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»Was soll das heißen? Wie?«

»Nun, Sir, wie Sie wissen, bin ich nicht der erste Fremde, der nach Gethen kommt. Vor mir war bereits eine Gruppe von Investigatoren hier, die sich aber nicht ankündigten, sondern so gut es ging als Gethenianer tarnten. Ein Jahr lang sind sie in Karhide, Orgoreyn und dem Archipel herumgereist. Dann verließen sie Gethen wieder und erstatteten dem Rat der Ökumene Bericht: das war vor vierzig Jahren, während der Regierungszeit Ihres Großvaters, und ihr Bericht fiel überaus positiv aus. Deswegen studierte ich alle Informationen, die sie gesammelt, sowie die Sprachen, die sie aufgezeichnet hatten, und kam. Möchten Sie einmal sehen, wie der Apparat funktioniert, Sir?«

»Ich liebe keine Tricks, Mr. Ai.«

»Es ist kein Trick, Sir. Einige Ihrer eigenen Wissenschaftler haben ihn…«

»Ich bin kein Wissenschaftler.«

»Sie sind ein Monarch, Sir. Ihre Amtsbrüder auf der Präsidiumswelt der Ökumene warten auf ein Wort von Ihnen.«

Er starrte mich wütend an. Bei dem Versuch, ihm zu schmeicheln und sein Interesse zu wecken, hatte ich ihn in eine Prestige-Falle manövriert. Alles ging schief.

»Nun gut. Fragen Sie Ihre Maschine da, was ein Verräter ist.«

Langsam tippte ich auf den Tasten, die auf karhidische Buchstaben eingestellt waren:»König Argaven von Karhide fragt die Stabilen auf Hain, was ein Verräter ist.«Die Lettern leuchteten auf dem kleinen Bildschirm auf und verblaßten wieder. Argaven sah zu; seine rastlosen Augen standen endlich einmal still.

Nun kam eine Pause — eine lange Pause. Zweifellos war jetzt, zweiundsiebzig Lichtjahre entfernt, irgend jemand fieberhaft damit beschäftigt, Fragen in den Sprachencomputer für Karhidisch, wenn nicht sogar in einen Philosophiespeichercomputer zu füttern. Endlich leuchteten die Buchstaben auf dem Bildschirm auf, blieben eine Weile stehen und verblaßten dann langsam:»An König Argaven von Karhide auf Gethen. Grüße. Ich weiß nicht, was ein Verräter ist. Niemand hält sich für einen Verräter, daher ist es schwierig, die Antwort auf diese Frage zu finden. Hochachtungsvoll, Spimolle G. F. in Vertretung der Stabilen, Saire auf Hain, 93/1491/45.«

Als die Bandaufzeichnung fertig war, zog ich sie heraus und reichte sie Argaven. Er warf sie achtlos auf den Tisch, ging wieder zum mittleren Kamin, so nah, daß er beinahe hineinfiel, trat gegen die lodernden Scheite und schlug mit der flachen Hand nach den Funken.»Eine Antwort, mit der ich ebensoviel oder so wenig anfangen kann wie mit der Antwort eines Weissagers. Doch Antworten genügen nicht, Mr. Ai. Genausowenig wie Ihr Kasten da, Ihre Maschine. Und Ihr Fahrzeug, Ihr Schiff. Ein Sack voll Tricks, und ein Schwindler. Sie verlangen von mir, daß ich Ihre Märchen und Botschaften glaube. Aber warum sollte ich Ihnen glauben, warum Ihnen überhaupt zuhören? Sie sagen, daß unter den Sternen achtzigtausend Welten voll Monstren existieren. Na und? Wir wollen nichts von ihnen. Wir haben unseren Lebensweg gewählt und folgen ihm schon seit langer Zeit. Karhide steht am Beginn einer neuen Epoche, eines großartigen neuen Zeitalters. Wir gehen unseren eigenen Weg.«Er stockte, als habe er den Faden seiner Beweisführung verloren. Die möglicherweise gar nicht mal seine eigene war: Wenn Estraven nicht mehr das Ohr des Königs war, mußte ein anderer seinen Platz einnehmen.»Und wenn diese Ökumenen von uns etwas wollten, dann hätten sie Sie nicht ganz allein hergeschickt. Nein, nein, das Ganze ist ein Witz, ein schlechter Scherz. Sonst wären jetzt Tausende von Fremden hier.«

»Man braucht nicht tausend Mann, um eine Tür zu öffnen, Sir.«

»Aber vielleicht, um sie offenzuhalten.«

»Die Ökumene wird warten, bis Sie sie öffnen, Sir. Sie wird Ihnen nichts aufzwingen. Ich wurde allein geschickt, und bleibe allein hier, damit es Ihnen unmöglich ist, mich zu fürchten.«

»Fürchten — Sie?«sagte der König mit lauter, schriller Stimme, während er mir sein schattenzernarbtes, grinsendes Gesicht zuwandte.»Aber ich fürchte Sie ja, Gesandter. Ich fürchte diejenigen, die Sie geschickt haben. Ich fürchte Lügner, ich fürchte Schwindler und am meisten fürchte ich die bittere Wahrheit. Und darum regiere ich mein Land gut. Denn einzig die Furcht regiert die Menschen. Sonst nichts. Nichts dauert lange genug. Sie sind das, was Sie zu sein behaupten, und dennoch sind Sie ein Witz, ein schlechter Scherz. Zwischen den Sternen ist nichts als leerer Raum, Schrecken und Dunkelheit, und plötzlich kommen Sie ganz allein aus diesem Schrecken und dieser Dunkelheit, diesem Nichts hierher und versuchen, mich in Furcht zu versetzen. Aber ich fürchte mich bereits, und außerdem bin ich der König. Die Furcht ist König! Jetzt nehmen Sie Ihre Siebensachen und verschwinden Sie. Es gibt nichts mehr zu sagen. Ich habe befohlen, Ihnen in Karhide volle Bewegungsfreiheit zu gewähren.«

Und so entfernte ich mich — iiik-iiik, iiik-iiik — aus der Gegenwart des Königs und schritt über den endlosen, roten Fußboden durch das rötliche Dämmerlicht des Saals, bis sich die Doppeltüren hinter mir schlossen.

Ich hatte versagt, in jeder Hinsicht versagt. Was mich aber beunruhigte, als ich das Haus des Königs verließ und durch das Palastgelände wanderte, war nicht mein Versagen, sondern die Rolle, die Estraven dabei gespielt hatte. Warum hatte ihn der König wegen seiner Fürsprache für die Ökumene verbannt, wie es aus der Proklamation hervorging, da er doch, wenn man dem König glauben wollte, genau das Gegenteil getan hatte? Wann hatte er dem König wohl zuerst geraten, mir aus dem Weg zu gehen? Und warum? Warum wurde er verbannt, während man mich laufen ließ? Wer von den beiden hatte mehr gelogen, und, zum Teufel noch mal, aus welchem Grund logen sie?

Estraven, um seine Haut zu retten, entschied ich schließlich; der König, um sein Gesicht zu wahren. Eine glatte, saubere Erklärung. Aber hatte mich Estraven eigentlich jemals belogen? Mir wurde klar, daß ich keine Antwort darauf wußte.

Ich kam am Roten Eckgebäude vorbei. Das Gartentor stand weit offen. Ich warf einen Blick hinein, auf die Serem-Bäume, die sich weiß über den dunklen Teich neigten, die Fußpfade aus rotem Backstein, die verlassen im stillen, grauen Licht des Nachmittags lagen. Leichter Schnee bedeckte die Stellen, auf die die Felsbrocken am Teich ihre Schatten warfen. Ich dachte daran, wie Estraven gestern abend, als der Schnee fiel, hier auf mich gewartet hatte, und spürte auf einmal Mitleid mit diesem Mann, der gestern noch, auf dem Höhepunkt seiner Karriere, kraftvoll und großartig, im Festzug unter dem Gewicht seiner Galakleidung und seiner Macht geschwitzt hatte. Und jetzt — alles verloren! Auf der Flucht zur Grenze, während der Tod ihm mit drei Tagen Abstand folgte, während nicht ein einziger Mensch mit ihm sprach. In Karhide wird nur selten ein Todesurteil verhängt. Das Leben auf Winter ist hart, deswegen überläßt man es im allgemeinen der Natur oder dem Zorn, einen Menschen zu töten, nicht dem Gesetz. Ich fragte mich, wie Estraven, von diesem Urteil verfolgt, wohl reisen würde. Bestimmt nicht mit einem Wagen, denn die waren hier alle Palasteigentum. Ob ihn ein Schiff oder Landboot mitnahm? Oder marschierte er zu Fuß über die Straßen, trug bei sich, was er tragen konnte? Die Karhider gehen fast immer zu Fuß; sie haben weder Lasttiere noch Flugvehikel, und der motorisierte Verkehr wird fast das ganze Jahr hindurch vom Wetter erschwert. Außerdem sind sie ein Volk, das niemals in Eile ist. Ich stellte mir den stolzen Mann vor, wie er da Schritt um Schritt ins Exil wanderte, eine kleine, mühsam sich weiterschleppende Gestalt auf dem langen Weg nach Westen zum Golf. All das ging mir durch den Kopf, als ich am Tor des Roten Eckgebäudes vorbeikam, aber es verflog auch wieder, und mit ihm meine wirren Spekulationen über das Verhalten und die Motive von Estraven und dem König. Die beiden waren für mich erledigt. Ich hatte versagt. Was nun?

Eigentlich hätte ich nach Orgoreyn, zu Karhides Nachbarn und Rivalen, gehen müssen. Doch einmal dort, wäre es vermutlich sehr schwer für mich gewesen, nach Karhide zurückzukehren, und ich mußte erst meine Aufgabe dort zu Ende bringen. Ich durfte keinen Augenblick vergessen, daß für die Erfüllung der Mission, die mir die Ökumene anvertraut hatte, mein ganzes Leben verwendet werden konnte und vielleicht auch würde. Also nur keine Eile. Es war nicht notwendig, überstürzt nach Orgoreyn abzureisen, bevor ich noch mehr über Karhide und vor allem über die Festungen in Erfahrung gebracht hatte. Zwei Jahre lang hatte ich Fragen beantwortet, nun würde ich selbst einige stellen. Aber nicht in Erhenrang. Endlich hatte ich begriffen, daß Estraven mich hatte warnen wollen, und wenn ich seiner Warnung auch mißtraute, so konnte ich sie doch nicht ignorieren. Er hatte mir, sehr indirekt, geraten, die Stadt und den Hof zu verlassen. Aus irgendeinem Grund mußte ich an Lord Tibes Zähne denken… Der König hatte mir volle Bewegungsfreiheit im Land gewährt; ich würde sie nutzen. Wie sagt man doch in der Schule der Ökumene? Wenn das Handeln nichts mehr einbringt, sammele Informationen; wenn die Informationen nichts mehr einbringen, schlafe. Ich war noch nicht müde. Ich wollte nach Osten zu den Festungen gehen, um dort — vielleicht — von den Weissagern Informationen zu erhalten.