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Er war von seinem Distrikt, Süd-Rer, im Frühherbst als Vertreter in die kyorremy geschickt worden. Es ist nicht ungewöhnlich, daß die Einwohner der Handdara-Festungen zu Parlamentsmitgliedern gewählt werden; es ist jedoch ungewöhnlich, daß ein Weber dieses Amt übernimmt, und Faxe hätte es, wie ich glaube, auch ausgeschlagen, hätte er sich nicht wegen Tibes Regierung und die Richtung, in die sie das Land führte, die größten Sorgen gemacht. Aus diesem Grund hatte er die Goldkette des Webers abgelegt, um dafür die silberne der Ratsmitglieder umzuhängen. Und er hatte nicht lange gebraucht, um sich hervorzutun, denn schon im Thern war er zum Mitglied des Heskyorremy, des Inneren Rates, ernannt worden, der ein Gegengewicht zum Premierminister darstellt, und überdies war es der König persönlich gewesen, der ihn für dieses Amt vorgeschlagen hatte. Anscheinend befand er sich auf dem besten Wege zu jener Ranghöhe, aus der Estraven vor weniger als einem Jahr herabgestürzt war.

Politische Karrieren verlaufen in Karhide abrupt und steil, in beiden Richtungen.

Im Rundturm, einem kalten, pompösen, kleinen Haus, hatten Faxe und ich Gelegenheit, uns ausgiebig zu unterhalten, bevor ich mit irgend jemand anderem sprechen, eine offizielle Erklärung abgeben oder in der Öffentlichkeit auftreten mußte. Er richtete seinen klaren Blick auf mich und fragte dann:»Es kommt also ein Schiff aus dem Himmel zu uns; ein größeres Schiff als das, mit dem Sie vor drei Jahren auf der Horden- Insel gelandet sind. Ist das richtig?«

»Ja. Das heißt, ich habe einen Funkspruch abgeschickt, mit dem ich es aufforderte, herzukommen.«

»Und wann wird es kommen?«

Als mir jetzt plötzlich klar wurde, daß ich nicht einmal wußte, welchen Monatstag wir hatten, da wurde mir gleichzeitig bewußt, wie schlecht es mir in letzter Zeit gegangen war. Ich mußte bis zu dem Tag vor Estravens Tod zurückrechnen. Und als ich dann feststellte, daß sich das Schiff, falls es auf Minimumdistanz gewesen war, bereits in der Umlaufbahn um den Planeten befinden konnte und nur noch auf eine Nachricht von mir wartete, bekam ich den zweiten Schock.

»Ich muß mich unbedingt mit dem Schiff in Verbindung setzen. Die Besatzung braucht Instruktionen. Welcher Landeplatz wäre dem König am liebsten? Es müßte ein ziemlich großes, unbewohntes Areal sein. Außerdem brauche ich einen Sender…«

Es wurde alles prompt und ohne Schwierigkeiten arrangiert. Die endlosen Verwicklungen und Frustrationen meiner ehemaligen Kontakte mit der Regierung in Erhenrang waren dahingeschmolzen wie eine Eisscholle in einem sommerlichen Fluß. Das Rad drehte sich… Am nächsten Tag war ich zur Audienz beim König bestellt.

Es hatte Estraven sechs Monate gekostet, meine erste Audienz zu arrangieren. Es hatte ihn den Rest seines Lebens gekostet, diese zweite herbeizuführen.

Diesesmal war ich zu müde, um unsicher zu sein; außerdem hatte ich Dinge im Kopf, die der Schüchternheit keinen Raum ließen. Ich schritt durch den langen, roten Saal mit den verstaubten Fahnen unter der Decke und blieb am Rand der Bühne mit den drei großen Kaminen stehen, in denen drei helle Feuer knisterten und sprühten. Der König hockte gebückt auf einem geschnitzten Schemel am Tisch vor dem mittleren Kamin.

»Setzen Sie sich, Mr. Ai.«

Ich nahm Argaven gegenüber vor dem Kamin Platz und betrachtete im Flammenschein sein Gesicht. Er sah sehr elend aus — elend und alt. Er sah aus wie eine Frau, die ihr Kind verloren hat, wie ein Mann, der seinen Sohn verloren hat.

»Nun, Mr. Ai, Ihr Schiff wird also bei uns landen.«

»Es wird in Athten Fen landen, Sir. Genau wie Sie es wünschten. Es müßte heute abend zu Beginn der dritten Stunde herunterkommen.«

»Und wenn es den Landeplatz verfehlt? Wird es alles verbrennen?«

»Es folgt einem Funkstrahl, bis es unten ist. Man hat alles arrangiert. Sie können den Platz nicht verfehlen.«

»Und wie viele sind ›sie‹? Elf? Bin ich da richtig informiert?«

»Ja. Bestimmt nicht so viele, daß man sich vor ihnen fürchten müßte, Sir.«

Argavens Hand zuckte, aber er beendete die Geste nicht.»Ich fürchte mich nicht mehr vor ihnen, Mr. Ai.«

»Das freut mich sehr.«

»Sie haben mir gute Dienste geleistet.«

»Aber ich bin nicht Ihr Diener.«

»Das weiß ich«, sagte er gleichgültig. Auf seiner Lippe kauend, starrte er regungslos ins Feuer.

»Mein Ansible-Sender ist vermutlich dem Sarf von Mishnory in die Hände gefallen. Doch wenn das Schiff hier landet, bringt es weitere Ansible mit. Ich werde von nun an — falls Sie damit einverstanden sind — das Amt eines bevollmächtigten Gesandten der Ökumene bekleiden, das heißt, ich habe die Befugnis, über einen Bündnisvertrag mit Karhide zu verhandeln und ihn zu unterzeichnen. Das kann bei Hain und den verschiedenen Stabilitäten per Ansible nachgeprüft werden.«

»Ausgezeichnet.«

Mehr sagte ich nicht, weil er mir nicht seine gesamte Aufmerksamkeit schenkte. Mit der Stiefelspitze schob er ein Holzscheit im Kamin zurecht, daß Funken aufstoben.»Warum, zum Teufel, mußte er mich hintergehen?«fragte er mit seiner hohen, durchdringenden Stimme. Und dabei sah er mich zum erstenmal offen an.

»Wer?«fragte ich, seinen Blick ebenso offen erwidernd.

»Estraven.«

»Er hat dafür gesorgt, daß Sie sich nicht selbst betrogen. Er hat mich von der Bildfläche verschwinden lassen, als Sie eine Partei zu favorisieren begannen, die mir unfreundlich gesonnen war. Er brachte mich zu Ihnen zurück, sobald meine Rückkehr allein schon Sie veranlassen würde, die Mission der Ökumene zu empfangen und die Anerkennung dafür entgegenzunehmen.«

»Warum hat er mir aber nie etwas von diesem größeren Schiff gesagt?«

»Weil er auch nichts davon wußte: Ich habe, bis ich nach Orgoreyn kam, niemandem etwas davon gesagt.«

»Und ein paar feine Strolche habt ihr beide euch da ausgesucht, um ausgerechnet zu denen davon zu sprechen! Er hat die Orgota zu überreden versucht, daß sie Ihre Mission empfingen. Er hat die ganze Zeit mit diesen Freihandelsnarren zusammengearbeitet. Wollen Sie behaupten, daß das kein Verrat von ihm war?«

»Nein, das war kein Verrat. Er wußte genau, daß die eine Nation der anderen folgen würde, sobald diese ein Bündnis mit der Ökumene einging: wie Sith, Perunter und der Archipel ebenfalls diesem Beispiel folgen werden. Bis die Völker von Gethen sich vereinigen. Er liebte dieses Land von ganzem Herzen, Sir. Aber nicht diesem Land diente er, und auch nicht Ihnen. Er diente demselben Herren, dem ich diene.«

»Der Ökumene?«fragte Argaven verblüfft.

»Nein. Der Menschheit.«

Als ich das sagte, wußte ich nicht, ob ich die Wahrheit sprach. Es war jedenfalls ein Teil der Wahrheit, ein Aspekt. Es wäre nicht weniger wahr, wenn ich gesagt hätte, daß Estravens Taten einer rein persönlichen Loyalität entsprungen waren, dem Verantwortungsgefühl und der Freundschaft einem einzelnen Menschen gegenüber: mir. Aber das wäre ebensowenig die ganze Wahrheit.

Der König antwortete nicht. Sein finsteres, zerfurchtes Gesicht mit den faltigen Säcken unter den Augen war wieder dem Feuer zugekehrt.

»Warum haben Sie Ihr Schiff gerufen, bevor Sie mich von Ihrer Rückkehr nach Karhide in Kenntnis setzten?«

»Um Sie unter Druck zu setzen, Sir. Eine Mitteilung an Sie hätte auch Lord Tibe erreicht, und der hätte mich möglicherweise den Orgota übergeben. Oder erschießen lassen. Wie er meinen Freund erschießen ließ.«

Der König schwieg.

»Mein eigenes Leben spielt zwar keine so große Rolle, aber ich habe jetzt, und hatte damals, Gethen und der Ökumene gegenüber eine Pflicht, ich hatte eine Aufgabe zu erfüllen. Ich habe deswegen zuerst das Schiff gerufen, damit ich wenigstens eine Chance habe, diese Aufgabe zu erfüllen. So lautete Estravens Rat, und so war es richtig.«

»Nun ja, verkehrt war es nicht. Auf jeden Fall werden sie hier landen, werden wir die ersten sein… Und die sind alle so wie Sie, Mr. Ai? Pervers, ständig in Kemmer? Merkwürdig, daß man sich um die Ehre des Besuches derartiger Leute reißt!… Erklären Sie Lord Gorchem, dem Oberhofmeister, in welcher Form sie empfangen zu werden wünschen. Sorgen Sie dafür, daß weder etwas fehlt, noch jemand Anstoß nehmen könnte. Sie wollen hier im Palast wohnen — wo immer Sie es für richtig halten. Ich möchte Ihnen meine Ehre erweisen. Sie haben mir auch ein paar Gefälligkeiten erwiesen, Mr. Ai. Sie haben die Commensalen zuerst zu Lügnern und dann zu Narren gestempelt.«