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Ich nickte.

Sie dachte kurz nach und sagte: »Sie meinen, ich soll kein Papier unterschreiben, das Paul gestattet, dieses Haus zu verkaufen. Ist es das?«

»Aber ja.«

Sie tätschelte mir die Hand. »Danke, Thomas. Ich verspreche Ihnen, nichts Derartiges zu unterschreiben. Ich werde alles genau durchlesen. So ungern ich es sage, Paul ist manchmal zu sehr darauf aus, seinen Willen durchzusetzen.«

Paul hatte sich für meine Begriffe verdächtig lange still verhalten. Ich stand auf und verließ die Küche, um nach ihm zu sehen, und er war in Valentines Wohnzimmer damit beschäftigt, Bücher aus den Regalen zu räumen und sie auf dem Boden zu stapeln.

»Was machen Sie denn?« fragte ich. »Bitte lassen Sie das.«

Paul sagte: »Ich suche nach einem Buch, das ich Valentine geliehen habe. Das möchte ich zurück.«

»Wie heißt es denn?«

Pauls Stegreiflüge war bis zu einem Titel nicht gediehen. »Das weiß ich, wenn ich’s sehe«, sagte er.

»Wenn in einem der Bücher Ihr Name steht«, sagte ich höflich, »sorge ich dafür, daß Sie es zurückbekommen.«

»Das genügt mir nicht.«

Dorothea erschien an der Tür, sah die am Boden gestapelten Bücher und sah entgeistert und zugleich verärgert aus.

»Paul! Hör auf damit! Das sind Thomas’ Bücher. Wenn du sie wegnimmst, ist das Diebstahl.«

Paul machte nicht den Eindruck, als kümmerte ihn ein so geringfügiger Vorwurf.

»Er nimmt sie nicht mit«, versicherte ich ihr.

Paul sah mich mit gekräuselter Lippe an, schob sich an mir vorbei und öffnete die Haustür.

»Was hat er vor, Thomas?« fragte Dorothea verblüfft, als sie den Rücken ihres Sohnes so zielbewußt über den Fußweg entschwinden sah.

»Mir scheint«, sagte ich, »er will einen von seinen Kartons holen, um die Bücher einzupacken.«

Ich schloß die Haustür und legte die Riegel vor, oben und unten. Dann eilte ich in die Küche, sperrte dort in gleicher Weise die Außentür ab und kontrollierte rasch in sämtlichen Räumen und beiden Badezimmern, ob die Fenster geschlossen und verriegelt waren.

»Aber Paul ist mein Sohn«, protestierte Dorothea.

»Und er versucht Valentines Bücher zu stehlen.«

»Herrje noch mal.«

Paul begann an die Haustür zu hämmern. »Mutter, laß mich sofort rein.«

»Vielleicht sollte ich«, sorgte sich Dorothea.

»Ihm passiert schon nichts da draußen. Es friert nicht, und er kann sich ja in sein Auto setzen. Oder natürlich heimfahren.«

»Manchmal ist Paul unausstehlich«, sagte Dorothea traurig.

Ich stellte die Bücher wieder zurück in Valentines Regale. Paul hatte sich zuerst die Titel mit den schicksten Umschlägen gegriffen, die neueren Rennsportbiographien, deren Wiederverkaufswert ganz unerheblich war. Vermutlich wollte Paul in erster Linie aus Eitelkeit nicht zulassen, daß seine Mutter und ich seine Pläne durchkreuzten.

Ich unterschätzte die Bösartigkeit verletzter Eitelkeit keinesfalls, seit ich einmal einen beunruhigenden, auf Tatsachen beruhenden Film über einen Bodybuilder gedreht hatte, der seine Freundin umbrachte, weil sie ihn wegen eines Schwächlings verließ. Ich hatte ihn verstehen, mich in ihn hineinversetzen müssen, was mir zutiefst zuwider war.

Pauls schwere Hand schlug wiederholt gegen die Tür, und er drückte unablässig auf die Klingel. Das Schellen war allerdings kein nervenaufreibender, schriller Dauerton, sondern ein etwas erträglicheres, anhaltendes leises Dingdong; leise, weil Dorothea es so eingestellt hatte, um den zusehends schwächer werdenden Valentine nicht zu stören.

Ich sah auf meine Uhr: fünf vor sechs. Vielleicht noch eine Stunde, bis wir mit dem Arzt rechnen konnten, aber nur dreißig Minuten, bis ich mit meinem Tagewerk beginnen sollte.

»Ach herrje«, sagte Dorothea ungefähr zum zehntenmal, »ich wünschte, er würde aufhören.«

»Sagen Sie ihm, daß er reinkommen kann, wenn er verspricht, die Finger von den Büchern zu lassen.«

»Ob er darauf eingeht?« fragte sie unsicher.

»Gut möglich«, meinte ich.

Er legte sicher keinen gesteigerten Wert darauf, vor den aufwachenden Nachbarn das Gesicht zu verlieren: Nur ein Narr ließ sich erwischen, wenn seine alte Mutter ihn wie einen ungezogenen Jungen aussperrte.

Sichtlich erleichtert trug sie die Bedingungen vor, die ihr Sohn widerwillig annahm. Sie sperrte die Tür auf und ließ ihn herein, während ich bewußt woandershin sah, denn er hätte das leiseste Lächeln meinerseits als Hohnlächeln interpretiert und sich gleich wieder ereifert. Es sind schon Autofahrer erschossen worden, weil sie sich vor einem anderen eingereiht haben.

Ich blieb eine Weile hinter geschlossener Tür in Valentines Wohnzimmer, während Mutter und Sohn sich in der Küche aussprachen. Ich setzte mich in den Sessel gegenüber demjenigen, in dem der alte Mann nun nicht mehr saß, und überlegte, wie leicht man doch in einen sinnlosen Konflikt hineingezogen werden konnte. Unversehens hatte ich mir Paul Pannier zum Feind gemacht; und ich nahm an, daß es ihm in Wirklichkeit nicht so sehr um die Bücher ging als darum, mich und meinen Einfluß aus dem Leben seiner Mutter zu verbannen, damit er sie beherrschen und ihre Zukunft so gestalten konnte, wie es ihm, dem Wohltäter, am besten entsprach.

Wenigstens hoffte ich, daß es sich so verhielt. Mit Schlimmerem hätte ich mich mitten in der Arbeit an einem Film ungern auseinandergesetzt.

Ich blickte gedankenverloren auf die Bücherwand und fragte mich, ob wirklich etwas Wertvolles dabei war. Wenn, dann hatte Valentine es sicher nicht gewußt. Als ich ihn auf eine mögliche Autobiographie ansprach und er den Gedanken verwarf, hatte er zwar nichts von Tagebüchern oder anderem Rohmaterial gesagt, das Dritten als Quelle dienen könnte, aber jetzt fragte ich mich, ob Paul vielleicht mit einem Schriftsteller oder einem Verleger ins Geschäft gekommen war, dem er Valentines Unterlagen gegen eine Gewinnbeteiligung abtreten wollte. Mit einer Valentine-Biographie war kein Vermögen zu verdienen, doch ich nahm an, Paul würde sich auch mit kleineren Nebeneinkünften zufriedengeben. »Besser wenig als nichts«, hätte als Devise durchaus zu ihm gepaßt.

Howard Tylers Buch stand nicht in den Regalen.

Valentine hatte mich bei meinem ersten Besuch gefragt, was mich wieder nach Newmarket führe, und als ich erklärte, es sei Howards Buch - Unsichere Zeiten - und unsere Verfilmung der Geschichte, hatte er gesagt, er habe von dem Buch gehört, es sich aber nicht gekauft, weil seine Sehkraft, als es erschien, bereits nachgelassen hatte.

»Es soll ausgemachter Quatsch sein«, sagte er.

»So?«

»Ich kannte Jacksy Wells. Ich habe oft seine Pferde beschlagen. Er hat nie und nimmer sein unscheinbares Frauchen umgebracht, dazu hatte er gar nicht den Mumm.«

»Im Buch steht nicht, daß er es getan hat«, versicherte ich ihm.

»Und wohl genausowenig, daß er es nicht getan hat.«

»Ja.«

»Es war unnötig, darüber ein Buch zu schreiben. Zeitverschwendung, das jetzt auch noch zu verfilmen.«

Ich hatte gelächelt. Filmemacher waren dafür bekannt, daß sie historische Tatsachen vorsätzlich verzerrten. Nachweislich auf Lügen basierende Filme konnten durchaus für einen Oscar vorgeschlagen werden.

»Wie war sie?« fragte ich.

»Wer?«

»Die Frau von Jackson Wells.«

»Unscheinbar, wie ich schon sagte. Komisch, ich kann mich nicht genau an sie erinnern. Sie war keine von den Trainerfrauen, die den ganzen Betrieb schmeißen. Richtige Schandmäuler hatten die damals zum Teil. Jackson Wells’ Frau hat man überhaupt nicht wahrgenommen. In dem Buch soll sie ja eine halbe Nutte sein, das arme Luder.«

»Hat sie sich selbst erhängt?«

»Keine Ahnung«, sagte Valentine. »Ich habe nur die Pferde beschlagen. Der Wirbel hat sich aus Mangel an Spuren und Beweisen ziemlich schnell gelegt, aber als Trainer war Jackson Wells natürlich erledigt. Ich meine, würden Sie Ihre Pferde jemandem anvertrauen, der möglicherweise seine Frau umgebracht hat?«