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Buch

Hamburg 1867. Die Eisbarone sind längst zur Legende geworden. Ihr Eis aus dem hohen Norden reist inzwischen um die halbe Welt und kühlt sogar den Champagner im Buckingham Palace. Doch die nachfolgende Generation hat eigene Pläne für die Zukunft. Christians Tochter Cathrin kennt das Geschäft von klein auf und fürchtet, dass die Tage des Eishandels gezählt sind. Mit aller Macht drängt sie in die Firma, um neue Wege einzuschlagen. Auch Grischas Sohn Jakob, der erst seit Kurzem in Hamburg ist, hat revolutionäre Geschäftsideen. Gemeinsam wollen Cathrin und Jakob auch noch die andere Hälfte der Welt erobern …

Autorin

Nicole C. Vosseler, am Rand des Schwarzwalds aufgewachsen, studierte Literaturwissenschaften und Psychologie. Bereits früh für ihre Kurzprosa, Essays und Lyrik ausgezeichnet, wandte sie sich später dem Schreiben von Romanen zu. Ihre Bücher wurden bisher in neun Sprachen übersetzt. Nicole C. Vosseler lebt in Konstanz.

Nicole C. Vosseler

Die Eisbaronin

Zu neuen Ufern

Roman

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Originalausgabe Dezember 2021

Copyright © 2021 by Nicole C. Vosseler

Copyright © dieser Ausgabe 2021

by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Str. 28, 81673 München

Dieses Buch wurde vermittelt durch die Montasser Medienagentur, München.

Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur GmbH

Umschlagmotiv: © akg-images/historic maps

(Hamburg und seine Umgebungen (1875)

von Wilhelm Heuer); Frau: © FinePic®, München

Redaktion: Ilse Wagner

LS · Herstellung: ik

Satz: KompetenzCenter, Mönchengladbach

ISBN: 978-3-641-26419-2

V002

www.goldmann-verlag.de

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Wenn Eis schmilzt, verschlingt es so viel Wärme, wie Wasser braucht, um sich zu erhitzen. Und doch bleibt es dabei kalt, dem Gefrierpunkt treu.

Solide und scheinbar schwer schwimmt Eis als massiger Berg auf den Meeren der Welt. Feindlich und tot kommt es uns vor, dabei ist es die Triebfeder des Lebens auf der Erde. So still und starr es auch wirkt, so veränderlich ist es, fortwährend in Bewegung. Sogar Gletscher gehen auf Wanderschaft, unter ihrer eigenen gewichtigen Existenz dahingleitend.

Selbst unter Druck bricht Eis nicht. Es gibt nach, noch im bittersten Frost, und Eis, das einander nahe ist, fließt ineinander. Sobald die Last abfällt, gefriert es wieder und wird eins, stärker als zuvor.

I

Nienstedten bei Hamburg, 1867

Jökulhlaup, isländisch; Gletscherlauf, deutsch; glacier burst, englisch.

Von einem Gletscher aufgestaute Wassermassen, die das Eis durchbrechen und talwärts stürzen. Besonders gewaltig ist ein Jökulhlaup, der durch den Ausbruch eines eisbedeckten Vulkans ausgelöst wird. Eine Monsterflut, die alles mit sich reißt, zertrümmert und verschlingt, tsunamigleich.

1

Wie Kolkraben scharten sich Nachbarn und Bekannte um das offene Grab, ihre Ehefrauen und Töchter in den schwarzen Reifröcken und Capes wie Stare auf einem Feld.

Die Bediensteten der einzelnen Familienzweige standen beisammen und die Angestellten von Petersen & Voronin, vom Prokuristen bis zum Botenjungen. Auch eine Abordnung aus der Londoner Dependance war gekommen, per Telegraph informiert; die Nachricht an die beiden Kontore in Madras und Bombay würde noch einige Wochen unterwegs sein. Schiffsmakler und Seeleute gaben das letzte Geleit, Geschäftspartner von nah und fern und einige Honoratioren Hamburgs.

An Sperlinge erinnerten diejenigen, die kein schwarzes Kleidungsstück besaßen, sich höchstens einen Trauerflor leisten konnten. Ganze Schwärme von ärmlich aussehenden Männern und Frauen, Halbwüchsigen und Kindern, die in der Nähe zueinander mehr Trost zu finden schienen als in den Worten des Pastors. Zu sehen, wie wohlgelitten ihr Onkel gerade bei ihnen gewesen war, ließ neue Tränen in Cathrin Petersen aufsteigen.

Mitten aus dem Leben gerissen. Hier war es keine Floskel. Auch mit zweiundsechzig Jahren war Thilo Petersen das gewesen, was man einen virilen Mann nannte. Überlebensgroß, auf eine ruhige und zurückhaltende Art. Von einer kraftvollen Präsenz, die selbst im Hintergrund immer spürbar blieb und jeden Raum im Gleichgewicht hielt, Halt und Sicherheit versprach.

Ungerecht und unbegreiflich kam es Cathrin vor, dass er, ausgerechnet er, nun nicht mehr da sein sollte, nirgends auf dieser ganzen weiten Welt.

Ein Lachen flog über den Friedhof der kleinen Gemeinde, schrill und freudlos, deshalb jedoch nicht weniger verstörend. Umso mehr, als dieses Lachen zu einer elfenhaft schönen Frau gehörte, die mit geschlossenen Augen das Gesicht der Sonne entgegenstreckte.

Unwillkürlich zuckte es um Cathrins Mund, auf eine zärtliche wehe Weise. Ihre Schwester Marie verstand, welche Ironie darin lag, dass sie Thilo unter einem heiteren blauen Himmel beerdigten. Bei Sonnenschein und Vogelgezwitscher und dem neuen Grün des Frühlings. Wie absurd es war, hier an seinem Grab zu stehen, der nie auch nur einen Tag lang krank gewesen war, sich bei einem Schnupfen höchstens einen Schal umgebunden hatte, bevor er ins Kontor fuhr.

Ihr Vater Christian, das Gesicht aschfahl und die Strahlkraft seiner blauen Augen erloschen, zog Marie an sich, um sie vor den irritierten Blicken derer abzuschirmen, die von ihrer Besonderheit nichts wussten. Ungehemmt schluchzte Marie an seiner Schulter; klagende Laute, von den Möwen aufgegriffen, die weite Kreise über der nahen Elbe zogen.

Für den Moment war Cathrins Groll gegen ihren Vater erloschen, schließlich hatte er gerade seinen Bruder verloren. Ebenso ihre Differenzen mit Jette, der ältesten der drei Schwestern, die sich auch hier noch mit Mann und Kindern als Musterbild der großbürgerlichen Familie präsentierte. Sogar der alte Ingrimm auf ihre Mutter Henny war besänftigt, auf deren Arm sich Großmutter Pohl stützte, verwittert und altersbrüchig.

Eine schwarz behandschuhte Frauenhand schloss sich um Cathrins. Auch die klarblauen Augen von Betje Reintjes waren rot geweint. Betje, Hanno und deren Söhne und Töchter an ihrer Seite zu haben gab Cathrin den Halt, dessen sie so sehr bedurfte. Auf beschämende Weise unfähig, selbst Trost zu spenden.