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Ohne es zu wollen, fühlte ich mich unbedingt an den Geist dieser Worte gebunden. Ich konnte und durfte meine Haut nicht mit der Preisgabe des Geheimnisses retten, das er mir als Priester anvertraut hatte, als er im Sterben lag. Andererseits durfte ich guten Gewissens nutzen, was er mir in seinem Testament vermacht hatte.

Ich war unter seinen Büchern und Papieren nicht auf ein einzelnes, alles verratendes Indiz gestoßen, das man beim Durchstöbern seines Hauses hätte finden können. Die Teile waren da, aber unauffällig und verborgen. Ich hatte sie mit viel Glück zusammengefügt. Ich wünschte, ich hätte etwas Schlüssigeres gehabt als das »Gang«-Foto, um den Safe mit einem Köder zu bestücken, aber wie es aussah, gab es das nicht. Valentine hatte seine größte Sünde nicht aufgeschrieben; er hatte sie in seinen letzten lichten Augenblicken bekannt, aber sicher nicht gewollt, daß sie ihn überlebte. Er hatte sein sechsundzwanzig Jahre altes Geheimnis nirgendwo konkret und bündig festgehalten.

Zweieinhalb Stunden nachdem ich mit Howard gesprochen hatte, traf mein Besuch ein. Er kam an die Salontür und rief meinen Namen, und als ich nicht gleich antwortete, trat er kurzerhand ein und schloß die Tür hinter sich. Ich hörte sie einklinken. Ich hörte, wie er den Wandschrank öffnete und die Kombination des Safes drückte.

Ich schlenderte an meine Schlafzimmertür und begrüßte ihn.

»Tag, Roddy.«

Er trug Blazer, Hemd und Krawatte. Er sah wie ein Inbild springreiterlicher Korrektheit aus, und er hielt das »Gang«-Foto in der Hand.

»Suchen Sie etwas?« fragte ich.

»Ehm«, sagte Roddy Visborough höflich, »eigentlich ja. Es ist vielleicht eine kleine Zumutung, aber eins von den Kindern, die bei mir Reitstunden nehmen, hat mich gebeten, ihm ein Autogramm von Nash Rourke zu besorgen. Howard hat mir versichert, daß Sie ihn darum bitten werden.«

Er legte das Foto auf den Tisch und kam mit einem Autogrammheft und einem Kuli in den Händen auf mich zu.

Das geschah so völlig unerwartet, daß ich Professor Der-rys Warnung - alles, was er bei sich hat, kann in Wirklichkeit ein Messer sein - vergaß und ihn zu nah herankommen ließ.

Er ließ das Autogrammheft vor meinen Füßen fallen, und als ich unwillkürlich hinsah, riß er den goldfarbenen Kuli so schnell auf, daß ich es gar nicht mitbekam, und stach auf mich ein.

Die freigelegte Spitze des Stiletts ging glatt durch meinen Jersey und mein Hemd und traf über meinem Herzen auf stabiles Polymer.

Selbst ungläubig und verwirrt, warf Roddy den Stift hin, griff nach seinem Schlips und zog mit einem Ruck ein viel größeres Messer darunter hervor, ein furchterregendes Ding mit einer Dreiecksklinge, ähnlich einer Traufel, befestigt an einem Schaft, der zwischen seinen Fingern hindurchlief und zu einem Knauf in seiner Hand führte.

Im Augenblick sah ich nur die Dreiecksklinge, die aus seiner Faust herauswuchs, als wäre sie ein Teil von ihr, das breite Ende vor den Knöcheln, die Spitze zwölf bis fünfzehn Zentimeter vorstehend.

Er stach sofort nach meiner Kehle und wurde auch dort von Robbies Werk gebremst, aber mit einer einzigen raschen Bewegung riß er die Klinge hoch, so daß sie mir ins Kinn schnitt und einen Strich über die Wange bis zur Schläfe zog.

Ich hatte nicht vorgehabt, mit ihm zu kämpfen. Davon verstand ich nichts. Und wie sollte man mit bloßen Fäusten einen so gefährlich bewaffneten Gegner abwehren?

Er wollte mich umbringen. Ich sah es ihm an. Er würde Blut auf seine elegante Kleidung bekommen. Man denkt so ungereimtes Zeug in Augenblicken höchster Gefahr. Er begriff, daß ich vom Hals bis zur Taille gepanzert war, zielte auf ungeschützte Bereiche und stieß mir seine fürchterliche Dreiecksklinge mehrmals in den linken Arm, während ich meine Augen abschirmte und vergebens versuchte, hinter ihn zu gelangen und mit dem rechten Arm seinen Hals zu umklammern.

Ich wich ihm aus. Wir liefen im Kreis durch das Schlafzimmer. Er war darauf bedacht, bei seinem Angriff zwischen mir und der Tür zu bleiben.

Alles war voll roter Spritzer, ein roter Fluß lief mir über die linke Hand. Ich rief aus Leibeskräften meinen verdammten Bodyguard, und nichts geschah, so daß ich schon anfing zu glauben, was immer nachher mit Roddy passierte, würde nicht mehr meine Sorge sein.

Ich riß den Überwurf vom Bett und warf ihn nach Roddy, und zum Glück verfing er sich an Roddys rechter Hand. Ich sprang ihn an. Ich warf mich gegen ihn und wickelte seinen rechten Arm fest in die Decke. Ich warf ihn um - stellte ein Bein hinter das seine, zog ihn hintenüber und wälzte mich mit ihm am Boden und schlang den Überwurf immer noch enger um ihn, bis er darin eingesponnen war, bis ich blutend auf ihm liegenblieb, so sehr er mich abzuwerfen versuchte.

Ich weiß nicht, wie es ausgegangen wäre, aber jetzt kreuzte endlich doch mein Bodyguard auf.

Er erschien in der Badezimmertür und fragte: »Mr. Lyon?«

Ich konnte ihm nicht mehr vernünftig antworten. Ich sagte: »Holen Sie jemanden.«

Nicht gerade der Spruch eines Nash-Rourke-Helden.

Er nahm mich jedenfalls beim Wort. Ich hörte ihn undeutlich im Salon telefonieren, und bald darauf war meine Suite voller Leute. Moncrieff, Nash selbst, starke Männer aus der Küche des Bedford Lodge, die auf dem sich windenden Überwurf hockten, und schließlich auch Männer, die sagten, sie seien Polizeibeamte, Sanitäter und so fort.

Ich bat den Hoteldirektor wegen der Blutflecke um Entschuldigung. Nun ja.

»Wo zum Teufel haben Sie gesteckt?« fragte ich meinen Bodyguard. »Haben Sie nicht gesehen, daß meine Tür zu war?«

»Doch, Mr. Lyon.«

»Na, und?«

»Aber Mr. Lyon«, verteidigte er sich selbstgerecht, »manchmal muß ich doch zur Toilette gehen.«

Kapitel 17

Früh am Donnerstag morgen saß ich auf einer windigen Sanddüne und wartete darauf, daß über dem Strand von Happisburgh die Sonne aufging.

O’Hara, in panischem Schrecken aus L. A. zurückgekehrt, saß fröstelnd neben mir. Die etwa vierzig Personen der verschiedenen Crews am Drehort liefen zwischen den dicht hinter den Dünen abgestellten Fahrzeugen und dem Strand hin und her, und draußen auf dem nassen Streifen festen, makellosen Sandes, den die ablaufende Flut freigelegt hatte, richtete Moncrieff das Licht und den Kamerakran ein, beides auf ein riesiges oranges Raupenfahrzeug montiert, das sonst zur Strandreinigung diente und nötigenfalls auch Schiffswracks plattwalzen konnte.

Weit draußen auf der linken Seite wartete Ziggy mit den Fjordpferden. Zwischen ihm und uns kommandierte Ed eine zweite Kamera, die eine andere Perspektive liefern sollte.

Wir hatten während der Ebbe am Abend vorher geprobt und dabei den Sand so aufgewühlt, daß uns klar war, die Einstellung würde heute auf Anhieb sitzen müssen. Ziggy war zuversichtlich, Moncrieff war zuversichtlich, O’Hara war zuversichtlich ich war zapplig.

Wir brauchten einen guten Sonnenaufgang. Wir konnten ein eindrucksvolles Bild aus den Aufnahmen des entflamm-

ten Himmels von voriger Woche zusammenstoppeln; wir konnten Lichter setzen, um Glanz in die Augen der Pferde zu bringen, aber wir brauchten Glück und Sonnenaufgang live, um die Wirkung zu erzielen, um die es mir ging.

Ich dachte über die Ereignisse der letzten Tage nach. Ein Mikrochirurg im Krankenhaus von Cambridge hatte mir das Gesicht mit dünnem schwarzen Faden zusammengenäht, der im Augenblick aussah, als krabbelte mir ein Tausendfüßler vom Kinn zum Haaransatz empor, doch der Arzt hatte mir versichert, es werde kaum eine Narbe bleiben. Die Schnitte an meinem linken Arm hatten ihm und mir mehr Sorgen bereitet, aber sie waren wenigstens außer Sicht. Er nahm an, daß in einer Woche alles verheilt sei.