Du verficktes Schwein! schrie Dino Zoff in die ersten Schüsse, löste sich aus dem Haufen der Gefangenen und hob beschwörend die Hände mit den Torwarthandschuhen, wir ergeben uns doch, wir wehren uns nicht, wir wehren uns … Weiter kam er nicht, General Mikado holte ihn ein und drückte ihm die Pistole erst an den Hinterkopf, dann, indem er ihn zu Boden stieß, seitlich an den Hals.
Ich sehe das anders, Affe! Spucke benetzte Dino Zoffs Wange und Mund. Ich sehe, dass ihr euch ganz erbittert wehrt, ich sehe, dass ihr bis zum letzten Mann kämpft! Leider, leider sehe ich aber keinen Mudschaheddin, der überleben wird, um von der glorreichen letzten Schlacht zu erzählen. General Mikado schob Dino von sich und zielte jetzt mit der Pistole auf seine Brust. Seine Soldaten hatten sich — ein dreißigköpfiges Erschießungskommando — vor die Gefangenen in Position gebracht.
In Ordnung! Dino riss den Arm über den Kopf, in Ordnung, dann kämpfen wir eben, lass uns weiterspielen!
Was? General Mikado verzog angewidert das Gesicht.
Du willst Unbewaffnete abknallen? Gut, ich trau dir Schlimmeres zu, weiß gar nicht, wie ich meine Jungs zurückgehalten hätte, wenn wir schneller an den Waffen gewesen wären. Aber das Spiel ist noch nicht zu Ende! In Dinos Mund sammelte sich Spucke. Eine Halbzeit haben wir noch! Bist du Fußballer genug, kicken wir weiter. Und falls wir das Spiel noch drehen und du dann auch noch Mann genug bist, wird hier niemand hingerichtet, niemand! Gewinnt ihr …, er blickte sich nach seinen Leuten um und richtete sich auf, dann bleibst du halt dein Leben lang ein verfickter, jämmerlicher Mörder!
Und Dino Safirović, den man aus der Schule geschmissen hat, weil Latein und die klassischen Lehren zwar für die Erziehung junger Menschen ganz wesentlich sind, Saufen dagegen nicht — zog die Handschuhe fester über die Finger. Und Dino Safirović, der Cicero-Liebhaber, der sich freiwillig gemeldet hatte, weil er dachte, dass es an der Front weniger Alkohol gab, und er unbedingt mit dem Trinken aufhören wollte, klatschte in die Hände, dass Staub sprühte. Und Dino Safirović, genannt Dino Zoff, die Katze vom Trebević, sah General Mikado in die Augen und fauchte: komm schon, Mann, komm schon!
Das Zwei-eins köpfte Kiko in der vierten Minute der zweiten Halbzeit, im selben Augenblick, als es im Tal eine größere Explosion gab. Das zweite Zwei-eins köpfte er fünf Minuten später, und auch dieses wurde wegen angeblichen Abseits aberkannt. Diese meine Stirn, klopfte sich Kiko gegen den Hinterkopf, war nicht im Abseits.
Doch es half nichts. General Mikado hatte Dino Zoffs Herausforderung belustigt angenommen, unter der Bedingung, dass er selbst nicht nur mitmachte, sondern das Spiel als Schiedsrichter leitete. Gelbe Karten habe ich keine da, sagte der General, fürs Meckern gibts ne Kugel.
Dem Drei-null für seine Mannschaft war ein klares Torwartfoul vorausgegangen. Dino Zoff wurde bei einer Flanke unterlaufen und stürzte zu Boden, überhaupt gingen die Serben so entschlossen und mit so einer Härte vor, als würde ihr Leben und nicht das ihrer Gegner von dem Spielergebnis abhängen.
Beim Drei-eins zog Kozica ansatzlos aus der zweiten Reihe ab, und der Ball rauschte ins Tor. Eine Minute später wurde Kozica mit einer Platzwunde an der Stirn vom Platz getragen, nachdem ein Aus-Linien-Soldat ihn erst von den Beinen geholt, dann mit dem Gewehrkolben niedergeschlagen hatte. Über die Außen griffen die Territorialen danach nicht mehr an.
In der sechzigsten Minute prallten Mikimaus und Kiko zusammen. Sie stürzten zu Boden, das Spiel lief weiter. Die Sonne berührte im Westen die Baumkronen, die Mücken schwirrten umher durch die ansetzende Dämmerung. Seit sich Mikimaus’ Zweimetersechs nach Kikos beiden nicht gegebenen Treffern um den besten Mann der Territorialen kümmerten, kam Kiko zu keinem Kopfball mehr. Nach dem Zusammenprall hielten sich beide die Brust, blieben sitzen. Kiko verzog das Gesicht, gut, dass man Rippen hat, sagte er, und Mikimaus nickte: ganz gut, diese Rippen. Seine Pupillen wanderten unruhig über Kikos Gesicht, er holte Luft und stieß sie wieder aus. Schon wollte der große Mann aufstehen, stützte sich mit der Faust ab. Die aber ergriff Kiko, flüsterte: ja, steh auf, mein Milan, nicht wieder sitzen bleiben, bloß nicht mehr sitzen bleiben.
Nicht? wunderte sich Mikimaus, sperrte den Mund weit auf und blieb beim nächsten Kopfball von Kiko zwar nicht sitzen, aber wie angewurzelt stehen, er sprang nicht hoch, Aufsetzer, Drei-zwei.
Nach dem Anschlusstreffer wusste General Mikado alle Bemühungen der Territorialen zu verhindern, sich dem Tor seiner Mannschaft auch nur zu nähern. Jeder Zweikampf wurde als Foul gewertet, jeder Pass in die Spitze abgepfiffen, jeder Einwurf ging an seine Mannschaft, sogar offensichtliche Befreiungsschläge, die im Aus landeten.
Zwei Minuten vor Spielende tankte sich Kiko auf halblinks durch; er mied jeglichen Körperkontakt, um General Mikado keinen Anlass zu geben, Foul zu pfeifen, wich aus, bog sich, sprang. Mit letzter Kraft flankte er vor das serbische Tor — ein ungefährlicher Ball auf den kurzen Pfosten, der rechte Verteidiger der Serben schlug jedoch ein Luftloch, Mikimaus verfehlte den Aufsetzer, der Rest — Freund und Feind — rutschte am Ball vorbei oder war zu überrascht, um überhaupt zu reagieren, und die Kugel kullerte zu Meho. Der war in der zweiten Halbzeit nur gedankenverloren über die Wiese geirrt und hatte wie hypnotisiert vor sich hingemurmelt: kann doch nicht so schwer sein, meine Audrey, nicht so schwer; man hatte ihn vom Feld geschoben, weil er auch den eigenen Leuten im Weg stand, aber nachdem drei Spieler verletzungsbedingt runtermussten — gefoult oder von den Aus-Linien brutal zusammengetreten —, wurde er wieder auf den Platz geholt.
Da lag also der Ball vor seinen Füßen, aber Meho sah gar nicht hin, entrückt starrte er gen Osten. Aus dem Tal war heftiges Artilleriefeuer zu hören, blechern, hohl. Verlangsamt wie eine Wiederholung im Fernsehen und als ginge ihn keine seiner eigenen Bewegungen irgendetwas an, verlagerte er das Gewicht nach links und knipste den Ball locker mit rechts hinter dem Standbein ins Tor. Für dich, sagte er mit brüchiger Stimme und langte unter sein Trikot, ein Tor für dich! Mit glänzenden Augen führte er Audrey Hepburns Foto an die Lippen, flüsterte: jetzt ist echt Hollywood, meine Audrey, eh fick mich für ein Happy End!
1986 war Meho in den USA — seine einzige Reise in den Westen. Fünf Jahre hatte er von seinem Maurergehalt gespart, bei seinem Vater gewohnt und niemals unnötig Geld ausgegeben. Abend um Abend sah er sich amerikanische Filme an, am liebsten Thriller, Horror und Audrey. Er lernte auf Englisch zu fluchen und konnte akzentfrei Kaffee bestellen.
Nach seinem Tor schlich Meho über den Platz, den Kopf in den Nacken gelegt. Das Spiel lief weiter, einmal traf ihn der Ball im Rücken, aber der Himmel, nicht der Ball, interessierte Meho. Jemand rief seinen Namen, we are the champions, antwortete Meho. Am Strafraum seiner Mannschaft angekommen, blieb er stehen und prüfte mit gestrecktem Arm, ob es regnete. Er rümpfte die Nase und kreuzte die Arme vor der Brust, als käme wirklich ein Regen und der wäre kalt. Jemand fiel vor seine Füße, Aufregung, Tumulte, ein Pfiff, eine Gewehrsalve.
Warum sind meine Fingernägel nur noch dreckig? Ich würde so gern telefonieren, einmal wieder irgendjemanden anrufen. Recht laut unterhielt sich Meho mit dem Himmel, stand dabei im Wege, wurde geschubst, taumelte.
Eine Spielertraube hatte sich um General Mikado gebildet. Erst als jemand in die Luft feuerte, nahmen die Männer Abstand. Elfmeter! rief der General und schnappte sich den Ball. Dino Zoff schüttelte den Kopf, nie und nimmer war das Foul! winkte er ab und fixierte den Ball, der jetzt auf dem abgeschrittenen Elfmeterpunkt lag. General Mikado trat an, nachdem er zuvor selbst auch den Gefoulten gemimt und für sich den Elfmeter gepfiffen hatte.