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»Das will ich nicht sehen.«

»Bitte, Dorothea.«

»Paul ist mit einem Messer umgebracht worden«, wimmerte sie und weinte um ihren Sohn.

»Liebste Dorothea«, sagte ich nach einer Weile, »sehen Sie sich meine Zeichnung an, wenn die Möglichkeit besteht, daß sie zu Pauls Mörder führt?«

Sie schüttelte den Kopf. Ich legte die Zeichnung dicht neben ihre Hand, und eine lange Minute verging, ehe sie danach griff.

»Wie furchtbar«, sagte sie, das Bild betrachtend. »So ein Messer habe ich nicht gesehen.«

Sie klang ungemein erleichtert. »Es war nichts in der Art.«

Ich hatte ihr das amerikanische Nahkampfmesser aufgezeichnet. Ich drehte das Blatt um und zeichnete das unheimliche Armadillo mit Sägezähnen und allem Drum und Dran.

Dorothea sah es sich an, wurde blaß und schwieg.

»Es tut mir sehr leid«, sagte ich hilflos. »Aber Sie sind wenigstens nicht gestorben. Paul hat Sie geliebt. Er hat Ihnen das Leben gerettet.«

Ich dachte an den Ausdruck tiefsten Entsetzens auf Pauls Gesicht, als er zu Dorothea nach Hause gekommen war und das Armadillo auf dem Küchentisch hatte liegen sehen. Als er mich davor hatte sitzen sehen - lebendig.

Er war aus dem Haus gestolpert und davongefahren, und es war sinnlos, jetzt darüber zu spekulieren, daß er, wenn wir ihn aufgehalten, ihn zurückgeholt und zum Reden gebracht hätten, vielleicht am Leben geblieben wäre. Paul war einmal nahe dran gewesen zu reden. Paul, dachte ich, war zu einem Schwachpunkt geworden, zu jemandem, der leicht zusammenbrechen, leicht geständig werden konnte. Paul, anmaßend, großtuerisch, unsympathisch, hatte den Mut verloren und war als Büßer gestorben.

Den Schwarzgürtel neben sich, lenkte mein Fahrer den Wagen in Richtung Oxfordshire und warf hin und wieder einen Blick auf meine schriftliche Wegbeschreibung, während ich im Fond saß, mir noch einmal das »Gang«-Foto ansah und daran denken mußte, was sowohl Dorothea als auch Lucy dazu gesagt hatten.

»Sie sind so jung.«

Jung.

Jackson Wells, Ridley Wells, Paul Pannier, sie alle waren auf dem Foto mindestens sechsundzwanzig Jahre jünger als die Männer, die ich persönlich kennengelernt hatte. Sonia war vor sechsundzwanzig Jahren gestorben, und auf dem Foto lebte sie.

Ich war vier gewesen, als sie starb, und hatte nichts von ihr gehört, und jetzt mit dreißig war ich da und wollte wissen, warum sie gestorben war. Ich hatte gesagt, daß ich der Frage vielleicht nachgehen würde, und damit eine Kettenreaktion ausgelöst, die Dorothea ins Krankenhaus und Paul ins Grab gebracht und mir - bis auf weiteres - eine Stichwunde zwischen den Rippen eingetragen hatte.

Ich hatte nicht gewußt, daß ein Geist in der Flasche war, aber einmal befreit, ließen Geister sich nicht wieder einsperren.

Mein Fahrer fand die Batwillow Farm und setzte mich vor Jackson Wells’ Tür ab.

Wieder öffnete Lucy auf das Läuten der überlauten Glocke hin und riß erstaunt die blauen Augen auf.

»Na, so was«, sagte sie, »war es falsch von mir, nach Hause zu fahren? Schleifen Sie mich jetzt am Pferdeschwanz wieder zurück?«

»Nein.«

Ich lächelte. »Ich wollte eigentlich mit Ihrem Vater sprechen.«

»Ach so. Kommen Sie rein.«

Ich schüttelte den Kopf. »Könnte er vielleicht rauskommen?«

»Hm? Ich frag ihn mal.«

Etwas verwirrt verschwand sie im Haus und erschien bald mit ihrem blonden, schlanken, sonnengebräunten Vater wieder, der mich fragend ansah und genauso dastand wie acht Tage zuvor.

»Kommen Sie rein«, begrüßte er mich und winkte einladend.

»Gehen wir ein Stück.«

Er zuckte die Achseln. »Wenn Sie wollen.«

Er kam aus dem Haus, und Lucy blieb unsicher in der Tür stehen.

Jackson musterte die beiden drahtigen Männer in meinem Wagen und fragte: »Freunde?«

»Ein Fahrer und ein Leibwächter«, erwiderte ich. »Gestellt von der Filmgesellschaft.«

»Oh.«

Wir gingen über den Hof und blieben an dem fünfstäbi-gen Gittertor stehen, an dem vor einer Woche der schwerhörige alte Wells senior gelehnt hatte.

»Lucy macht ihre Sache gut«, sagte ich. »Hat sie’s Ihnen erzählt?«

»Sie unterhält sich gern mit Nash Rourke.«

»Die zwei verstehen sich«, stimmte ich zu.

»Ich habe ihr gesagt, sie soll sich vorsehen.«

Ich lächelte. »Das haben Sie ihr gut beigebracht.«

Zu gut, dachte ich. Ich sagte: »Hat sie was von einem Foto erzählt?«

Er sah aus, als wüßte er nicht, ob er ja oder nein antworten sollte, und sagte schließlich: »Von was für einem Foto?«

»Von dem hier.«

Ich zog es aus meiner Tasche und gab es ihm.

Er betrachtete kurz die Bild- und die Rückseite und sah mich ausdruckslos an.

»Lucy sagt, das sei Ihre Handschrift«, meinte ich und nahm das Bild wieder an mich.

»Und wenn sie es ist?«

»Ich bin nicht die Polizei«, sagte ich, »und ich habe keine Daumenschrauben bei mir.«

Er lachte, aber die heitere Unbeschwertheit von vor acht Tagen war von Vorsicht unterminiert.

Ich sagte: »Sie haben mir vorige Woche erzählt, daß niemand sich erklären konnte, warum Sonia gestorben war.«

»Ganz recht.«

Die blauen Augen leuchteten unschuldig wie eh und je.

Ich schüttelte den Kopf. »Jeder auf diesem Foto hat gewußt, warum Sonia gestorben ist.«

Er schwieg, bis es ihm gelang, ein Lächeln und eine angemessen verächtliche Miene aufzusetzen.

»Sonia ist doch selbst auf dem Foto. Sie reden Blödsinn.«

»Sonia hat es auch gewußt«, sagte ich.

»Wollen Sie sagen, sie hat Selbstmord begangen?«

Er sagte es fast hoffnungsvoll, und ich konnte ihn verstehen.

»Nicht direkt. Sie hatte nicht vorgehabt, zu sterben. Niemand hatte vor, sie umzubringen. Sie starb durch einen Unfall.«

»Sie haben doch keine Ahnung, wovon Sie reden.«

Ich wußte es nur zu gut. Ich wollte nicht noch mehr Schaden anrichten, ich wollte nicht ums Leben kommen, aber der Tod von Paul Pannier durfte nicht einfach übergangen werden, und von Gerechtigkeitserwägungen ganz abgesehen, würde ich mit Delta-Cast herumlaufen, bis sein Mörder gefaßt war.

»Sie sehen auf dem Foto alle so jung aus«, sagte ich. »Goldmädchen, Goldjungen, die lächeln und das Leben noch vor sich haben. Sie waren noch Kinder, das haben Sie selbst gesagt. Sie wollten Spaß, für Sie war alles ein Spiel.«

Ich nannte die unbekümmerten jungen Leute auf dem Foto bei ihren Namen. »Da sind Sie und Sonia und Ihr jüngerer Bruder Ridley. Dann Paul Pannier, der Neffe Ihres Hufschmieds. Dann Roddy Visborough, der Sohn von Sonias Schwester - Sonia war also effektiv seine Tante. Und dazu kommt Ihr Jockey P. Falmouth, genannt Pig.«

Ich hielt inne. »Sie waren der Älteste, zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig. Ridley, Paul, Roddy und Pig waren alle achtzehn, neunzehn oder zwanzig, als Sonia starb, und sie war erst einundzwanzig.«

Jackson Wells sagte verblüfft: »Woher wissen Sie das?«

»Zeitungsberichte. Ein wenig Kopfrechnen. Es spielt ja auch weiter keine Rolle. Entscheidend ist, wie unreif Sie alle waren und daß manche Leute in dem Alter meinen, die Jugend währe ewig, Vorsicht sei was für Greise und Verantwortung ein schmutziges Wort. Sie sind nach York gefahren, und die anderen haben ein Spiel gespielt. und ich glaube, die ganze Gruppe, die ganze Gang außer Ihnen war dabei, als sie starb.«

»Nein«, sagte er scharf. »Das war keine Gemeinschaftssache. Sie reden von einer Gruppenvergewaltigung. Die ist nicht passiert.«

»Das weiß ich schon. Die Autopsie hat eindeutig ergeben, daß kein Geschlechtsverkehr stattgefunden hatte. Das wurde in allen Zeitungen hervorgehoben.«

»Na also.«

Ich sagte vorsichtig: »Ich glaube, einer von den Jungen hat sie irgendwie erdrosselt, obwohl er ihr gar nichts Böses tun wollte, und sie waren alle so erschrocken, daß sie versucht haben, es wie einen Selbstmord aussehen zu lassen, indem sie sie aufgehängt haben. Und dann sind sie einfach - weggelaufen.«