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Obsle, der die anderen überreden wollte, hatte gesagt:»Entweder fürchtet sich Karhide vor der Macht, die uns dieses Bündnis verleihen würde — vergeßt nicht, daß Karhide sich schon immer vor neuen Wegen und neuen Ideen fürchtete — und wird darum weit hinter uns zurückbleiben. Oder die Regierung in Erhenrang wird all ihren Mut zusammennehmen, wird ankommen und bitten, nach uns als zweiter aufgenommen zu werden. In jedem Fall wird der shifgrethor von Karhide stark angeschlagen, und in jedem Fall werden wir es sein, die den Schlitten lenken. Wenn wir jetzt klug genug sind, uns diesen Vorteil zunutze zu machen, werden wir immer im Vorteil bleiben, und zwar uneingeschränkt!«Dann, zu mir gewandt:»Aber die Ökumene muß bereit sein, uns zu helfen, Mr. Ai. Wir brauchen mehr Beweise, um sie unserem Volk zeigen zu können. Sie allein, ein einzelner Mann, den man in Erhenrang bereits kennt — Sie sind nicht genug.«

»Das sehe ich ein, Commensal. Sie möchten einen schönen, einleuchtenden Beweis, und den möchte ich Ihnen geben. Aber ich kann das Schiff erst herunterholen, wenn seine Sicherheit und Ihre Aufrichtigkeit mehr oder weniger garantiert sind. Ich brauche die Zustimmung und die Garantie Ihrer Regierung, die, wie ich annehme, aus dem gesamten Commensalengremium besteht, und ich verlange, daß sie ihre Zustimmung und Garantie öffentlich bekanntgibt.«

Obsle machte ein verdrießliches Gesicht, sagte aber:»Durchaus fair.«

Als ich mit Shusgis nach Hause fuhr, der zu der gesamten Diskussion den ganzen Nachmittag lang nichts als sein joviales Lachen beigetragen hatte, erkundigte ich mich:»Mr. Shusgis, was ist der Sarf?«

»Eines der Ständigen Büros der inneren Verwaltung. Verfolgt falsche Eintragungen, nicht genehmigte Reisen, Job- Unterschiebungen, Fälschungen und ähnliche Dinge. Mit einem Wort: Abschaum. Und das bedeutet ›Sarf‹ auch im Gassenjargon der Orgotasprache — Abschaum. Es ist ein Spitzname.«

»Dann sind die Inspektoren Agenten des Sarf?«

»Nun ja, einige schon.«

»Und die Polizei fällt vermutlich bis zu einem gewissen Grad ebenfalls in sein Ressort?«Ich formulierte die Frage sehr vorsichtig und erhielt eine ebenso vorsichtig formulierte Antwort.»Das nehme ich an. Ich bin natürlich in der äußeren Verwaltung beschäftigt und weiß nicht so genau über alle Büros der Inneren Bescheid.«

»Das ist auch, glaube ich, sehr schwer. Was ist zum Beispiel das Wasserbüro?«Auf diese Weise lenkte ich ihn so gut es ging vom Thema Sarf wieder ab. Was Shusgis über dieses Thema nicht gesagt hatte, mochte für einen Mann von Hain oder, sagen wir, dem friedlichen Chiffewar nicht die geringste Bedeutung haben; ich aber war auf der Erde geboren. Es ist nicht immer nur von Nachteil, kriminelle Vorfahren zu haben. Ein Großvater, der Brandstifter war, kann einem die Nase für Rauchgeruch vererben.

Es war amüsant und faszinierend gewesen, hier auf Gethen Regierungsformen zu finden, die denjenigen aus der terrestrischen Geschichte glichen: eine Monarchie und eine echte, blühende Bürokratie. Die allerneueste Entwicklung war ebenfalls faszinierend, allerdings weniger amüsant. Merkwürdig, daß in den weniger primitiven Gesellschaftsformen doch immer eine unheilvollere Atmosphäre herrscht!

So war also Gaum, der mich als Lügner hinstellen wollte, ein Agent der Geheimpolizei von Orgoreyn. Wußte er, daß Obsle ihn als solchen erkannt hatte? Zweifellos. War er dann also ein agent provocateur? Arbeitete er vorgeblich mit oder gegen Obsles Partei? Welche Fraktion in der Regierung der Dreiunddreißig beherrschte den Sarf oder wurde von ihm beherrscht? Auf all diese Fragen mußte ich unbedingt eine Antwort finden, aber das würde bestimmt nicht so leicht sein. Mein Kurs, der eine Zeitlang so ausgesehen hatte, als wäre er klar und aussichtsreich, schien plötzlich ebenso reich an Hindernissen und Geheimnissen zu sein wie in Erhenrang. Alles war gut und glatt gegangen, bis Estraven gestern abend schattengleich an meiner Seite aufgetaucht war.

»Welche Position nimmt Lord Estraven hier in Mishnory ein?«fragte ich Shusgis, der schon halb schlafend, tief in einer Ecke des weich dahinrollenden Wagens lag.

»Estraven? Wissen Sie, hier heißt er Harth. Wir haben in Orgoreyn keine Titel mehr; die haben wir abgeschafft, als die neue Epoche begann. Wie ich gehört habe, ist er ein Dependant von Commensal Yegey.«

»Lebt er nun für immer hier?«

»Das nehme ich an.«

Ich wollte schon sagen, es sei doch seltsam, daß er gestern abend bei Slose, aber heute nicht bei Yegey gewesen sei, als mir auf einmal einfiel, daß es in Anbetracht unseres kurzen Vormittagsgespräches durchaus nicht sonderbar war. Doch schon der Gedanke, daß er mir absichtlich aus dem Wege ging, gab mir ein Gefühl des Unbehagens.

»Sie haben ihn drüben auf der Südseite in einer Leim- oder Fischkonservenfabrik gefunden und ihn aus der Gosse geholt«, erklärte Shusgis, während er auf den weichen Polstern eine bequemere Position für seine breiten Hüften suchte.»Die vom Freihandel, meine ich. Er war ihnen natürlich sehr nützlich gewesen, als er noch Premierminister und in der kyorremy war; deswegen stehen sie ihm auch jetzt noch bei. Nach meiner Meinung hauptsächlich, um Mersen zu ärgern. Ha, ha! Mersen ist Tibes Spion und bildet sich natürlich ein, daß es niemand weiß, aber es wissen praktisch alle, und er kann Harth nicht ausstehen; er glaubt, daß er entweder ein Verräter oder ein Doppelagent sein muß, aber er weiß nicht genau, was er nun wirklich ist, und kann doch sein shifgrethor nicht aufs Spiel setzen, indem er es festzustellen versucht. Ha, ha!«

»Und wofür halten Sie Harth, Mr. Shusgis?«

»Für einen Verräter, Mr. Ai. Schlicht und einfach für einen Verräter. Hat den Anspruch seines Landes auf das Sinoth-Tal verkauft, um zu verhindern, daß Tibe an die Macht gelangt, und hat es nur nicht klug genug angefangen. Hier hätte man ihm eine härtere Strafe auferlegt als nur die Verbannung. Bei Meshes Titten! Sobald man gegen die eigene Seite spielt, verliert man das ganze Spiel. Das wollen diese Burschen, die keinen Patriotismus besitzen, sondern nur Eigenliebe, nicht begreifen. Obwohl es Harth vermutlich gleichgültig ist, wo er lebt, solange er nur weiterhin nach Macht streben kann. Wie Sie ja selbst sehen, ist er hier in den fünf Monaten gar nicht so schlecht gefahren.«

»Nein, gar nicht so schlecht. Das stimmt.«

»Sie trauen ihm auch nicht, wie?«

»Ganz recht, ich traue ihm nicht.«

»Das freut mich zu hören, Mr. Ai. Ich verstehe nicht, warum Yegey und Obsle so an diesem Kerl hängen. Er ist erwiesenermaßen ein Verräter, der nur auf seinen eigenen Vorteil aus ist und nun versucht, sich an Ihren Schlitten zu hängen, Mr. Ai, bis er auf eigenen Beinen weiter kann. So sehe ich das. Na ja, wenn er zu mir kommen würde — ich dächte gar nicht daran, ihn umsonst auf meinem Schlitten mitfahren zu lassen!«Shusgis keuchte und unterstrich seine Ausführungen mit einem energischen Kopfnicken; dann lächelte er mir zu, wie ein Ehrenmann dem anderen zulächelt. Der Wagen fuhr ruhig durch die breiten, hell erleuchteten Straßen. Der Schnee, der am Morgen gefallen war, bildete nur noch schmutzige Haufen in den Rinnsteinen; es regnete jetzt: ein kalter, feiner Nieselregen.

Die großen Gebäude der City von Mishnory — Regierungsgebäude, Schulen, Yomesh-Tempel — waren im weichen Schein der hohen Straßenlaternen so vom Regen verwischt, daß es aussah, als schmölzen sie. Die Hausecken waren nur undeutlich auszumachen, die Fassaden streifig, naß, verschmiert. Es lag etwas Fließendes, Substanzloses in der massiven Wucht dieser Monolithenstadt, dieses Monolithenstaates, der das Teil und das Ganze mit demselben Namen bezeichnete. Und Shusgis, mein jovialer Gastgeber, ein schwerer Mann, ein massiver Mann — auch er war an den Ecken und Kanten irgendwie ein bißchen vage, ein bißchen, ein winziges bißchen nur, irreal.