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Die Menge strömte wieder zurück und strebte in die Bars. Die Barmädchen kehrten auf ihre Posten zurück und erhoben augenblicklich Hände und Stimmen zu einem kreischend schrillen Refrain beleidigten Entsetzens.

«Jemand hat sämtliche Einnahmen geklaut!«

«Was für eine Unverschämtheit! Alles weg, auch unsere Trinkgelder!«

In den verschiedenen Totogebäuden standen die Wettscheinverkäufer entgeistert da. Der größte Teil der gewaltigen Einnahmen für das wichtigste Rennen des Tages war einfach verschwunden.

Angelisa Ludville betrachtete ihre geplünderte Bargeldkasse mit fassungslosem Staunen. Weiß und zitternd stimmte sie in das Getöse der Stimmen ein.»Das Geld ist weg.«

Cawdor-Jones nahm mit dem Ausdruck ängstlicher Verzweiflung Bericht um Bericht entgegen. Er wußte, daß nach der Massenflucht Richtung Rasen keine einzige Tür abgesperrt worden war. Er wußte, daß keinerlei Sicherheitsmaßnahmen ergriffen worden waren. Der Rennplatz war für eine solche Situation nicht gerüstet. Das Komitee würde zweifellos ihm die Schuld geben. Würde ihm vielleicht sogar kündigen.

Um sechzehn Uhr dreißig hörte er sich mit erstaunter Erleichterung an, was die Polizei Neues zu berichten hatte — ein Mann war festgenommen worden und versuchte zu erklären, wieso sein Fernglasfutteral überquoll von benutzten Banknoten, die vielfach noch das frische, von der Benutzung eines feuchten Bierglases als Briefbeschwerer herrührende Wasserzeichen trugen.

Am Montagmorgen erschien Tricksy Wilcox mit düsterer Miene vor einem Richter und wurde für sieben Tage in Untersuchungshaft geschickt. Die große Idee war doch nicht so toll gewesen, und diesmal würden sie ihn zweifellos für mehr als neun Monate in den Bau schik-ken.

Nur ein einziger Gedanke hellte seine Zukunft auf. Die Polizei hatte das ganze Wochenende versucht, eine Information aus ihm herauszubekommen, und er hatte den Mund fest geschlossen gehalten. Wo, wollten sie wissen, hatte er den größten Teil seiner Beute versteckt?

Tricksy sagte nichts.

In dem Fernglasfutteral war nur für ein Zehntel des gestohlenen Geldes Platz gewesen. Wo hatte er den Hauptteil versteckt?

Tricksy sagte es ihnen nicht.

Er würde besser wegkommen, hieß es, wenn er den Rest dem Gericht aushändigte.

Tricksy glaubte es nicht. Er grinste hämisch und schüttelte den Kopf. Tricksy wußte aus Erfahrung, daß es ihm als dem Besitzer eines großen, versteckten Schatzes in nächster Zeit weit besser gehen würde. Man würde ihn respektieren. Mit geziemender Ehrfurcht behandeln. Er würde einen gewissen Status haben. Nichts auf Erden hätte ihn dazu bewegen können, alles auszuplaudern.

Am Montagmorgen ging Major Cawdor-Jones mit hochrotem Kopf zu einer Krisensitzung seines Vorstandes und stimmte hilflos Bellamys in scharfem Tonfall wiederholter

Meinung zu, daß die Sicherheitsvorkehrungen der Rennbahn eine Schande waren.

«Ich habe Sie gewarnt«, bemerkte Bellamy zum zehnten selbstgerechten Mal.»Ich habe Sie alle gewarnt. Wir brauchen mehr Schlösser. Es gibt hervorragende Schnappschlösser für die Bargeldkassen im Toto zu kaufen. Ich habe mir sagen lassen, daß man das ganze Geld binnen fünf Sekunden sicher verschließen kann. Ich schlage vor, daß diese Vorrichtungen umgehend überall auf der Rennbahn angebracht werden.«

Er blickte streitlustig vom einen zum anderen. Roskin hielt den Blick gesenkt und schürzte lediglich die Lippen, und Kingdom Hill traf jetzt, da das Kind in den Brunnen gefallen war, den Entschluß, alles sicher zu verriegeln.

Am Montagabend schenkte Angelisa Ludville sich einen doppelten Gin ein, schaltete den Fernseher ein und legte die Füße hoch. Neben ihr lag ein Stapel abgestempelter und adressierter Umschläge, deren jeder einen Scheck für eine der gefürchteten Rechnungen enthielt. Sie seufzte zufrieden. Nie, dachte sie, würde sie den Schock beim Anblick ihrer leeren Kasse vergessen. Nie würde sie den Schrecken verwinden, den sie ausgestanden hatte. Nie würde sie die Woge der Erleichterung vergessen, als ihr klar wurde, daß alle ausgeraubt worden waren, nicht nur sie allein. Weil sie nämlich ganz genau wußte, daß es eine der anderen Kassen gewesen war, deren Einnahmen sie hatte mitgehen lassen, als alle zum Ausgang gerannt waren. Es wäre schlicht und einfach dumm gewesen, das Geld aus ihrer eigenen Kasse zu stehlen. Sie konnte ja nicht wissen, daß es noch einen anderen, ehrgeizigeren Dieb gegeben hatte. Es wäre schlicht und einfach töricht gewesen, ihre eigene Kasse zu bestehlen. Außerdem war an dem anderen Schalter viel mehr Bargeld zu holen gewesen.

Am Montagabend saß Kevin Cawdor-Jones in seiner Junggesellenwohnung und dachte über die zweite Durchsuchung von Kingdom Hill nach. Den ganzen Sonntag lang hatte die Polizei noch einmal jede Ecke und jeden Winkel untersucht, aber langsam diesmal und ohne Furcht, weil sie nicht Zunder, sondern Zaster suchten. Cawdor-Jones hatte ihnen willig seine Unterstützung angeboten, aber man hatte nicht das Geringste gefunden. Das Geld war spurlos verschwunden.

«Tricksy muß einen Partner gehabt haben«, sagte der mit dem Fall betraute Polizeibeamte verdrossen.»Aber wir kriegen kein Sterbenswort aus ihm raus.«

Cawdor-Jones, ungekündigt in seinem Verwaltungsposten, lächelte sanft bei der Erinnerung an diese letzten Tage. Er war ein impulsiver Mensch, mutig und von schnellem Entschluß, und er hatte das Beste aus der Gelegenheit gemacht, mit der Tricksy Wilcox ihn versorgt hatte.

Cawdor-Jones, an dessen Nervenkraft nie gezweifelt werden konnte, war am Samstagabend ungehindert mit dem Jackpot vom Toto im Wagen heimgefahren.

Er beugte sich über die Armlehne seines Sessels und fuhr mit einer zärtlichen Geste über seine prall gefüllte Aktentasche.

Rot, rot, tot

Obwohl die Erzählung an dieser Stelle das erste Mal veröffentlicht wird, spielt >Rot, rot, tot< in der Vergangenheit (in den Jahren 1986 und 1987, um genau zu sein), zum Teil deshalb, weil die Vorschriften zur Mitnahme von Handfeuerwaffen vom europäischen Festland nach England durch das Feuerwaffengesetz von 1988 verschärft wurden.

Emile Jacques Guirlande, ein Franzose, fürchtete sich Eauf eine Weise vorm Fliegen, die an Phobie grenzte. Selbst Werbeplakate, auf denen Flugzeuge zu sehen waren, und insbesondere laufende Flugzeugmotoren, führten bei ihm zu unangenehm beschleunigtem Herzschlag und trieben ihm winzige Tröpfchen kalten Schweißes auf die Stirn. Infolgedessen reiste er zu Land und zu See, wenn seine weltweiten unternehmerischen Aufgaben ihn aus seinem Pariser Haus fortriefen. Überdies paßte diese geruhsamere Art des Reisens auch besser zu seinem vorsichtigen Wesen. Er ging seine Arbeit gern mit Bedacht an und plante für jede Eventualität voraus. Panikreaktionen auf unvorhergesehene Schwierigkeiten waren für einen Mann von seinem methodischen Denken die Torheit von Amateuren.

Emile Jacques Guirlande war Mörder von Beruf, ein Killer, der weder verdächtigt noch gefangen wurde, ein ruhiger, gesitteter Mann, der jede Aufmerksamkeit mied, der aber im Alter von siebenunddreißig Jahren erfolgreich sechzehn Zielpersonen aus dem Weg geräumt hatte, genauer: sieben Geschäftsmänner, acht Ehefrauen und ein Kind.

Er war natürlich teuer. Und auch verläßlich, einfallsreich und herzlos.

Mit sieben verwaist und nie adoptiert, aufgewachsen in Institutionen, war er selbst nie von Herzen geliebt worden, noch hatte er jemals für ein lebendes Wesen (mit Ausnahme eines Hundes) freundschaftliche Zuneigung empfunden. Beim Militärdienst in der Armee hatte er schießen gelernt, und eine angeborene Sachkundigkeit im Umgang mit Feuerwaffen, vereint mit einem wachsenden Hunger nach Macht, hatten ihn anschließend veranlaßt, eine Stelle als Teilzeitlehrer in einem Schießsportverein anzunehmen, wo Gespräche über den Tod wie Kordit in der Luft schwelten.

>Gelegenheiten< wurden Emile Jacques per Post über einen nicht identifizierten Mittelsmann angetragen, den er nie kennengelernt hatte. Bevor er einen Auftrag annahm, unterzog er ihn einer gründlichen Untersuchung. Emile hielt sich für erste Klasse. Der amerikanische Ausdruck» Totschläger «war für einen Mann von seiner Gesinnung unbedingt vulgär. Emile nahm einen Auftrag erst dann an, wenn er sich sicher war, daß sein Kunde zahlen konnte, zahlen würde und nicht nachher von weinerlicher Reue überwältigt zusammenbrach. Überdies bestand Emile auf der Konstruktion wasserdichter Alibis für jeden Kunden, auf den ein überwältigender Verdacht fallen mußte. Und obwohl das durchaus einfach klang, war dies bisweilen der Faktor gewesen, der allein über Tun oder Lassen entschieden hatte.