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In einer Duftwolke von Johannisbeergelee und Aprikosenkonfitüre kam Jordis Kopstede herein, wie aus Baiser und Vanillesauce gemacht und die Augen so blau wie das Meer ihrer alten Heimat.

»Schluss für heute«, verkündete sie vergnügt in ihrem friesischen Singsang, den sie nie ganz abgelegt hatte.

In langen Zügen stürzte sie ein Glas Limonade hinunter, ließ sich dann auf einen Stuhl fallen und tätschelte zufrieden Betjes Knie. Freundinnen, so lange Cathrin zurückdenken konnte, wie auch Hanno und Fiete seit Jugendtagen die besten Kameraden waren.

Wie auf Geheiß trampelten zwei kleine Jungen über die Schwelle, strohblond der eine, mit karottenrotem Haar der andere. Pünktlich von Fiete hochgeschickt, zeigten Nils und Hauke mit stolzem Zahnlückengrinsen ihren Müttern die Holzfiguren vor, die sie nach den Hausaufgaben in Fietes Werkstatt zwei Häuser weiter hatten schnitzen dürfen.

Betje drückte Hauke an sich und sah zu Cathrin. »Bleibst du zum Essen?«

Hand in Hand mit Finja schälte Cathrin die Kartoffeln, während die zwölfjährige Clara sich bitter über ihre Hauslehrerin beklagte. Levke, die mit ihr zusammen das Gemüse schnitt, verteidigte energisch Fräulein Semmelweis, an die sie selbst nur gute Erinnerungen hatte.

Trotzig stampfte Clara mit dem Fuß auf. »Warum kann ich nicht einfach in die Schule gehen wie Henning auch?«

»Weil es noch immer keine höhere Schulen für Mädchen gibt«, erwiderte Betje über der brutzelnden Pfanne. »Hauke, holst du bitte deinen Bruder zum Tischdecken?«

Nur wer Betje nicht näher kannte, fragte sich, wie sie das alles mit ihrem gelähmten linken Arm schaffte, den Feinkosthandel, sechs Kinder und die große Wohnung hoch oben über dem Laden. So planvoll, wie sie im Kontor wirtschaftete, meisterte Betje auch den Alltag zu Hause. Lediglich eine Perle namens Bertha kam tageweise für das Gröbste vorbei.

Dabei hätten sie sich wesentlich mehr Personal leisten können, in einem Haus im Grünen oder in einer herrschaftlichen Zimmerflucht mit feiner Adresse. Die Reintjes fütterten jedoch lieber weiter ihr finanzielles Polster für schlechte Zeiten, daran änderte auch das kleine Erbe nichts, mit dem Thilo sie in seinem Testament bedacht hatte.

Das meiste Geld floss ohnehin in die Schulbildung der Kinder. Henning, der mit dem typischen Gang eines Halbwüchsigen hereinschlurfte, bei dem Arme, Beine und Rumpf gerade nicht zusammenpassten, war auf dem besten Weg zur Maturitätsprüfung, der Erste nicht nur in der Familie, sondern in der ganzen Nachbarschaft.

Mit Hannos Ankunft wurde es gleich noch heimeliger. Auch mit Mitte vierzig und den ersten grauen Fäden in Haar und Bart jungenhaft verschmitzt, warf er Jackett und Binder von sich. Gut gelaunt fügte er sich in die Essensvorbereitungen zwischen Küche und Speisezimmer ein, ein offenes Ohr für die Freuden und Kümmernisse der kleinen und großen Kinder.

Gerrit, mit knapp vierundzwanzig Jahren der Älteste, traf als Letzter ein. Das Essen stand schon auf dem Tisch, an dem er sich nach wie vor einfand, obwohl er vor Kurzem eine eigene kleine Wohnung hier im Haus bezogen hatte. Er hatte den weitesten Weg hinter sich, in Altona mit der Einrichtung des jüngsten Ladens beschäftigt. Nach den Ablegern in Sillem’s Bazar, der prächtigen Einkaufspassage aus Eisen und Glas am Jungfernstieg, der ersten überhaupt in Deutschland, und den beiden am Hopfenmarkt und in den Alsterarkaden das insgesamt sechste Haus des Feinkosthandels. Sechs Filialen, für jedes seiner Kinder eine, das war Hannos Ziel gewesen.

Im Lampenschein leuchtete rings um den Tisch das ganze Farbenspiel roten Haares, von Mahagoni bis Erdbeerblond; nur Claras war das ihres Vaters, hell wie Haferspreu. Cathrin in ihrer Mitte, erzählten sie einander ungezwungen und lebhaft von ihrem Tag und tauschten Neuigkeiten aus, diskutierten über den optimalen Reifegrad des Käses, den Hanno mitgebracht hatte, und beratschlagten über Lisjes Gebäck. Am Ende einigten sie sich darauf, dass es unter dem Namen Friesengold versuchsweise in die Regale kommen sollte.

Cathrins andere Familie, immer schon. Die ersten Hände, die sie in diesem Leben willkommen geheißen hatten, waren die von Hanno und Betje gewesen. Sie hatten Cathrin auf die Welt geholt, während Hamburg brannte, so ging die Legende, und sich danach zum ersten Mal geküsst, unten im Treppenhaus.

Während Henning und Clara sich unter viel Planschen und Quieken in der Küche um den Abwasch kümmerten, zankten Finja und Levke sich spielerisch, und Hauke, gar nicht mehr der große Junge, der er eigentlich sein wollte, war auf die Knie seiner Mutter geklettert.

Eine der Katzen, die den Speicher bevölkerten, hatte durch ein Schlupfloch hereingefunden und strich maunzend um Cathrins Rocksäume, bis Cathrin sie auf ihren Schoß hob. Verstohlen beobachtete sie Hanno und Betje. Mit ihren Blicken, den Flüsterstimmen, schufen sie einen Raum nur für sich, nach fünfundzwanzig gemeinsamen Jahren.

Jede Ehe war anders. Die von Christian und Henny trottete in vertrauter Gewohnheit vor sich hin, während Ludger und Jette hauptsächlich darum kreisten, welches Bild sie als Familie nach außen abgaben, er erfolgreich, sie schön, die Kinder adrett und wohlerzogen. Bei Thilo und Katya hatte Cathrin immer an Zugvögel gedacht, die einander blind vertrauten und sich nie aus den Augen verloren, wohin der Aufwind sie auch trug.

Betje und Hanno aber waren wie ein Baum, der tief im Boden wurzelte, damit er sich umso weiter in den Himmel recken konnte, während er reiche Früchte trug.

Cathrins Augen trafen sich mit denen Gerrits, rauchblau wie die Sommernacht. Gegen das weiße Hemd, die grau gemusterte Weste glänzte sein Musketierbart wie Kupfer. Beide waren sie hier geboren, in dieser Wohnung, drüben im Schlafzimmer, im selben Bett, nur von anderen Müttern, unterschiedlichen Vätern, eineinhalb Jahre nacheinander.

Die Katze sprang davon, um vielleicht unterwegs ein Bröckchen aufzulesen und dann ihr wildes Leben auf den Dächern fortzusetzen.

Auch Cathrin stand auf. »Für mich wird es Zeit.«

»Willst du nicht lieber über Nacht bleiben?«, fragte Betje, den Haarschopf von Hauke streichelnd, der bereits mit glasigen Augen in einen seligen Halbdämmer gesunken war. »Platz haben wir doch genug.«

Cathrins Wangen wurden heiß. »Trude macht sich sonst Sorgen.«

Gerrit griff sich das Jackett über der Stuhllehne. »Ich bring dich nach Hause.«

Betjes Blick folgte ihrem Ältesten und Cathrin. Dieses Menschenkind, das sie bei seinen ersten Atemzügen im Arm gehalten hatte, noch bevor Hanno die Nabelschnur durchtrennte.

An die Schale einer Auster dachte sie bei Cathrin oft, so viel schimmerte nicht nur von Christian, sondern auch von Thilo bei ihr durch. Wo Katya sie geprägt hatte und Grischa und ihr Widerstand gegen Henny. Und doch war Cathrin eigen und unverwechselbar. Vielschichtiger, als sie auf den ersten Blick wirkte, mit schroffen Graten und scharfen Kanten.

»Was ist?«, fragte Hanno lächelnd und strich ihr eine Locke aus der Stirn.

Bis heute war er derjenige, der Betjes Haare flocht und mit Nadeln feststeckte, weil sie selbst es nicht konnte, mit nur einem Arm.

Noch immer war für ihn die Milchkanne halb voll statt halb leer, genau wie damals, als er noch ein Bursche von dreizehn Jahren gewesen war. Ganz selbstverständlich ging er davon aus, dass alle Dinge sich zum Guten wendeten. Darin glichen sie sich, Hanno und Gerrit, und meistens behielten sie damit auch recht.

Ihr Jüngster schlafschwer und rotwangig an sie geschmiegt, deutete Betje ein Kopfschütteln an.

Das Angebot des Kutschers, das Verdeck der Mietdroschke offen zu lassen, nahmen Cathrin und Gerrit gern an. Die Nacht war lau und roch nach Tang, Treibholz und Moos und sonnenwarmem Stein. Lichter spiegelten sich im Wasser, und durch die illuminierte Kulisse der Stadt bewegten sich menschliche Schattenrisse. Seitdem die Tore nachts nicht mehr versperrt wurden, war eine neue Freizügigkeit in Hamburg eingekehrt.

Cathrin unterdrückte ein Gähnen, seit fünf Uhr in der Frühe war sie auf den Beinen.