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Langsam freue ich mich auf die Rückkehr nach Hause. Auch im Lager spürt man, dass alle dem Ende der Wanderung entgegenfiebern. Für die Führer und Träger ist es die letzte Tour bis zum Sommer, da jetzt die Regenzeit einsetzen wird. Auch fürchten sie den bevorstehenden Krieg Amerikas gegen den Irak, denn dann werden die Touristen noch zahlreicher ausbleiben. Sie alle wissen nicht, wann sie ihr nächstes Geld verdienen werden, und sind trotzdem fröhlich und um unser Wohl besorgt. Ich liege im Zelt und lausche den Stimmen der Einheimischen. Sie haben sich ständig etwas zu erzählen. Den ganzen Tag wird geredet und gelacht und dennoch die schwere Arbeit verrichtet. Diese Unbekümmertheit und Kommunikationsfähigkeit haben sie uns Weißen ganz offensichtlich voraus. Von unserer Gruppe sitzt wieder jeder in seinem Zelt und hat seinen Mitreisenden auch nach elf Tagen noch nichts zu berichten. Es ist traurig.

Beim Abendessen wird über das Trinkgeld diskutiert. Für mich steht fest, dass ich zum üblichen Betrag zusätzlich 100 Dollar für die Träger abgeben möchte. Eigentlich wollte ich mehr spenden, doch angesichts der Diskussionen möchte ich nicht überheblich wirken. Hätte ich es doch nur getan! Später habe ich meine letzten 250 Dollar in der Lodge verloren.

Diese Nacht schlafe ich so tief und fest, dass ich nicht einmal etwas vom kleinen Abschiedsfest der Träger höre. Auch am letzten Tag werden wir mit dem üblichen »Morningtea« begrüßt. Nach dem Frühstück findet der Abbruch des Lagers allerdings etwas schneller statt. Bald steht die ganze Mannschaft versammelt vor uns da, weil man sich schon hier oben verabschieden möchte. Petra hält die Abschiedsrede und übergibt das Trinkgeld dem Hauptführer. Danach nehme ich meine 100 Dollar und erkläre, das ich diese zusätzlich für die wirklichen Helden am Kilimandscharo, nämlich ausschließlich den Trägern spenden möchte. Die Gesichter erhellen sich und die Hände schnellen erfreut in die Höhe. So viel Freude bei gleichzeitiger Bescheidenheit! Ich höre: Asante Mzungu! Als sie voller Freude ein Lied über den Kilimandscharo singen, überkommen mich die stärksten Emotionen dieser Tour. Zum Schluss bedankt sich jeder Träger persönlich mit Handschlag bei uns allen. Sie packen ihre riesigen Gepäckbündel auf den Kopf und eilen an uns vorbei ins Tal. Auch wir erreichen nach über drei Stunden das Machame Gate und warten auf unseren Transport zur Lodge. Die Träger sind eifrig mit Putzen und Waschen beschäftigt. Einige säubern noch unsere Zelte oder Töpfe, während sich andere bereits ihrer eigenen Körperpflege widmen. Auch wir träumen nach sieben Tagen von unserer Dusche im Hotel.

Der Führer überreicht Hans und mir je ein Zertifikat und als wir hören, dass in dieser extrem kalten Nacht — am Stella Point waren es gefühlte 25 Grad minus — gerade mal ein Fünftel der üblichen »Gipfelstürmer« am Uhuru Peak angekommen war, sind wir langsam doch ein bisschen stolz.

Sehnsucht nach Afrika?

Als ich am nächsten Tag müde und ausgepumpt im Flugzeug sitze, habe ich genügend Zeit, über das hinter mir liegende Abenteuer nachzudenken. Etwas enttäuscht muss ich für mich feststellen, dass mit dieser Reise meine immer wiederkehrende Sehnsucht nach Afrika nur wenig gestillt wurde. Vielleicht liegt es daran, dass Tansania nicht Kenia ist, vielleicht gibt es aber auch »mein« Kenia nicht mehr, weil sich so vieles verändert hat.

Mir ist klar geworden, dass ich als Touristin auf diesem Kontinent immer hin- und hergerissen sein werde. Ich bin nicht in der Lage, als durchreisende »Weiße« ausschließlich zu genießen, denn ich sehe vieles aus der Sicht der Einheimischen. Aus ihrem Blickwinkel heraus erscheint auch mir unser Handeln teilweise unverständlich. Dass wir Europäer zum Beispiel unter unglaublichen Anstrengungen auf einen hohen Berg steigen und dafür noch Geld bezahlen, hätten Lketinga und seine Familie ganz und gar nicht verstanden. Er hätte mich damals lachend gefragt: »Corinne, warum machst du das? Es bringt dir weder Essen noch Wasser, nur Probleme. Das ist verrückt!« In gewisser Weise hätte er ja Recht gehabt. Menschen, die all ihre Kraft und Energie brauchen, um überleben zu können, kämen nie auf die Idee, ein solches Unternehmen einfach so, ohne ersichtlichen Nutzen, anzugehen.

Und so betrachte ich nun meine KilimandscharoBesteigung mit zweierlei Augen: Einerseits erscheint sie mir absurd und verrückt, aber andererseits bin ich stolz und glücklich, nicht aufgegeben und den Gipfel, das Dach Afrikas, erreicht zu haben.

Diese Reise hat mir aber auch deutlich gezeigt, dass ich heute nicht mehr in Afrika leben könnte. Dort, wo ich jetzt lebe, an der Seite von Napirai und meinem heutigen Lebenspartner, ist mein Platz. Als mich Markus am Flughafen in Zürich strahlend in die Arme nimmt und wir zusammen nach Lugano fahren, weiß ich, dass ich zu Hause bin.

Oft werde ich gefragt, ob ich es jemals bereut habe, mich auf die Liebe zu einem Samburu-Krieger eingelassen zu haben. Dann kann ich nur jedes Mal mit tiefster Überzeugung antworten: Niemals! Ich hatte das Privileg, an einer Kultur, die es in dieser Form wahrscheinlich nicht mehr lange geben wird, teilhaben und eine große Liebe erleben zu dürfen. Sollten wir wirklich mehrere Leben zur Verfügung haben, bin ich überzeugt, früher einmal dem Stamme der Samburu angehört zu haben. Nur so kann ich mir erklären, dass ich damals den Eindruck hatte, nach Hause zu kommen, und dass ich mich trotz aller ungewohnten Kargheit bei Lketinga und seiner Familie so sicher und geborgen fühlte. Ich weiß genau: Wenn ich dieser inneren Stimme nicht gefolgt wäre, hätte ich mein ganzes Leben das Gefühl gehabt, etwas für mich Entscheidendes und Wichtiges versäumt zu haben. Und es gäbe nicht meine über alles geliebte Tochter Napirai!

Auch wenn ich in einem früheren Leben eine Samburu gewesen sein mag, so bin ich doch im jetzigen in der Schweiz geboren und aufgewachsen und somit von unserer mitteleuropäischen Kultur geprägt. Dies ist wohl der Hauptgrund, warum Lketingas und meine Liebe nicht überdauern konnte. Wir waren einfach zu verschieden. Außerdem fehlten uns die Möglichkeiten einer in die Tiefe gehenden sprachlichen Verständigung. In meiner jetzigen Partnerschaft erlebe ich, wie wichtig und schön es ist, Gedanken und Gefühle auch mit Hilfe der Sprache austauschen zu können. Ich kann mir auch nicht mehr vorstellen, auf die Annehmlichkeiten unseres hiesigen Lebens zu verzichten, nachdem ich gerade durch die afrikanische Erfahrung gelernt habe, sie besonders intensiv zu genießen.

Nein, ich könnte nicht mehr in Afrika leben! Was aber bleibt, ist die Verbundenheit mit meiner ehemaligen Familie und eine große Neugier auf das heutige Kenia. Vielleicht kann ich diese Neugier ja eines Tages stillen, wenn Napirai erwachsen sein wird und ihre afrikanischen Verwandten kennen lernen will. Wer weiß?

Danksagung

An dieser Stelle möchte ich mich bei allen, die mich nach meiner Rückkehr aus Kenia unterstützt und mir den Neubeginn in der europäischen Welt erleichtert haben, ganz herzlich bedanken: bei Napirai und meinem Lebenspartner Markus, die all meine Vorhaben verständnisvoll und geduldig mitgetragen haben, bei meiner Mutter und ihrem Mann Hanspeter, die meine Tochter und mich aufgenommen haben, bei allen Tagesmüttern und ihren Familien, die Napirai mit viel Liebe betreut und sie dadurch mitgeprägt haben, bei allen meinen Freundinnen, Freunden und Bekannten, die mich in den letzten 13 Jahren ein Wegstück begleitet haben, bei meinen Arbeitgebern, die Vertrauen in mich gesetzt und mir als allein erziehende Mutter eine Chance geboten haben, bei den Schweizer Behörden, die durch die unbürokratische Behandlung meines Falles mir einen Neubeginn in diesem Land ermöglicht haben, und nicht zuletzt bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des A1 Verlages, die mit Sorgfalt und großem Engagement meine Bücher auf den Weg gebracht haben.