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Den Beifall des Hauses drückte die Angst, und nur Laertes erschien auf der Bühne, mit langen, seltsam schlenkernden Armen und einem Lächeln, das so durchaus unpassend und wirrend schien, während Hamlet hinter der Szene den Freund umklammert hielt.

»Das ist der Tod« – er keuchte – »das ist der Tod.«

»Unsinn; halt aus, dann ist’s zu Ende.«

»Es ist zu Ende … ja, denn das ist der Tod. Er hatte mich gefaßt und ließ mich noch einmal los. Hast du nicht gesehen, wie sein anderes Gesicht auftauchte, und als er mich preßte, spürte ich … ich spürte … er atmet nicht. Er atmet nicht, Mensch!«

»Du mußt nachher gleich ins Bett. Du hast Fieber. Es hat dich zu sehr angegriffen. Die Erinnerung ist noch zu stark …«

»Sie ist wieder lebendig geworden, sie bringt mich um. Dieser Laertes wird mich töten. Ich will nicht mehr hinaus …«

Der Direktor und der Regisseur bekämpften seinen Widerstand, zerbrachen ihn und jagten Hamlet hinaus.

»Herr Prinz!« rief der Inspizient.

»Gleich.« Er packte den Freund bei der Schulter und riß sein Gesicht zu sich. »Ich muß dir’s sagen, bevor ich gehe. Einer muß es wissen. Du! Das damals war kein Zufall. Es war Absicht … Mord. Laertes ist ermordet worden, ich habe ihn umgebracht.«

»Herr Prinz!!«

»Ich komme.« Und Hamlet trat zu Horatio in die Halle des Kampfspieles. Laertes stand in der Nähe, irgendwo zwischen den Kulissen auf sein Stichwort wartend. Man sah ihn nicht, aber man wußte, daß er hier war und daß ihn nichts hindern würde, die Bühne zu betreten. Von der Angst des Freundes und seinem Geständnis verwirrt, wagte Rietschi nicht, ihn zu suchen und sah nur, wie sich die Vorgänge der Bühne hinschleppten, wie die Worte Hamlets zögernd und um kleine Aufenthalte bemüht, folgten. König Claudius setzte seine ausdrucksvollen, aufgeregten Gebärden fast in das Gesicht des Theaterarztes, dann riß auch ihn der Wirbel der Handlung hinaus, wo eine seltsame Spannung zitterte und auf ihre Erlösung wartete.

Hinter Rietschi machten zwei Feuerwehrleute halblaute Bemerkungen: »Der Hamlet, der spielt heut, das is a Pracht.«

»Jo, der spüllt … wie auf Tod und Leben.«

Plötzlich stand Laertes unter den Personen der Szene. Rietschi sah, wie sich alles ihm zuwandte, zugleich angezogen und abgestoßen und wie sie sich dann alle unwillkürlich um Hamlet als um einen entgegengesetzten Pol zu sammeln suchten. Das Gefüge des Dramas schwankte, wie ein vom Sturm berannter Turm, ohne Gefahr des Sturzes, aber genügend, um das Zitternd des Baues zu fühlen. Laertes stand unter den Höflingen, schlank, geschmeidig, lächelnd, und es schien Rietschi nun selbst, als ob dies nicht Hildemann sein könne. Er spielte verheißungsvoll mit der Klinge und zwang ihre Geschmeidigkeit zu tollen Linien, die einen Augenblick wie Zeichen in der Luft standen.

Der Kampf begann. Die Klingen fanden und banden sich, zischten wie Schlangen und begegneten sich in wilden Stößen und Paraden. Sie waren rasch und heimtückisch, lauernd und brutal, belebte Wesen, die am Rande eines Abgrundes miteinander ringen. Der Kampf zog sich in die Länge, weit über die Dauer eines bloßen Spieles hinaus, und während der Regisseur verzweifelt auf Fortinbras einsprach, sah Rietschi entsetzt, daß sich Hamlet im Ernst zu wehren hatte und daß ihn Laertes mit einem tollen Feuer von Stößen bedrängte. Um diesen Kampf bildeten sich Gruppen von Zuschauern, die der unbesonnenen Mimik wirklicher Angst folgten, und selbst die Massen der Statisten belebten sich.

Da sah Rietschi, daß Laertes mit einem Doppelstoß Hamlets Brust berührte und daß er die Klinge lächelnd und langsam zurückzog. Hamlet stürzte, bäumte sich auf, griff nach dem Hals und fiel zurück. Er langte mit krampfigen Fingern nach dem Kleide der Königin und wälzte sich röchelnd zur Seite.

»Vorhang, Vorhang!« schrie der Regisseur, der Theaterarzt rannte Rietschi fast um und drängte sich zu dem Gefallenen. Während der Regisseur vor dem Vorhang in das unruhige Murmeln des Publikums von einem kleinen, bedauerlichen Unfall sprach und um geordnetes Verlassen des Hauses bat, untersuchte der Arzt den Körper des Verunglückten.

Hamlet war tot.

»Laertes, Laertes … wo ist Hildemann?« schrie der Direktor, und der Polizeikommissär rannte davon, um ihn zu suchen. Aber Laertes war verschwunden.

Ein Postbote durchbrach den Kreis der kreischenden Frauen und verstummten Männer mit einem Telegramm an den Direktor. Es enthielt eine sonderbare Nachricht. Der Zug, mit dem Hildemann zur Abendvorstellung eintreffen wollte, war auf halbem Wege durch einen Schienenbruch verunglückt. Es gab zwei Tote und einige Schwerverletzte. Und sobald in der nächsten Bahnstation die Identität der Verunglückten festgestellt worden war, hatte sich der Stationsvorstand beeilt, die Direktion davon zu verständigen, daß man das Ausbleiben Hildemanns durch seinen Tod entschuldigen müsse.

Vier Geister in ›Hamlet‹ von Fritz Leiber

Fritz Leiber wurde 1910 als Sohn des gleichnamigen Stummfilmstars und Shakespeare-Darstellers geboren. Er studierte an der Universität in Chicago, promovierte in Philologie und begann Erzählungen für Kinder zu schreiben. Während der Zeit der großen Depression schloß sich Leiber der herumziehenden Schauspieltruppe seines Vaters an – er kennt also das Milieu bestens, das er in seiner ›Hamlet‹-Paraphrase beschreibt –, und spielte in einigen Hollywood-Filmen kleine und kleinste Nebenrollen. Dann gab er die Schauspielerei auf und versuchte es mit Schreiben. 1939 begann er in dem amerikanischen Magazin ›Weird Tales‹ fantastische Geschichten zu veröffentlichen.

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Schauspieler sind wahrscheinlich deshalb so abergläubisch, weil der Zufall eine gewichtige Rolle beim Erfolg einer Theaterproduktion spielt – und weil wir in unserer Lebensweise und Denkart ein wenig näher mit den Zigeunern verwandt sind als andere Leute. So bringt es zum Beispiel Unglück, auf der Bühne Pfauenfedern zu tragen, bei den Proben die letzte Zeile eines Stückes zu deklamieren und in der Garderobe zu pfeifen (wer der Tür am nächsten steht, wird gefeuert) oder gar die Nationalhymne im Zug zu singen (eine kanadische Theatertruppe ist auf diese Weise bankrott gegangen).

Shakespeare-Darsteller bilden von dieser Regel keine Ausnahme. Sie haben sich lediglich den einen oder anderen Extra-Aberglauben zu eigen gemacht, etwa jenen, demzufolge es streng untersagt ist, die Verse der drei Hexen oder irgend etwas anderes aus Macbeth zu rezitieren, es sei denn bei Aufführungen, Proben oder anderen legitimen Anlässen.

In unserer Theatertruppe, der ›Governor’s Company‹ gilt die Regel, daß der Geist in Hamlet seinen grünen Schleier aus Nesseltuch erst dann über sein behelmtes Gesicht fallen lassen darf, wenn sein Auftritt unmittelbar bevorsteht. Hamlets toter Vater darf also nicht verschleiert in den dunklen Kulissen stehen.

Dieser letzte Aberglaube erinnert an einen Vorfall, der sich vor nicht allzu langer Zeit ereignete – eine echte Geistergeschichte. Manchmal denke ich, es ist die größte Geistergeschichte der Welt – zwar nicht in der geschwätzigen und armseligen Art, wie ich sie erzähle, beileibe nicht, sondern vor allem wegen ihrer wunderbaren Atmosphäre und Ausstrahlung.

Es ist nicht nur eine wahre Erzählung aus dem Bereich des Übersinnlichen, sondern mehr noch eine Geschichte über Geister und Menschen: dies vor allem.

Der gespenstische Teil der Geschichte zeigt sich gleich in höchst trauriger Weise: Drei unserer Schauspielerinnen (also praktisch alle Damen einer Shakespeare-Truppe) pflegten sich in der Stunde, bevor der Vorhang aufgeht, und manchmal auch während der Aufführungen, wenn sie allzu lang auf ihren Auftritt warten mußten, mit Sitzungen am Ouija-Brett[1] zu beschäftigen. Sie gingen so sehr in dieser Beschäftigung auf und plapperten so aufgeregt durcheinander angesichts der Enthüllungen, welche das Brett ihnen vorbuchstabierte – drei – oder viermal verpaßten sie deswegen sogar ihren Auftritt –, daß der Prinzipal ihnen sicherlich verboten hätte, das Brett ins Theater mitzubringen, wenn er nicht ein selten toleranter Prinzipal gewesen wäre. Ich bin sicher, daß er mehr als einmal versucht war, das Verbot trotzdem auszusprechen, und er hätte es auch getan, wenn nicht Props ihn darauf aufmerksam gemacht hätte, daß sich unsere drei Damen ohne Publikum in der Stille eines Hotelzimmers vermutlich gar nichts aus den Ouija-Sitzungen machen würden.

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Das Ouija-board, eine sehr umstrittene parapsychologische Versuchsmethode, wird in spiritistischen Sitzungen zur Anrufung und Befragung der Geister verwendet: Ein Glas, von der Hand der Sitzungsteilnehmer leicht berührt, rutscht auf einem Brett, das mit den Buchstaben des Alphabets versehen ist, hin und her und bildet durch die Abfolge der Buchstaben Worte, die man als Botschaften aus dem Jenseits lesen kann. (Anm. d. Übers.)