Vater hat gesagt, sie planen …, setze ich an, aber Miki unterbricht mich und findet auf Anhieb meine Augen: dein Vater hat seit sieben Jahren kein Wort mit mir gesprochen. Dein Vater schickt Geld und Fotos von einem Schwimmbad und von deiner Mutter im Badeanzug. Für deinen Vater bin ich weniger wert als ein ausgespuckter Kaugummi. Miki spricht gelassen, ich blicke zu Boden. Aber das geht so nicht! schreit er plötzlich, das geht so nicht! schreit er, das geht nicht, so nicht! schreit er, schreit er, schreit er, das geht so nicht, nicht so! Miki hämmert mit der Faust gegen das Tor, hinter dem die Feuerwehrwägen parken, es ist ein einzelner Hieb.
Ich nehme meinem Körper die Bereitschaft, sich aufzulehnen, nicht ab. Ich vertraue meinem Mund nicht, nachzufragen, erlaube meinen Augen keinen herausfordernden Blick, meinem Gesicht keine strenge Miene, den Händen keine geballte Wut. Ich bin überragend im Beschreiben von Gesten.
Miki fährt mit mir nach Hause. Oma trinkt Kaffee mit den Nachbarinnen. Frau Popović und Teta Magda tragen Schwarz und kritisieren die heraufziehenden Wolken. Frau Popović bedankt sich bei mir, dass ich vorbeigekommen sei, ich frage, wofür, sie sagt, ihr Mann spiele den ganzen Morgen Klavier, Regenstücke, ich sage: damit habe ich nichts zu tun — ich auch nicht, sagt sie.
Oma möchte vorne fahren, Miki parkt aus, sie sagt: einmal hat Slavko für mich die Wohnung in Blumen gelegt, einmal hat er vor dem ZK, statt einer Rede, Rotkäppchen in einer eigenen Fassung vorgetragen, einmal hat er prophezeit, es kann nicht gut ausgehen, dass wir alle nur Ideale haben, aber keine Alternativen zu den Idealen, und einmal hat er darüber nachgedacht, mich zu betrügen, ich habe es an seinen Küssen geschmeckt.
Kaum haben wir die asphaltierte Straße verlassen, gibt es kein Vorankommen mehr. So, sagt Miki und zieht die Handbremse. Die Löcher im Boden sind so zahlreich und so tief, dass auch das Laufen schwer fällt. Von den Seiten greifen Brombeerranken und wildes Gestrüpp nach uns, dornige Ranken, sogar Rosenstöcke, nur ein schmales Spalier bleibt, darüber haben junge Eichen ihre Zweige gekreuzt. Es wird schnell warm im Pflanzenkanal, der Wind trägt süß riechende Verwesung heran. Über uns schließen sich die Wolken zu einem regenschweren, grauen Mosaik.
Es ist unglaublich, sage ich und schlage nach dem Summen um meinen Kopf, so viele Insekten im März.
Ja, unglaublich, keucht Oma Katarina und zeigt auf das Gebüsch vor uns. Ich bleibe stehen. In das Dickicht gepackt, zwei, drei Meter über uns: die Karosserie eines gelben Yugos. Oma und Onkel laufen an dem gestrandeten Wagen vorbei, den allein Schlingen, Äste und Lianen in der Luft halten. Ich nähere mich vorsichtig dem in Dornenranken geschnürten Wagen und reiße mir einen blutigen Striemen in den Unterarm, als ich ein paar Zweige zur Seite drücke, um einen Blick auf das Kennzeichen zu werfen. Unser alter Yugo, der ausnahmslos jedes Mal auf dieser Strecke stehen geblieben ist, Esel, Idiot, Kretin von einem Auto, wie ihn Vater dann nannte, hat seinen letzten Parkplatz gefunden. Ein Auto verliebt in einen Weg — anders kann ich mir das, was ich sehe, nicht erklären.
Das Pflanzenspalier öffnet sich zu einer Wiese, hier hört der Weg auf, hier ist es noch nie weitergegangen, hier liegt Tau und auf den Gipfeln Schnee. Zum Haus meiner Urgroßeltern geht es bergauf durch den Pflaumengarten. Die Bäume wurden seit langem nicht mehr abgeschliffen, Grind und Moos haben sich an ihre Rinde gesaugt, Pilze sprießen am Fuß der Stämme. Wer denkt an was? frage ich mich, als Oma, Onkel, dann ich, nacheinander über die Rinde eines der Bäume streichen.
Im Hof zwischen Stall und Haus steht ein Tisch, das Tischtuch aus weißen Laken ist mit Steinen beschwert. Am Kopfende greift sich Ur-Opa Nikola in das lange Haar. Der Wind, Kinder, der Wind, singt er, fasst mein Kinn und meinen Schädel mit knochigen Fingern. Aleksandar, meine Sonne, singt er heiser, Miki, komm her, halt dich an mir fest, klagt er.
Ur-Opa ist seltsam länglich geworden, barfuß sucht er Halt auf feuchtem Gras, wehrt sich gegen den Wind. Sein Gehrock, fleckig und zerknittert, reicht ihm kaum über die Hüften, das dunkle Gesicht von Moos und Pilz bewachsen — es sind nur Schatten. Er singt uns willkommen, es will aber kein Lied werden, Ur-Opas Stimme ist eine heisere Feile, die den Wörtern die Kraft abschleift.
Ur-Oma hat das Haar geflochten und die Zöpfe zu einer Krone dunklen Silbers um den Kopf gewickelt. Sie sitzt im Schafsfellmantel, Blumenkittel und Wollstrümpfen über Gummistiefeln, breitbeinig auf dem großen Stein beim leeren Schweinegehege. Sie bleibt auch sitzen, als ich sie begrüße, bleibt sitzen, als ich sie umarme, ganz weich ist sie, ich drücke sie an mich, wie umarmt man jemanden, der federleicht ist und steinalt, wie fest darf man drücken?
Ur-Oma? Ich berühre sie an der Schulter. Ur-Oma? An ihren Stein geschmiegt kaut meine Ur-Oma mit offenem Mund an einem unsichtbaren Bissen, kratzt mit dem Fingernagel in den Stein, sieht mit ihren großen braunen Augen durch alles hindurch.
Für dich immer noch Marshall Rooster! wird sie rufen und ihre Augenklappe aufsetzen, wenn ich ihr den Rücken zudrehe. Ich drehe ihr den Rücken zu, und es donnert über den Bergen.
Es gibt etwas Räucherfleisch, in dicken und schiefen Scheiben, es gibt verkrusteten Schafskäse, es gibt das Brot, das Brot ist warm und weich und süß, es gibt trüben Pflaumensaft, es gibt Kajmak, Oma Katarina spült noch einmal das Besteck, und dann essen wir doch mit den Fingern; es gibt gekochte Kartoffeln, es gibt die Schalenreste auf den gekochten Kartoffeln, es gibt sieben Zahnstocher. Onkel Miki schneidet das Brot, Oma nimmt ihm das Messer aus der Hand. Es gibt Griebenschmalz, es gibt Salz, es gibt zwei Zwiebeln, es gibt hackfleischgefüllte Paprika, es gibt Sauergurken, es gibt die Diätmarmelade aus Deutschland, es gibt Schnaps und süßen Wein, davon können Blinde wieder sehen, sagt Ur-Opa heiser und hebt sein Glas. Auf meinen Slavko, sagt er, trinkt und bleibt stehen. Die ganze Zeit bleibt Ur-Opa am Kopf des Tisches stehen, und Ur-Oma isst auf ihrem Stein, mit dem Teller im Schoß. Wie geht es dem Ischias, Vater? fragt Oma; was ist das? antwortet Ur-Opa, und habe ich euch mal erzählt, fragt er, wie ich neunzehnvierzehn gegen die Österreicher eine Brücke war? Es gibt gekochten Sellerie, es gibt einen Hunger, den ich nicht stillen kann, es gibt hier keine Nachbarn, die füttern sich gegenseitig, sagt Ur-Opa, und lassen Krankheiten für sie entscheiden, wo ihnen der Kopf wächst und wo ihnen der Arsch hängt. Es gibt Risse in der Fassade, es kommt kein Grunzen aus dem Schweinestall, es gibt mitten im Hof das Grab für Petak.
Meine Mileva und ich, sagt Ur-Opa, werden den Himmel überleben.
Das Essen in Körben laufen wir zum kleinen Friedhof. Zur Seelenmesse wird zwei Mal gegessen, erklärt mir Oma, erst ohne den Toten, dann mit ihm, dazu gibt es Wein.
Opa hätte von solchen Bräuchen nichts gehalten, sage ich.
Die Wolkendecke hängt schwer und schwarz über den Pflaumenbäumen, die dürren Äste strecken sich zu den Blitzen. Es geht, sagt Oma, um das Beieinandersein.
Ur-Opas weißes Haar liegt im Wind wie ein Schleier. Ich hole ihn ein, will wissen, was mit Ur-Oma los sei, sie war von ihrem Stein nicht zu lösen.
Meine Mileva hat den leichtesten Kopf auf der Welt, sagt er und springt plötzlich zur Seite, schlägt mit Händen um sich und winkelt den Arm an, als würde er etwas in den Schwitzkasten nehmen, worauf es schlagartig windstill wird. Meine Mileva, sagt er außer Atem, mit etwas Großem unter dem Arm ringend, steht von ihrem Stein nur auf, wenn es Wichtiges zu tun gibt oder die Nacht zum Schlafen kommt.