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IX Probyns Entscheidung

Fähnrich Couzens kroch auf Händen und Knien zu Bolitho auf dem Steilhang hin.

«Alles erledigt, Sir!«Er blickte hinunter zum Meer und den abweisenden Umrissen des Forts.

Bolitho nickte. Trotzdem gingen ihm noch ein Dutzend Fragen im Kopf herum. Waren die Waffen der Seeleute überprüft worden, um sicherzustellen, daß nicht irgendeine ängstliche Seele keine Munition im Lauf hatte? Hatte Couzens ihnen die lebenswichtige Bedeutung absoluter Lautlosigkeit eingehämmert? Aber jetzt war es zu spät. Er mußte den Männern vertrauen, die er geduckt hinter sich wußte, in der ihnen unbekannten Umgebung nervös die Waffen umklammernd.

Wenigstens schien der Mond nicht' dafür hatte sich jedoch der Wind völlig gelegt, lediglich das regelmäßige Klatschen der Brandung war zu hören. Es würde schwierig sein, die Leute unbemerkt hinunter an den Strand und hinüber zur Insel zu führen, da kaum ein Geräusch ihre Annäherung überdeckte.

Er dachte an d'Esterres kühle Einschätzung der Verteidigungsanlagen. Er hatte das Fort von drei verschiedenen Punkten aus eingehend durch das Glas studiert und herausgefunden, daß es zumindest acht schwere und mehrere kleinere Geschütze besaß. Die Garnison, obgleich offensichtlich nicht vollzählig, schien sich auf rund vierzig Mann zu belaufen. Allerdings war er der Ansicht, daß bereits ein Dutzend Leute zur Verteidigung ausreichten und mit Leichtigkeit einen Frontalangriff abschlagen konnten. Es war ein Wunder, daß nicht schon irgendein Jäger oder Waldläufer auf die verborgenen Soldaten gestoßen war, doch außer den paar Gestalten auf der Insel und den Männern, die das Boot ruderten, hatten sie keine Menschenseele gesehen. Der französische Offizier schien noch im Fort zu sein, obwohl ihnen der Zweck seines Besuchs weiterhin rätselhaft blieb.

Stockdale flüsterte:»Mr. Quinns Gruppe ist eingetroffen, Sir.»

«Gut. «Der arme Quinn sah jetzt schon aus wie der Tod, dabei hatte es noch gar nicht angefangen.»Er soll sich bereithalten.»

Bolitho richtete sein Glas auf den Logger, sah aber nichts als dessen dunkle Silhouette. Kein Ankerlicht verriet seine Anwesenheit, auch der vorher noch zu hörende Gesang Betrunkener war verstummt.

Eine Hand berührte seine Schulter, und er hörte den Kanadier flüstern: «Los!»

Bolitho stand auf und folgte dem Mann den Steilhang hinab zum Wasser. Dabei trat er Sand und Steine los und fühlte, wie ihm der Schweiß über den Körper lief. Es war, als marschierten sie nackt gegen gespannte Gewehre, die sie jeden Augenblick niedermähen konnten.

Zu spät, zu spät.

Stetig folgte er dem Schatten des Kanadiers und wußte die gesamte Gruppe dicht hinter sich. Er konnte sich sogar ihre Gesichter vorstellen: Rowhurst, der Artilleriemaat, Kutbi, der großäugige Araber, Rabbett, der kleine Dieb aus Liverpool, der nur durch seine freiwillige Meldung zur Marine dem Strick entgangen war.

Die Geräusche der See kamen näher, hießen sie wie alte Freunde willkommen und gaben ihnen Zuversicht.

Sie duckten sich hinter einige trockene Büsche, die von oben viel größer gewirkt hatten, und starrten von dieser letzten Deckung aus hinüber zum Fort.

Der Kanadier beugte sich vor.»Dies sind die Führungstaue für das Floß«, flüsterte er.

Bolitho sah die großen Balken, an denen die Taue befestigt waren, und hoffte nur, daß der von ihnen errechnete Wasserstand stimmte, denn wenn die Ebbe schon stärker fortgeschritten war und das Floß auf Grund saß, hätte man eine ganze Armee gebraucht, um es anzuschieben. Er dachte auch an die beiden schweren Geschütze, die auf das Festland und den jetzt unsichtbaren Damm gerichtet waren. Er bezweifelte, daß die Garnison ihnen in dem Fall Zeit lassen würde, ihren Irrtum zu bedauern.

Ob Paget wohl von einem günstigen Beobachtungspunkt aus, kochend vor Ungeduld, ihren Vormarsch verfolgte?

Dann brachte er seine abschweifenden Gedanken unter Kontrolle. Dies war nicht der rechte Ort, um nervös zu werden.

Der Späher streifte sein Lederwams ab und sagte leise:»Dann gehe ich jetzt los. «Es hätte ebensogut eine Bemerkung über das Wetter sein können.»Wenn ihr nichts hört, könnt ihr nachkommen.»

Bolitho berührte die dick eingefettete Schulter des Mannes und zwang sich zu sagen:»Viel Glück.»

Der Späher verließ den Schutz der Büsche und ging ohne Eile zum Strand hinab. Bolitho zählte seine Schritte, vier, fünf, sechs, dann hatte er das Wasser erreicht und war kurz darauf verschwunden.

Die Posten auf dem Fort gingen ihre Wache im Dreistundenrhythmus, vielleicht weil so viele Kameraden fehlten. Hoffentlich machte sie das besonders müde.

Die Minuten schlichen dahin, einige Male glaubte Bolitho, etwas zu hören, und erwartete Alarm.

Rowhurst murmelte:»Das sollte lange genug sein, Sir. «Er hatte sein Entermesser bereits gezogen.

Bolitho drehte sich im Dunkeln nach ihm um. War er so ungeduldig, oder dachte er, sein Leutnant habe den Mut verloren, und wollte ihn aufrütteln?

«Noch eine Minute«, sagte er, und dann, an Couzens gewandt:»Mr. Quinn soll sich bereithalten.»

Wieder mußte er seine abschweifenden Gedanken im Zaum halten. Hatte Quinn überprüft, ob die Leitern umwickelt waren? Er mußte einfach daran gedacht haben.

Er nickte Rowhurst zu.»Sie nehmen das linke Tau. «Dann zu Stockdale:»Und wir das rechte.»

Die Seeleute waren in zwei Gruppen aufgeteilt' er sah sie über den offenen Strand zu den schweren Balken schleichen, dann hangelten sie sich an den durchhängenden Tauen entlang, bis ihre Be ine und kurz danach der ganze Körper von der starken Strömung erfaßt wurden.

Nach der Hitze des Tages fühlte sich das Wasser wie kühle Seide an. Bolitho zog sich an dem Seil weiter, es war so fettig wie des Spähers Schulter.

Jeder Mann war extra ausgesucht worden, trotzdem hörte er einige von ihnen grunzen und keuchen und fühlte auch seine Arme vor Anstrengung schmerzen.

Dann waren sie plötzlich angelangt und zogen sich schwe igend, mit weit aufgerissenen Augen nach einem Angriff aus dem Dunkel ausspähend, auf den Ponton hinauf. Statt dessen trat der Späher aus dem Schatten und knurrte:»Alles erledigt. Er ist nicht einmal aufgewacht.»

Bolitho schluckte. Er brauchte keine weiteren Einzelheiten zu hören. Der unglückliche Posten mußte eingeschlafen sein, um erst aufzuwachen, als des Spähers doppelschneidiges Jagdmesser bereits seine Kehle durchschnitt. So sagte er nur zu Rowhurst:»Sie wissen, was zu tun ist. Sammeln Sie drüben die anderen auf, und lassen Sie das Ding von der Strömung zurücktreiben.»

Dann stieg Bolitho vorsichtig von der Verladerampe an Land und stieß dabei gegen den Arm des Toten. Er versuchte, sich genau an alles zu erinnern, was er gesehen hatte: Das Fort lag etwa eine halbe Meile entfernt, nein, weniger. Die Posten würden zur Seeseite hin aufpassen, wenn überhaupt. Sie hatten allen Grund, sich sicher zu fühlen. Der Logger hatte eine Ewigkeit gebraucht, um die Spitze der Insel zu umrunden. Selbst wenn sie nur blindlings feuerten, konnten sie ein großes Kriegsschiff im Nu zum Wrack schießen. Niemand würde mit einem Angriff von Land aus rechnen, da nicht einmal Boote zum Übersetzen vorhanden waren.

Stockdale flüsterte heiser:»Das Floß ist freigekommen, Sir.»

Der Ponton glitt geräuschlos zum Festland, sein Umriß verschwamm mit dem Schatten der hohen Steilküste.

Bolitho schlich weiter in Richtung Fort, die Leute schwärmten nach beiden Seiten aus. Jetzt fühlte er sich wirklich allein und abgeschnitten von jeder Hilfe, wenn etwas schiefgehen sollte.

Nachdem sie sich eine Weile vorwärts getastet hatten, entdeckten sie einen flachen Abzugsgraben und krochen dankbar darin weiter.

Bei einem Halt stützte Bolitho sein Glas auf den sandigen Grabenrand und versuchte ein Lebenszeichen zu entdecken' aber das Fort wirkte so ausgestorben wie die ganze Insel. Das ursprüngliche Gebäude war von den ersten Siedlern zum Schutz gegen die Indianer errichtet worden und seit langem durch Feuer und Kämpfe zerstört. Diese verwegenen Abenteurer müßten lachen, wenn sie uns jetzt sehen könnten, dachte Bolitho.