Выбрать главу

Ab und zu versucht meine Mutter, mich zu ermuntern, alte Freunde zu besuchen, damit ich wieder unter Leute komme. Aber ich traue mich nicht mehr, mit ihrem Auto auf den hektischen Straßen, noch dazu mit Rechtsverkehr, zu fahren. Im Busch kam uns während einer mehrstündigen Autofahrt höchstens einmal ein Fahrzeug entgegen. Eher noch waren Elefanten oder Büffel anzutreffen, die den Weg in Beschlag genommen hatten, was durchaus auch zu gefährlichen Situationen führen konnte. Hier in der Schweiz dagegen, so empfinde ich es nun, sind anscheinend alle Leute mit dem Auto unterwegs. Deshalb bleibe ich lieber mit Napirai zu Hause.

Eines Abends, Mitte November, klingelt das Telefon und ich spüre sofort, dass der Anruf aus Kenia kommt. Sophia meldet sich. Diesmal bin ich gefasster, weil wir schon über einen Monat in der Schweiz leben und inzwischen alle Bescheid wissen. »Hallo, Corinne, how are you and Napirai? Bist du immer noch sicher, dass du nicht mehr zurückkommst? Lketinga arbeitet nur noch selten. Wenn ich beim Shop vorbeischaue, ist er meistens geschlossen. Ich möchte dir nur sagen, dass dein Mann sich von mir nicht helfen lassen will und ich nicht weiß, was ich tun soll. Ich habe, wie du weißt, meine eigenen Probleme, da mein Restaurant geöffnet ist, ich aber bisher keine Arbeitserlaubnis bekommen habe. Und auch sonst, immer dasselbe! Außerdem fliege ich in vier Tagen für zwei Wochen nach Italien, um meine Familie zu besuchen.«

»Sophia«, antworte ich, »es ist schön, dass du mich vorher noch anrufst. Aber mein Entschluss steht definitiv fest. Ich bin froh, dass ich noch lebe und mit Napirai rausgekommen bin. Du brauchst dich nicht weiter um Lketinga bemühen, denn ich denke, James kommt bald nach Mombasa, um ihm zu helfen und zu entscheiden, was mit dem Shop passiert. Ich weiß ja, wie misstrauisch mein Mann ist. Hast du ihn gesehen und weißt du, wie es ihm geht?« Sophia sagt, sie habe ihn schon länger nicht mehr getroffen und wenn, so war er mit dem Auto in Ukunda unterwegs. Mehr kann sie mir auch nicht berichten. Dann verabschiede ich mich und wünsche ihr von ganzem Herzen alles Gute, viel Kraft und Liebe für ihr weiteres Leben in Kenia. Zu diesem Zeitpunkt weiß ich noch nicht, dass ich von Sophia nie mehr etwas hören werde.

Einige Tage später erhalte ich den Antwortbrief von Pater Giuliano.

Liebe Corinne

Ich habe vor ein paar Tagen Ihren Brief vom 26. Oktober erhalten und möchte ihn jetzt beantworten. Ich denke, für Sie ist es besser, wenn Sie in der Schweiz sind. Ich war sowieso erstaunt, dass Sie so lange mit Lketinga zusammen waren. Auch mir erschien er häufig etwas seltsam und ich habe mich oft gewundert, wie lange Sie mit ihm zurechtgekommen sind. Wie auch immer, ich wünsche Ihnen ein besseres Leben mit Ihrer Napirai. In Ihrem Brief sagten Sie, Sie hätten etwas Geld für Lketingas Mutter beigelegt, aber es war nichts darin. Es ist gefährlich, Geld in Briefe zu stecken, weil sie geöffnet werden und dann oft nicht einmal die Briefe ankommen. Wenn Sie einen Scheck von der Barclays Bank haben, können Sie diesen auf unsere Catholic Mission ausfüllen, und ich werde ihn bei meiner Bank einreichen. Wenn das Geld angekommen ist, werde ich die Summe Mama Leparmorijo geben. Ich denke, das ist der beste Weg.

Viele Grüße aus Barsaloi. Jetzt ist bei uns Regenzeit und alles ist grün und wunderschön.

Viele Grüße, auch von Pater Roberto

Ihr Giuliano

Ich freue mich über diesen kurzen Brief und bin beruhigt, dass ich nun eine Möglichkeit gefunden habe, das Versprechen gegenüber meiner Schwiegermama einlösen zu können. Als wir damals nach Mombasa umzogen, hatte ich ihr versprochen, mein ganzes Leben lang an sie zu denken, sie nie zu vergessen und immer für sie zu sorgen, egal wo ich lebe. Ich war so glücklich, dass sie mir meine Napirai nicht weggenommen hat. Normalerweise nämlich gehört das erste Mädchen der Mutter des Mannes, sozusagen als »Altersrente«. Wenn das Mädchen heranwächst, besorgt sie der Großmutter das Feuerholz, hütet ihre Ziegen und holt das Wasser vom Fluss. Im Gegenzug wird sie von ihr ernährt. Ist das heiratsfähige Alter zwischen 13 und 16 Jahren erreicht, wird das Mädchen verheiratet und die Großmutter bekommt den Brautpreis, der aus mehreren Ziegen, Kühen, Zucker und anderem besteht. So hat es mir Lketinga kurz nach der Geburt von Napirai erklärt. Ein Brauch, den einzuhalten für mich unvorstellbar war. Auch Saguna, die kleine etwa dreijährige Tochter seines älteren Bruders, lebt bereits bei ihr, obwohl ihre Mama im selben Kral wohnt. Sie schläft und isst bei der Großmutter. Ihr etwa zwei Jahre älterer Bruder hingegen lebt bei seinen Eltern in der benachbarten Hütte. Ja, meiner Schwiegermama habe ich es zu verdanken, dass sie mich damals mit Napirai ziehen ließ. Ich erklärte ihr, dass ich ohne mein Kind nicht leben könne, und so legte sie mir Napirai nach einem langen stummen Blick wieder in meine Arme zurück, obwohl sie meinte, ich könne noch zehn weitere Kinder bekommen.

Nun möchte ich mein Versprechen einlösen und von meinem ersten verdienten Geld werde ich ihr etwas zukommen lassen. Solange ich noch nicht arbeiten darf, werde ich auf meine bestehenden Konten in Kenia Schecks ausstellen und die Mission beauftragen, ihr monatlich einen festen Betrag zu geben. Nur so ist gesichert, dass das Geld nicht von der großen Verwandtschaft innerhalb weniger Tage aufgebraucht wird. Lketinga müsste noch genug Geld haben nach allem, was ich ihm dagelassen habe. Wenn er allerdings nicht arbeitet, wie mir Sophia am Telefon mitgeteilt hat, sondern anscheinend nur vom Bargeld lebt, wird es nicht allzu lange dauern, bis er in Schwierigkeiten kommt. Ich hoffe, bald zu erfahren, wie alles läuft, da James mittlerweile sicherlich in Mombasa angekommen ist. Täglich warte ich auf die Post, um zu sehen, ob ein Brief aus Kenia dabei ist. Auch noch nach zwei Monaten fühle ich mich für vieles verantwortlich, obwohl ich alles, was ich besaß, in Kenia gelassen habe. Endlich trifft der ersehnte Brief von James ein.

Liebe Corinne und Familie

Ich, James, schreibe dir von Mombasa, nachdem ich deinen Brief am 6. Dezember erhalten habe. Wie geht es dir, deiner Familie und unserer lieben Napirai? Ich hoffe, euch allen geht es gut. Lketinga und mir geht es hier nicht schlecht. Über die Familie weiß ich aber nicht viel zu berichten, weil ich seit langem nichts mehr von ihnen gehört habe. Aus dem Brief, den du mir geschrieben hast, weiß ich, dass du noch keinen Platz gefunden hast, um dich anzusiedeln. Für dieses Problem will ich fest beten, dass du eines Tages etwas findest. Ich habe auch erfahren, wie du versucht hast, unserer Mutter mit etwas Geld zu helfen, aber es ist nicht angekommen. Ich habe mit Lketinga über den Shop gesprochen. Er hat beschlossen, ihn zu verkaufen. Kontaktiere deshalb bitte den Eigentümer, diesen für ihn zu verkaufen. Ich will auch versuchen, mit seinem Bruder zu sprechen, wie du mir gesagt hast. Das Auto will Lketinga nicht verkaufen. Auch das Geld will er nicht teilen. So werde ich nach Maralal zurückgehen und glaube nicht, dass er mir dafür Geld geben wird. Er trinkt häufig und kaut jetzt sehr viel Miraa. Bitte unternimm deshalb etwas, um den Shop zu verkaufen, damit er nicht auch noch beim Inder Schulden haben wird. Ich habe an Diners Club geschrieben, dass sie die Karte sperren.

Corinne, ich gehe am 10. Dezember nach Barsaloi zurück und bin wirklich sehr traurig, weil mein

Bruder mir kein Geld gegeben hat außer für den Weg nach Hause. Ich weiß nicht, was ich für die Schule und für Mama mitnehmen kann. Es war das letzte Mal in meinem Leben, dass ich Lketinga besucht habe. Ich habe im Shop immerhin noch 12.000 Kenia-Schillinge eingenommen, aber er hat alles aufgebraucht. Er ist immer gekommen und hat gesagt, er werde es zur Bank bringen, aber er hat es für Bier und Miraa ausgegeben. Corinne, das ist die traurige Wahrheit.

Wie du mir gesagt hast, werde ich mein eigenes Bankkonto eröffnen, damit du mir etwas schicken und mir und meiner Familie helfen kannst. Ich werde nach Barsaloi gehen und Richard um einen Kredit bitten, um das Konto eröffnen zu können. Ich werde dir dann die Nummer mitteilen.