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»Sie sind über mein Aussehen und meine Gewohnheiten ausgezeichnet informiert, Mr. Shusgis. Ich fühle mich sehr geschmeichelt; ich hätte nicht gedacht, daß mir mein Ruf vorausgeeilt ist.«

Er verstand, was ich damit sagen wollte.»Nein«, antwortete er,»man hätte Sie in Erhenrang ebensogut unter eine Schneewehe begraben können, wie? Aber man hat Sie gehen lassen; man hat Sie gehen lassen, und daran haben wir erkannt, daß Sie nicht einfach einer von diesen karhidischen Wahnsinnigen sind, sondern echt.«

»Ich glaube, ich kann Ihnen nicht recht folgen.«

»Nun, Argaven und seine Leute hatten Angst vor Ihnen, Mr. Ai — Angst vor Ihnen, und waren froh, als Sie ihrem Land den Rücken kehrten. Sie fürchteten, daß Vergeltung geübt würde, wenn Sie mißhandelt oder zum Schweigen gebracht würden. Ein Überfall aus dem Weltraum. Deswegen wagten sie es nicht, Hand an Sie zu legen. Deswegen versuchten sie, alles über Sie geheimzuhalten. Weil sie vor Ihnen und dem, was Sie Gethen bringen, Angst hatten.«

Das war übertrieben. Man hatte mich in den karhidischen Nachrichten keineswegs totgeschwiegen, wenigstens nicht, solange Estraven noch selbst regierte. Aber ich hatte bereits den Eindruck, daß in Orgoreyn alle Nachrichten über mich aus demselben Grund nicht weit herumkamen, und Shusgis bestätigte meinen Verdacht.

»Dann haben Sie also keine Angst vor dem, was ich Gethen bringe?«

»Nein, wir nicht!«

»Ich manchmal schon.«

Es beliebte ihm, darüber zu lachen. Ich erläuterte meine Worte nicht. Ich bin kein Verkäufer, ich verkaufe nicht Fortschritt an die Abos. Wir müssen uns als gleichwertige Partner gegenüberstehen, in gegenseitigem Verständnis und gegenseitiger Offenheit, sonst brauche ich mit meiner Mission gar nicht erst anzufangen.

»Mr. Ai, eine Menge Leute warten gespannt darauf, Sie kennenzulernen, die großen Tiere wie die kleinen, und darunter auch einige, mit denen Sie selbst gern sprechen möchten — diejenigen, die Einfluß haben. Ich habe um die Ehre gebeten, Ihr Gastgeber sein zu dürfen, weil ich ein großes Haus besitze, und weil ich überall als neutral bekannt bin; ich bin weder ein Anhänger der Dominations- noch einer der Freihandelspartei, sondern einfach ein schlichter Kommissar, der seine Pflicht tut und verhindert, daß man über die Wahl des Hauses tuschelt, in dem Sie absteigen.«

Er lachte.»Aber das bedeutet, daß Sie recht häufig an Einladungen teilnehmen müssen. Ich hoffe, Sie haben nichts dagegen.«

»Ich stehe ganz zu Ihrer Verfügung, Mr. Shusgis.«

»Dann werden wir heute abend zu einem kleinen Essen bei Vanake Slose erscheinen.«

»Dem Commensalen von Kuwera, dritter Distrikt, nicht wahr?«Ich hatte; bevor ich herkam, meine Schulaufgaben gut gelernt. Er machte ein großes Theater um die Tatsache, daß ich so gütig gewesen sei und mich herabgelassen habe, mich überhaupt mit seiner Heimat zu beschäftigen. Die Orgota hatten entschieden andere Manieren als die Karhider. In Karhide hätte so ein Theater entweder seinen eigenen shifgrethor herabgesetzt oder den meinen gekränkt; welches von beiden, wußte ich nicht genau, aber das eine oder das andere wäre mit Sicherheit der Fall gewesen. Es war fast bei allem und jedem der Fall.

Da ich meinen guten Erhenrang-Anzug beim Überfall auf Siuwensin verloren hatte, brauchte ich für die Einladung neue Kleider. So nahm ich am selben Nachmittag noch ein Regierungstaxi, fuhr in die Stadt und besorgte mir eine Orgota- Ausstattung. Hieb und Hemd waren ganz ähnlich wie die in Karhide, statt Sommerkniehosen jedoch trug man hier das ganze Jahr hindurch hüfthohe Gamaschen, die steif und unbequem waren. Als Farben herrschten grelle Blau- und Rottöne vor, Stoffe, Schnitt und Verarbeitung waren minderwertig. Es waren standardisierte Bekleidungsstücke, die mich erkennen ließen, was dieser eindrucksvollen, wuchtigen Stadt im Grunde fehlte: die Eleganz. Doch Eleganz ist der geringe Preis für den man für die Aufklärung zu bezahlen hat, und ich bezahlte ihn gern. Ich kehrte zu Shusgis’ Haus zurück, genoß ausgiebig die heiße Dusche, in der das Wasser als feiner, prickelnder Nebel von allen Seiten kam, und dachte an die kahlen Zinkwannen von Ostkarhide zurück, in denen ich im vergangenen Sommer gebibbert und geschnattert hatte, und an das vereiste Waschbecken in meinem Zimmer in Erhenrang. Was soll Eleganz? Es lebe die Bequemlichkeit! Ich warf mich in meinen grellroten Galaputz und ließ mich mit Shusgis in dessen chauffeurgelenktem Wagen zur Party fahren. In Orgoreyn gibt es mehr Bedienstete und mehr Dienstleistungen als in Karhide. Das kommt daher, weil alle Orgota Staatsangestellte sind; der Staat muß für alle Bürger eine Stellung finden und schafft das auch. So lautet jedenfalls die allgemein akzeptierte Erklärung, obgleich auch diese, wie die meisten Erklärungen auf dem Wirtschaftssektor, bei Licht betrachtet, am springenden Punkt vorübergeht.

Im Commensal Sloses hell erleuchtetem, hohem, weißem Empfangssaal befanden sich bereits zwanzig bis dreißig Gäste, von denen drei Commensale, die übrigen eindeutig Notabein der einen oder anderen Art waren. Dies war weit mehr als nur eine Gruppe neugieriger Orgota, die ›den Fremden‹ sehen wollten. Hier war ich keine Kuriosität, wie ich es ein ganzes Jahr lang in Karhide gewesen war, hier war ich kein Monstrum und kein Rätsel. Hier war ich offensichtlich ein Schlüssel.

Doch welche Tür sollte ich aufschließen? Einige unter den Anwesenden, diesen Staatsmännern und Beamten, die mich so überschwenglich begrüßten, schienen zu wissen, was sie wollten, oder zumindest eine Ahnung zu haben. Ich hatte keine.

Und während des Essens sollte ich auch nichts erfahren. Beim Essen vom Geschäft zu reden, gilt überall auf Winter, sogar im eisigen, barbarischen Perunter, als abstoßend vulgär. Sobald das Essen serviert wurde, schob ich meine Fragen auf und widmete mich einer zähflüssigen Fischsuppe, meinem Gastgeber und seinen Gästen. Slose war ein zierlicher junger Mann mit ungewöhnlich hellen, strahlenden Augen und einer leisen, gefühlvollen Stimme. Er wirkte wie ein Idealist, wie einer, der sich ganz an eine Sache hingeben kann. Mir gefiel seine Art, aber ich fragte mich, welcher Sache er sich wohl hingab. Zu meiner Linken saß ein Commensal, ein Mann namens Obsle, mit fettem Gesicht. Obsle war derb, jovial und auf eine plumpe Art wißbegierig. Beim dritten Löffel Suppe erkundigte er sich, ob ich, zum Teufel noch mal, tatsächlich auf einer anderen Welt geboren sei, und wie es dort wäre, tatsächlich wärmer als auf Gethen, wie alle behaupteten? Wie warm denn?

»Nun, auf Terra schneit es auf diesem Breitengrad niemals.«

»Es schneit niemals! Es schneit niemals?«Er lachte herzlich und voll Freude, so wie ein Kind über eine gelungene Lüge lacht.

»Bei uns gleichen die subarktischen Regionen Ihrer bewohnbaren Zone; wir haben unsere letzte Eiszeit länger hinter uns als Sie, aber ganz heraus sind wir auch noch nicht. Im Grunde sind sich Terra und Gethen ziemlich ähnlich. Wie alle bewohnten Welten. Der Mensch kann nur innerhalb einer begrenzten Varietät von Umweltbedingungen leben; Gethen ist das eine Extrem…«

»Ja, gibt es denn Welten, die noch heißer sind als Ihre?«

»Die meisten sind wärmer als meine. Einige sind richtig heiß; zum Beispiel Gde. Da gibt es nur Sand und Felswüste. Gde war von Anfang an heiß, aber eine ausbeuterische Zivilisation zerstörte vor fünfzig- oder sechzigtausend Jahren das ökologische Gleichgewicht des Planeten; sie schlug die Wälder, um Feuerholz daraus zu machen. Es gibt zwar heute noch Menschen dort, aber Gde gleicht — wenn ich den Text richtig verstanden habe — der Vorstellung der Yomesh- Religion von jenem Ort, an den die Diebe nach ihrem Tod geschickt werden.«