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»Solange du nicht die notwendige Erfahrung mitbringst«, maßregelte Ludger jetzt seine junge Schwägerin, »steht es dir schlichtweg nicht zu, dich in geschäftliche Belange einzumischen.«

»Dann gebt mir doch endlich einen Platz in der Firma!«, rief Cathrin aus. »Und wenn es nur als Schreibkraft ist. Wie soll ich denn sonst Erfahrung sammeln?«

Ihr sehnlichster Wunsch, fast von Kindesbeinen an. In dem Kaufmannsladen, mit dem sie als kleines Mädchen gespielt hatte, hatte sie die Äpfel und Birnen aus Holz kurzerhand zu Ananas und Mango aus Indien erklärt, das Sortiment aus eigenem Antrieb um Stoffreste aus Katyas Nähkorb erweitert und mit ihrer erwachsenen Kundschaft um jeden Heller gefeilscht wie ein gewieftes Marktweib. Auf eine Art, die sich nicht damit erklären ließ, dass sie viel Zeit bei Betje und Hanno im Laden verbrachte. Durch und durch eine Petersen war sie, den Geschäftssinn eingeschlossen.

Wenn Christian sich ein Kind hätte erträumen können, wäre es wie Cathrin gewesen. Sein größtes Glück. Seine empfindlichste Schwäche, weil sie ihn, heute älter, reifer und vielleicht weiser, an all seine Fehler erinnerte.

»Vater«, richtete Cathrin jetzt das Wort an ihn.

Nicht fragend, bittend oder gar flehend, sondern als unmissverständliche Forderung.

Natürlich würde Cathrin sich nicht damit zufriedengeben, Geschäftsbriefe zu verfassen oder die Bücher zu führen. Für sie gab es nur alles oder nichts, das unterschied sie von Katya. Christian konnte sich allzu gut vorstellen, wie sie und Ludger, den er als Geschäftsmann wie Schwiegersohn schätzte, ständig krachend zusammenstießen wie zwei Steinböcke mit ihren Hörnern. Er sah die konsternierten Blicke der Geschäftspartner schon vor sich, die es nicht gewohnt waren, wenn eine junge Frau derart unverblümt den Ton angab und die Zügel an sich riss.

Wäre sie ein Mann gewesen, hätten ihr alle Türen offen gestanden. Aber als Frau summierten sich ihre Eigenschaften zu Mängeln auf. In Hamburg war man auf Unwetter und Sturmfluten eingestellt. Nicht auf ein Naturereignis wie Cathrin Petersen.

Es schmerzte Christian, dass er für seine Tochter nicht die Welt verändern konnte. Dass sogar noch die Fußstapfen, die Katya hinterlassen hatte, zu klein für sie waren. Mit dem Kopf durch die Wand wollte sie, und Christian fürchtete, sie würde sich dabei den Schädel einrennen.

»Nein«, lehnte er zum wiederholten Mal das Ansinnen seiner Tochter ab. »Und dabei bleibt es.«

Cathrin schluckte schwer an der Antwort ihres Vaters, obwohl sie damit hätte rechnen müssen. Zu oft hatten sie schon darüber gestritten, und trotzdem hoffte sie jedes Mal, er würde sich anders besinnen.

Ein stummes Kräftemessen entspann sich zwischen ihnen. Christian, der bei Damen jeden Alters für seinen Charme beliebt war, sich Cathrins Schwestern gegenüber liebevoll und nachgiebig zeigte und Henny jeden Wunsch von den Augen ablas, blieb bei ihr, Cathrin, streng, geradezu hart.

Eine Herausforderung, die Cathrin bereitwillig annahm, indem sie zu einer lebhaften Rede über Ungerechtigkeit und Willkür ansetzte. Umso flammender, je mehr es in den Augen ihres Vaters aufglomm. Je ungehaltener Ludger und Jette sie zu unterbrechen versuchten, die begütigenden Einwände ihrer Mutter kaum lauter als das Flüstern von Frühlingslaub.

Maries Summen war bedrohlich angeschwollen, unvermittelt schlug sie mit der flachen Hand auf den Tisch, dass Porzellan und Silber nur so klirrten.

»Thilo ist tot«, stieß sie hervor, ihre blauen Augen starr und eine erregte Röte im Gesicht.

Der nächste Schlag ihrer Hand katapultierte die Tasse zur Seite, und der frische Kaffee explodierte auf dem Tisch.

»Thilo. Ist. Tot.«

Beruhigend sprach Christian auf Marie ein und rieb ihr den Rücken, während Henny nach Mine rief und die Schulter ihrer Mutter streichelte, die erschrocken zusammengezuckt war.

»Jetzt sieh nur, was du angerichtet hast«, fauchte Jette in Cathrins Richtung.

Cathrin schwieg mit brennenden Wangen, einmal mehr auf den Platz des Störenfrieds verwiesen.

3

Zügig rollte der Wagen durch das Häusermeer, und doch nicht schnell genug für Cathrin. Erst als der Mastenwald des Hafens an ihr vorüberzog, konnte sie wieder frei atmen.

Dich hätte es sowieso nie geben dürfen, hatte Jette ihr einmal vorgeworfen, als Cathrin noch klein gewesen war, reinste Säure unter zuckersüßem Tonfall. Du hättest Mama bei der Geburt umbringen können, das habe ich genau gehört. Deshalb wollten sie dich nicht haben.

Tief verletzt hatte Cathrin sich auf ihre viel ältere, viel größere Schwester gestürzt und nicht einmal von ihr abgelassen, als diese vor Schmerz heulte. Die ausgerissenen goldblonden Haare zwischen Cathrins Fingern eine Trophäe, für die sie Schelte und Strafe fast stolz in Kauf nahm.

Nur Katya und Thilo zuliebe war sie in ihr Elternhaus zurückgekehrt. Der Versuch, jetzt, im Erwachsenenalter, doch noch in diese Familie hineinzuwachsen, der sie entsprungen war. Aber offenbar war dafür bereits viel zu viel Wasser die Elbe hinabgeflossen.

Wäre es nach ihr gegangen, wäre sie längst ausgezogen, in eine kleine Wohnung, ein möbliertes Zimmer. Aber jeder Vermieter, bei dem sie vorstellig geworden war, jede Hauswirtin hatte das schriftliche Einverständnis ihres Vaters verlangt, und das gab er ihr nicht. Hilfesuchend hatte sie sich an Thilo gewandt, auf dem Papier war schließlich ein Herr Petersen so gut wie der andere. Doch auch er hatte ihr ein solches Dokument nicht unterschrieben, dafür war er zu korrekt gewesen.

Hinter den herrschaftlichen Villen der Elbchaussee schob Cathrin das Wagenfenster auf und ließ den Wind und den Geruch des Wassers herein. Der starke Dunst von Landwirtschaft hing in der Luft, nach Schweinen, Kühen und Schafen und frisch aufgebrochenen Äckern, der süße Duft der Obstblüte. Mit nassen Augen blinzelte Cathrin in das Wechselspiel von Sonnenstrahlen und Schattenflecken der Bäume hinauf, die hier noch urwüchsig und ursprünglich waren.

Thilo hatte sie immer darin bestärkt, dass sie alles erreichen konnte, was sie wollte. Ohne ihn würde sie vielleicht ihre Träume begraben müssen.

Wie eine sonnengebleichte Schneckenschale lag das Haus zwischen alten Bäumen. Jan, der Stallbursche, lief herbei, um zusammen mit Kutscher Hans die Pferde zu versorgen. Trude erschien in der Tür, um Cathrin an ihren ausladenden Busen zu drücken.

»Sag Frau Katya Bescheid«, rief Trude über ihre Schulter. »Unsere Deern ist zu Hause.«

Griet, ein halbwüchsiges Mädchen mit nussbraunen Zöpfen, deutete einen Knicks an und eilte die Stufen hinauf. Zusammen mit dem Stallburschen war sie die Jüngste in einer ganzen Reihe von Mädchen und Jungen, die über die Jahre hier zum ersten Mal ein sicheres Nest erlebt hatten. Auch die beiden Kinder von Trude hatten einmal dazugehört; mit ihnen zusammen war Trude hierhergekommen, auf der Flucht vor ihrem prügelnden Ehemann, und dann geblieben.

Bestürzt blickte Cathrin auf die gepackte Reisetasche, die Griet am Fuß der Treppe abgestellt hatte. Katyas Tasche, abgegriffen und blank gewetzt von unzähligen Meilen im Pferdewagen und auf See. Einen mitfühlenden Zug auf dem gütigen Gesicht und die Augen feucht, strich Trude Cathrin über die Wange, bevor sie Kutscher Hans für eine Erfrischung und einen kleinen Schnack in die Küche lotste.

Cathrin ließ sich durch die Räume treiben, in denen sie groß geworden war. Die abgelegte Sommerresidenz eines Tuchfabrikanten, wie aus Licht und Luft erbaut. Anders als die protzige Villa in Hamm mit ihren schweren Teppichen und Vorhängen, bis in den letzten Winkel vollgestopft mit teurem Mobiliar und Nippes. In der es für Cathrin niemals wirklich einen Platz gegeben hatte, nicht zwischen Marie, der man alle Freiheiten einer Närrin schenkte, und Jette, der geborenen Bienenkönigin.