Nach schier endloser Zeit flüsterte ein Seemann:»Mr. Couzens kommt, Sir.»
Geführt von dem kanadischen Späher, fiel Couzens außer Atem in den Graben, glücklich, seine Kameraden gefunden zu haben. Er flüsterte:»Mr. Quinn ist auch schon hier, Sir, dazu Hauptmann d'Esterre mit seiner ersten Abteilung.»
Bolitho atmete langsam aus. Was jetzt auch passieren mochte, er war nicht mehr allein und ohne Unterstützung. Das Floß war wieder auf dem Rückwe g, und mit etwas Glück würden bald weitere Seesoldaten landen.
Zu Couzens sagte er leise:»Nehmen Sie zwei Mann und arbeiten Sie sich am Strand zu den beiden Booten vor. Bewacht sie für den Fall, daß wir uns plötzlich zurückziehen müssen. «Er fühlte des Jungen Konzentration.»Ab mit euch!»
Kurz darauf sah er, wie Couzens mit zwei bewaffneten Seeleuten über den Grabenrand kroch. Ein Grund zur Sorge weniger. Es war sinnlos, Couzens bei einem so riskanten Coup in Lebensgefahr zu bringen.
Er konnte sich leicht vorstellen, wie die Seesoldaten jetzt in zwei Gruppen zu den Toren schlichen, während eine dritte Abteilung auf der Festlandsseite der Insel zurückblieb, um den Angriff oder auch einen Rückzug zu decken.
Bolitho vermutete Probyn bei Major Paget, wenn auch nur, um sicherzustellen, daß seine Rolle nicht vergessen wurde, wenn alles vorüber war.
Eine weitere Gestalt rutschte in den Graben. Es war Quinns atemloser Fähnrich, der vor Anstrengung zitterte.
«Nun, Mr. Huyghue?«Bolitho dachte plötzlich an Sparke, der in der Hitze des Gefechts so kühl und distanziert geblieben war. Dies war leichter gesagt als getan.»Ist Ihre Gruppe bereit?»
Huyghue nickte eifrig.»Aye, Sir, mit Leitern und Haken. «Er leckte sich die Lippen.»Mr. Quinn sagt, es wird bald hell.»
Bolitho blickte zum Himmel. Quinn mußte recht nervös sein, wenn er dem Fähnrich gegenüber etwas so Offensichtliches erwähnte.»Dann sollten wir besser anfangen. «Damit stand er auf und lockerte sein Hemd. Wie oft noch würden sich solche Situationen wiederholen? Und wann war es wohl an ihm, zu fallen und nicht wieder aufzustehen?
Heiser sagte er:»Mir nach!«Der unnatürliche Klang seiner Stimme ärgerte ihn.»Mr. Huyghue, Sie bleiben hier und passen auf. Wenn wir zurückgeschlagen werden, verständigen Sie Mr. Couzens bei den Booten.»
Huyghue trat von einem Fuß auf den anderen, als stünde er auf heißen Kohlen.»Und dann, Sir?»
Bolitho sah ihn an.»Das werden Sie allein entscheiden müssen, denn ich fürchte, dann wird Ihnen niemand mehr Befehle erteilen können!»
Er hörte Rabbett kichern und wunderte sich, daß jemand über einen so schwachen, makabren Witz lachen konnte.
Während er auf die Ecke des Forts zuschritt, spürte er die leichte Brise wie eine Liebkosung im Gesicht. Noch zweihundert Meter, und dabei ständig das Gefühl, als sei er weithin sichtbar, während er sich jetzt Quinns Versteck näherte.
Jemand richtete sich halb auf, Gewehr im Anschlag, ging aber sofort wieder in Deckung, als er Bolithos Gruppe erkannte.
Quinn wartete mit seinen Leuten bei den Leitern gereizt darauf, daß Bolitho die Lage durchs Glas studierte.
«Nichts«, sagte Bolitho.»Alles völlig ruhig. Sie verlassen sich wohl ganz auf einen Angriff von See her und auf den Posten, den wir unten erledigt haben. «Er sah Quinn zusammenzucken und fügte leise hinzu:»Nimm dich zusammen, James. Unsere Leute beurteilen ihre Chancen nur nach dem Eindruck, den wir machen. «Er zwang sich zu einem Grinsen, aber seine Lippen fühlte sich wie eingefroren an.»Dann wollen wir jetzt mal unseren Sold verdienen, wie?»
Rowhurst trat aus dem Schatten.»Fertig, Sir. «Er warf einen raschen Blick auf Quinn.»Keinerlei Bewegung auf der gesamten Brustwehr.»
Bolitho wandte sich um und hob den Arm. Er sah die geduckten Gestalten aus ihren Verstecken kommen und wußte, es gab kein Zurück mehr.
Die Leitern wurden rasch zu den dafür ausersehenen Stellen der Mauer geschleppt; daneben rannten die Seeleute, die mit ihren Entermessern und Beilen wie die Figuren eines alten normannischen Gobelins aussahen, den Bolitho einmal in Bodmin gesehen hatte.
Er ergriff Quinns Handgelenk und drückte es, bis dieser vor Schmerz zusammenzuckte.
«Wir wissen nicht, was wir vorfinden werden, James, aber die Tore müssen geöffnet werden. Hörst du?«Er sprach langsam und eindringlich, trotz seiner sich überstürzenden Gedanken. Es war wichtig, daß Quinn jetzt durchhielt.
Quinn nickte.»Ja, ich — ich werde es schon schaffen, Sir.»
Bolitho ließ ihn los und berichtigte:»Dick.»
Quinn starrte ihn verwirrt an.»Dick.»
Die erste Leiter wurde bereits aufgerichtet und hob sich klar gegen die verblassenden Sterne ab. Die zweite folgte, gestützt von den herbeieilenden Seeleuten.
Bolitho vergewisserte sich, daß sein Dolch mit der Schlaufe am Handgelenk festsaß, und lief leichtfüßig zur nächsten Leiter. Er wußte, daß Stockdale ihm folgte.
Rowhurst beobachtete Quinn und tippte ihm dann auf den Arm.»Kommen Sie, Sir!»
Keuchend rannte Quinn zur anderen Leiter und zog sich zu der schwarzen Mauerkrone hinauf.
Bolitho kletterte über die rohbehauenen Stämme und ließ sich hinter die Brustwehr fallen. Es war fast wie auf einem Schiff, dachte er geistesabwesend, bis auf die fürchterliche Stille.
Er tastete sich an einem Schwenkgeschütz vorbei und weiter dorthin, wo er die Tore vermutete. Seine Lungen schmerzten vor Anstrengung, als er den Buckel im Wall sah, der genau über dem Eingang sein mußte. Er roch Holzfeuer, Pferde und Menschen, den Gestank einer zusammengepferchten Garnison, der in aller Welt gleich war.
Er fuhr herum, als Rabbett vorwärtsglitt und mit seinem Beil auf etwas einschlug, das Bolitho für einen Stapel Säcke gehalten hatte. Aber es war ein weiterer Posten oder vielleicht jemand, der auf dem Wall frische Luft schöpfen wollte. Es war ein so schneller und fürchterlicher Hieb, daß der Mann auf der Stelle tot gewesen sein mußte.
Der Schock half Bolitho, sich ganz auf ihr Vorhaben zu konzentrieren. Er fand das obere Ende einer Leiter und wußte, daß die Tore jetzt dicht vor ihnen sein mußten.
Stockdale hockte plötzlich neben ihm.»Ich mache das, Sir.»
Bolitho versuchte, ihm ins Gesicht zu sehen, aber es lag im tiefen Schatten.
«Wir machen es zusammen.»
Während die Männer sich hinter der Brustwehr duckten, stiegen Bolitho und Stockdale vorsichtig die ungleichen Holzsprossen hinunter.
Am gegenüberliegenden Ende der Palisade arbeiteten sich Quinn und seine Abteilung zum Wachturm vor, um Bolitho von drüben Schutz zu geben, wenn die Wache auftauchen sollte.
All das hatte in Konteradmiral Coutts Kopf begonnen, viele Me i-len von diesem unheimlichen Ort entfernt. Und jetzt waren sie hier, obwohl Bolitho damit gerechnet hatte, daß sie entdeckt und zurückgeschlagen wurden, bevor sie das Fort erreichen konnten. Aber es war so lächerlich einfach gewesen, daß ihm unbehaglich wurde.
Bolitho fühlte den Boden des Festungshofes unter seinen Füßen. Die niedrigen Gebäude, die den inneren Wall säumten, konnte er nur erahnen, jedoch erkannte er gegen den heller werdenden Himmel deutlich den Turm und sogar den Flaggenmast.
Stockdale berührte seinen Arm und deutete auf eine kleine, alleinstehende Hütte in der Nähe des Tores, aus der ein schwacher Lichtschimmer drang: anscheinend die Wachstube.
«Komm!«flüsterte Bolitho.
Es waren nur sieben Schritte bis zur Mitte des Tores, aber er zählte jeden so genau, als hinge sein Leben davon ab. Ein langer dicker Balken in eisernen Halterungen sicherte die Torflügel, das war alles. Stockdale legte sein Messer hin und schob eine Schulter darunter, während Bolitho die Hütte im Auge behielt.
Gerade lüftete Stockdale mit seiner ganzen Kraft den Balken an, als ein Schreckensruf ertönte, der zu einem langgezogenen, entsetzten Schrei wurde und dann plötzlich verstummte, als ob eine massive Tür zugeschlagen würde.