder auf Gavros Hinterkopf schlug. Das Lied verstummte, und der General fragte laut und betonte jede Silbe, als würde er auf einer Bühne sprechen: was machen wir eigentlich, wenn uns wegen des Schwachkopfs der Ball kaputtgeht?
Niemand antwortete. Der General kratzte sich im behaarten Nacken.
Die beiden Sanitäter am Waldrand aßen Brot und sahen in den Wald. Sie wollten sich Mehos Spur so genau wie möglich einprägen, damit sie ihr folgen und sofort eingreifen konnten, falls er in die Luft flog.
Meho flog nicht in die Luft, er kackte sich nur die Hose voll, das kann man auswaschen. Die Seinen und auch einige Serben jubelten ihm zu, als er mit dem Ball unter dem Arm und dem Kopf auf den Schultern auf die Lichtung stolzierte, als hätte er gerade in der Nachspielzeit des Finalspiels gegen mindestens Brasilien das Eins-null geschossen und würde sich auf den Weg zu den Stehplätzen machen, um sich feiern zu lassen. Aus der Nähe sah sein Stolz mehr nach Zorn aus, aus der Nähe zitterte der Arm mit dem Ball, aus der Nähe hatte Meho ein graues Gesicht, eine dicke, blaue Ader mitten auf der Stirn und roch ganz schön streng. Aus der Nähe sagte er: hier der Ball, alles klar, geht gleich weiter, ich müsste mich mal umziehen, aber ich hab nichts mehr. Und zu Marko: komm her, Trikottausch — Schusssicher gegen Roter Stern, und weißt du, es ist mir egal, woher meine Mannschaft kommt, die Jungs spielen doch nur Fußball. Als ich so groß war — Meho zeigte in Höhe seiner Hüfte —, waren sie meine Helden. Das Finale gegen Marseille einundneunzig! Dieser Sieg! Dieses Elfmeterschießen! Es ist mir auch egal, ob du Serbe bist. Solang du nicht auf mich schießt oder mit meiner Frau schläfst, ist mir alles egal.
Meho streifte sich sein Trikot über und stakste zurück zum Graben, der bis auf den dicken, in der Sonne dösenden Funker Sejo und drei Verwundete, die Domino spielten, gänzlich leer war. Mein Gott, wie viel Mist hier herumliegt! Es müsste mal ordentlich aufgeräumt werden, wie leben wir hier überhaupt? Er zog die Augenbrauen zusammen und sah sich im zugemüllten Graben um, als würde er ihn zum ersten Mal betreten. Direkt vor ihm lag eine leere Konserve Wurstaufschnitt, sie war so sauber geleckt, dass sich keine einzige Fliege für sie interessierte. Er lupfte sie aus dem Graben. Mit Wasser aus einem weißen Plastikkanister wusch er sich ausführlich, spülte seinen Arsch aus und schrubbte mit dem sauberen Hosenbein die Innenseite seines Oberschenkels ab.
Und wie ich da so ein bisschen o-beinig in diesem Abfalleimer von einem Schützengraben stand, mein Ćora, hinter Gottes verpilzten Füßen, mein armer Ćora, und wie ich da so Wasser über meine Finger goss, dachte ich mir die ganze Zeit: ja nicht zu viel Wasser verschwenden, Meho, nimm Gras und Blätter, wenns sein muss, und wie ich dann auch noch so bräunliche Tropfen zwischen den Härchen abwischen musste, ehrlich, da musste ich plötzlich so heftig flennen, ich musste so heftig flennen, mein guter Ćora, ich hab geglaubt, die Tränen fließen mir nicht nach unten über die Wangen, sondern schießen glatt nach vorne durch die Augen ab, ehrlich. Ich sag dir, mein Ćora, ein Scheißtag, und ich hoffe, du verstehst, wenn ich mir jetzt deine Hose leihe, keine Angst, ist nicht kalt bei uns hier draußen, die Sonne scheint, sie hat mir im Wald genau gezeigt, wo ich auftreten darf, ehrlich, mit den Strahlen aufm Boden! Nackt kann ich die Tschetniks jedenfalls nicht schlagen, wir liegen Zwei-null hinten, ich sag ja, ein Scheißtag, Ćora, aber wem sag ich das? Meho strich dem Toten übers Haar und knöpfte ihm die Tarnhose auf, nur für das Spiel, Ćora, sagte er, du kriegst sie danach zurück, Pionierehrenwort!
Die etwa fünfzig Meter bis zum Spielfeld überquerte Meho im Laufschritt. Die letzten zehn brauchte er, um zu begreifen, dass sein Scheißtag noch lang nicht zu Ende war. Seine Einheit war in Höhe des Tannentors aufgereiht, manche hielten die Hände am Hinterkopf. Im Halbkreis vor ihnen standen an die zehn Serben mit Maschinengewehren im Anschlag, andere rannten kreuz und quer über die Lichtung und sammelten die restlichen Waffen zusammen. Von niemandem beachtet, lag der Ball abseits, sah dort, in höherem Gras, eher aus wie ein Stein. Meho blinzelte, bewegte lautlos die Lippen.
General Mikado deutete eine Umarmung an. Aah, rief er, das war doch mal ein Parfüm, das zu einem Moslem passt!
Während Meho nach Waffen durchsucht, dann — das Gewehr im Rücken — zu den anderen getrieben wurde, war in der Ferne die Artillerie zu hören. Einzelne Gewehrsalven, durch Weite und durch Sonne weich gefiltert, matt und ein bisschen müde. Der dicke Sejo, der Funker der Territorialen, wälzte sich mit einem panischen Gesichtsausdruck auf den Grabenrand, doch bevor er verkünden konnte, was inzwischen jeder aus den Kampfgeräuschen gehört und verstanden hatte, dass die Waffenruhe nämlich vorbei war, feuerte der serbische Torwart mehrere Schüsse auf ihn ab. Sejo knickte ein, erst auf ein Knie, dann seitlich weg, und blieb absonderlich verrenkt liegen, das Knie weiterhin gegen den Boden.