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Anvar krampfte seine Finger um den Rahmen der Harfe, damit seine Hände zu zittern aufhörten. Aurian machte einen Schritt nach vorn und streckte die Arme aus, um ihn an sich zu ziehen. »Mein Geliebter …« hauchte sie.

»… so lange ich dich habe, habe ich auch Hoffnung.« Als diese letzten Worte, die die wahre Aurian zu ihm gesprochen hatte, durch seine Gedanken hallten, war der Bann der Cailleach plötzlich gebrochen.

»Laß mich in Frieden!« fauchte der Magusch. »Was soll ich mit einem schalen Ersatz, wenn ich doch die wirkliche Liebe meiner Auserwählten haben kann?«

Mit einem blendenden Lichtblitz verschwand die Vision von Aurian. Die Cailleach stand wieder in der Gestalt einer alten Frau vor ihm – und zu Anvars Erstaunen lächelte sie. Sie war nicht länger die Verführerin, nicht länger eine gewaltige Gestalt voller Majestät, sondern sah jetzt aus wie eine weise und freundliche Großmutter. »Zauberer, du hast den Test bestanden«, sagte sie sanft. »Du bist der Harfe wahrhaft würdig – denn nur einem Geschöpf mit einem wirklich liebenden und treuen Herzen kann ich so sehr vertrauen, daß ich ihm eine so gewaltige Macht mit in die Welt gebe.«

Mit diesen Worten nahm die Herrin der Nebel ein silbernes Messer aus ihrem Gürtel und schnitt sich eine Locke aus ihrem langen Haar. Dann streckte sie die Hand nach der Harfe aus, die der erschrockene Magusch noch immer fest umklammerte, und ließ ihre Finger über das glitzernde Artefakt gleiten. Die schneeweiße Locke verschwand, verwandelte sich in einen Wasserfall silberner Saiten, die nun den Rahmen der Windharfe zierten. Ungeheure Macht schäumte in Anvar auf, und glückseliger Sternengesang durchflutete ihn. Der Stab der Erde, der in seinem Gürtel steckte, flammte in einem wunderbaren grünen Licht auf, um sich dem silbernen Funkeln der Harfe anzuschließen. Die Herrin der Nebel hob noch zum Abschied die Hand …

 … und Anvar fand sich auf einem verschneiten Berggipfel wieder und blickte in die Sonne, die sich über Aerillia erhob. Eine letzte Botschaft der Cailleach hallte durch seine Gedanken, und in seinen Händen lag die Harfe der Winde.

Die Träger der Himmelsleute waren über das anschwellende Leuchten, das aus den Ruinen des Tempels kam, zutiefst erschrocken. Nur die Tatsache, daß sie vor Aurian noch mehr Angst hatten, brachte sie dazu, die Magusch überhaupt dorthin zu fliegen. An Ort und Stelle angekommen, ließen sie sie jedoch mitsamt ihrem Netz mitten auf die Trümmer des Gebäudes fallen und flohen, als gelte es ihr Leben.

Die Magusch befreite sich aus den Maschen des Netzes und bahnte sich ihren Weg über Schotter und Trümmer direkt auf die Quelle des unirdischen Lichtes zu. Ihr Schwert – ihr lieber, vertrauter Coronach, den sie aus Incondors Turm hatte retten können – lag fest in ihrer Hand, aber sie bemerkte doch, daß ihr die beruhigende Macht des Erdenstabes fehlte. Sie hatte keine Ahnung, was sich hinter dem flackernden Regenbogenleuchten verbarg – aber soviel stand fest: Es lag mit Sicherheit jenseits der Reichweite jeder menschlichen Waffe. Trotz der Furcht, die ihr Herz rasen ließ, ging Aurian mitten hinein in das Herz des Leuchtens, das sie so unwiderstehlich anzog wie eine Kerze die Motte.

Als die Magusch sich noch einen Schritt weiter wagte, begann das funkensprühende Leuchten zusammenzufallen und zu schmelzen, um eine menschliche Gestalt zu formen, die ganz in blendendes Licht eingehüllt war. Eine schlaksige, geschmeidige, herzzerreißend vertraute Gestalt …

»Anvar!« rief Aurian. Dann stürzte sie nach vorn und achtete dabei nicht auf die Steine, die unter ihren Füßen gefährlich ins Rutschen gerieten. Ihr Herz flog ihr voraus. Dann umarmten sie einander und lachten und weinten und redeten gleichzeitig.

»Ich dachte, ich würde dich nie wiedersehen!«

»Dank den Göttern, daß du in Sicherheit bist!«

»Geht es dem Kind gut?«

»Wo bist du gewesen

Während ihre Worte sich überschlugen, begannen sie beide wieder zu lachen und klammerten sich mit einer leicht hysterischen Heiterkeit aneinander, die reiner Erleichterung entsprang. Aurian wischte sich die Tränen des Glücks vom Gesicht und sah Anvar an. Seine blauen Augen verbanden sich in einem Aufblitzen von Licht mit den ihren, und Aurian erzitterte, verblüfft über ihr eigenes Verlangen. »Mein Geliebter …« hauchte sie.

Anvar zog sie an sich, und als seine Lippen die ihren berührten, spürte sie das feurige Aufflammen der Leidenschaft – dieselbe explosive, machtvolle Woge der Liebe und Sehnsucht, die sie vor so langer Zeit unwissentlich benutzt hatte, um Anvar in den Sklavenlagern der Khazalim aus den Fängen des Todes zu befreien. Und genauso wie damals schienen ihre Seelen sich zu berühren – schienen sich zu begegnen und miteinander zu verschmelzen, als Aurian die Glückseligkeit Anvars spürte, die sich mit ihrer eigenen mischte und sie beide auf die höchsten Gipfel trug …

Aurian keuchte. Niemand hatte ihr je gesagt, wie die Liebe zwischen zwei Magusch sein konnte! Da sie früher einen sterblichen Geliebten hatte, hatte sie diese tiefe, intensive Verbindung der Herzen und der Gemüter nie erfahren. Die Magusch spürte Anvars verblüffte Freude in ihren Gedanken, die zu ihrem eigenen, schwindelerregenden Glück paßte und es noch vergrößerte. Sein Mund legte sich gierig auf den ihren, und seine Hand erkundete ihr Gesicht und ihren Körper und fachte die Lust an, die sie so lange hatte vermissen müssen. Sie bemerkten beide nicht, wie scharf die Steine waren, als sie zu Boden sanken. Und dort, auf den Überresten des Yinze-Tempels, in den Ruinen eines Traumes, den ein böser Priester geträumt hatte, erfüllten Anvar und Aurian endlich eine Liebe, die mit Not und Elend begonnen und sie um die halbe Welt geführt hatte, um zuerst Freundschaft und schließlich Leidenschaft zu werden.

Als sie endlich in der Lage waren, irgend etwas anderes als einander wahrzunehmen, stand die Sonne bereits hoch genug, um über die zerschmetterten Wände in den zerstörten Tempel hineinzuspähen. Anvar seufzte zufrieden und streckte die Hand aus, um Aurian eine widerspenstige Locke von ihrer glühenden Wange zu streichen. »Du warst es wahrhaftig wert, daß ich auf dich gewartet habe«, flüsterte er ihr sanft ins Ohr.

Aurian grinste schelmisch. »Plötzlich verstehe ich gar nicht mehr, warum ich dich so lange habe warten lassen!«

»Du warst noch nicht bereit, meine Liebste«, antwortete Anvar ihr ernst – dann erwiderte er ihr Lächeln. »Abgesehen davon, daß du natürlich das abscheulichste, sturste und widerspenstigste Weib warst …«

»Na, wenn das keine Frechheit ist«, polterte Aurian, aber Anvar brachte ihren Protest mit einem Kuß zum Schweigen.

»Was ist mit dem Kind passiert?« fragte er sie, als sie beide wieder atmen konnten. Einen Augenblick lang bewölkte sich Aurians Miene – dann hob sie entschlossen das Kinn.

»Es ist wunderschön«, sagte sie mit fester Stimme. »Und es wird wieder in Ordnung kommen, das weiß ich. Wir müssen nur eine Möglichkeit finden, Miathans Fluch aufzuheben.«

Anvar hörte mit wachsender Traurigkeit und Sorge zu, als Aurian ihm von Wolf erzählte. Er wollte gerade etwas sagen, als er jäh unterbrochen wurde.

»Willkommen daheim, Anvar!« Die Stimme in seinen Gedanken kam natürlich von Shia, und Aurians schiefes Lächeln verriet ihm, daß auch sie die Katze gehört hatte. »Aurian – ich sollte dich vielleicht warnen, daß die Leute hier angefangen haben, nach dir zu suchen«, fuhr die große Katze fort, und ihre Stimme nahm plötzlich einen spöttischen Klang an. »Ansonsten hätte ich es natürlich nie gewagt, euch zu stören …«

»Du hast gelauscht?« Anvar spürte, wie sein Gesicht heiß wurde, und als er zu Aurian hinüberblickte, sah er, daß auch sie errötet war.

»Es ließ sich ja kaum vermeiden, euch zu hören«, schnaubte Shia. »Ich würde sagen, daß eure Gefühle im ganzen Land der Xandim deutlich zu vernehmen waren!« Ihre Gedankenstimme wurde plötzlich leiser, und sie hörte auf, sie zu necken. »Ich freue mich ja so für euch beide. Unglücklicherweise wird die Welt jedoch nicht auf euch warten. Rabe hat euch etwas zu sagen …«