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21. Augustus 832 a. u. c.

Ein durchschnittlicher Agent wäre spornstreichs zu den Duumvim von Acerrä geeilt, hätte seine gesiegelte Legitimation vorgewiesen und sie ausgeforscht. »Was wißt ihr über diesen Tolumnius? Mit wem pflegt er Umgang? Wovon spricht er, wovon nicht? Wie verhielt er sich bei Neros Tod? Wie steht er zum Flavischen Kaiserhaus?« Wer ständig dasselbe fragte, verfiel leicht in Routine.

Gerade Servianus wußte, welch geringer Effekt mechanischem Vorgehen entsprang. Kein Fall war wie der vorige. Zudem war es wahrscheinlich, daß der Gesuchte unterderhand von solch einer Nachfrage informiert wurde. Das Amtssiegel mit den Initialen des Kaiserlichen Geheimbüros[5] wurde zwar gefürchtet, aber auch verabscheut und zeugte passiven Widerstand. Selbst in sinnlosen Details belog man die Mitarbeiter.

Daher begann der Spion seine fünfte Suche so umsichtig wie die erste. Kaum daß er sich in der Schenke »Zum Granatapfel« einquartiert hatte, schlenderte Servianus durch den Ort, knüpfte hier und dort Gespräche an: Lappalien, Alltägliches. Während er das Gehörte ordnete und zu neuen unverdächtigen Fragen und Einwürfen umsetzte, zeigte sich ihm die alte Stadt im Sommersonnenschein.

Vor anderthalb Jahrhunderten, im Bundesgenossenkrieg, hatte hier das römische Hauptquartier gestanden. Von dieser Erinnerung zehrte Acerrä, ihr verdankte es die unverhältnismäßig große Feldmark und die Vorzugsbehandlung. In jeder anderen Hinsicht stand die Stadt den Nachbarn Nola und Neapolis nach. Immer wieder aber kaufte die kaiserliche Kasse Äcker auf und gab sie an Veteranen. Daß die kleinen Höfe trotz der fast sagenhaften Fruchtbarkeit des campanischen Bodens bald wieder eingingen, lag an der Effektivität der Großgüter. Die ungünstige Verkehrslage schadete nicht minder. Die Straße vom Norden nach Neapolis wurde kaum benutzt, weil der Handel über Puteoli lief.

Die bescheidenen Verhältnisse Acerräs gefielen dem Römer. Auf den Straßen drängten sich nicht Hunderte, es war stiller, selbst die Luft atmete sich weich und würziger. Servianus haßte die stickige, übelriechende Dunstglocke der Hauptstadt. Nur aufs Land! Und hier war er fast zu Hause.

Nach kaum einer Stunde stand für ihn fest: Tolumnius verdiente die Aufmerksamkeit des Büros. Zwar hatte er ihn noch nicht gesehen, doch daß er zu den Söhnen des Feuers gehörte, hätte der Römer bereits beeidet. War es freilich der Gesuchte?

Er konnte zur Ädilität gehen und Tolumnius’ ständige Überwachung fordern. Doch war das überhaupt ein Fall, den er melden sollte? Es schien so wie meist. Aber für eine Entscheidung mußte er weit mehr wissen.

Um den Verdächtigen kennenzulernen, wanderte der Spion bis in den Vicus, wo Tolumnius wohnte. Aus gutem Grund schlenderte er zum Brunnen. Dieser, von einer Zweigleitung der Aqua Serino gespeist, versorgte die Bauern des Vororts mit Trinkwasser, weil der Sebethus schlammig war und zu unstet floß. Die Stichleitung wirkte im Vergleich zum Wunderwerk der römischen Aquädukte primitiv, nicht minder der nur von einer stilisierten Nymphe verzierte Auslauf. Immerhin, bis Acerrä war die Leitung nicht fortgeführt worden. Vermutlich weigerten sich die Neapolitaner, ihre teure Wasserleitung von einer Kleinstadt anzapfen zu lassen.

Servianus musterte die Mädchen und Frauen an der Zapfstelle mit geübtem Blick. Der Beschreibung nach, die er vor kurzem erhalten hatte, war die schlanke Braunhaarige im hellblauen Gewand Tolumnius’ Tochter Tillia. Höchstens achtzehn, meinte der Spion im stillen. Hübsch, vielleicht zu zierlich aber den Kopf trägt sie wie eine Patrizierin. Ob sie etwas von der Sache weiß? Sie sieht harmlos aus. Er wartete in sicherem Abstand.

Das Mädchen plauderte mit den anderen; und als sich diese entfernten, schickte auch sie sich an heimzugehen. Darauf hatte der Beobachter gewartet; er trat wie ein gutmütiger Passant hinzu: »Soll ich dir den Krug auf den Kopf heben?«

»Oh... Danke... Sehr freundlich.«

Er half und wartete den Augenblick ab, bis sie die Last ausbalanciert hatte. »Geht’s so?«

»Aber ja, und vielen Dank auch. Es ist ja nicht weit. Da drüben wohne ich bei Onkel Tolumnius.«

Servianus tat, als hätte er den Namen nicht gehört. Einen Atemzug lang erwog er, sogleich ein Gespräch anzuknüpfen. Fünfzig Schritte Weg boten Gelegenheit dazu, und an Themen und Methoden mangelte es ihm nicht. Aber das gefährdete seine Mission. Falls ihr Pflegevater davon erfuhr, würde er ihn für einen Schürzenjäger halten und welcher besorgte Vater traute solch einem Menschen! Nur ein Vertrauenswürdiger aber vermochte etwas zu erfahren.

Also vorerst aus dem Sichtfeld!

Ein Blick aus den Augenwinkeln ließ ihn den Sinn abermals ändern. Er verabschiedete sich von dem Mädchen und beschleunigte seinen Schritt gerade in die Richtung, wo er soeben Tolumnius hatte erscheinen sehen. Zumindest traf die Beschreibung exakt zu. War er es?

Er war es.

»Tillia, du solltest dich schonen!« murrte eine altersheisere Stimme. »Warum hast du nicht gewartet? Ich hätte dir das Wasser getragen. Willst du, daß dein Handgelenk, kaum geheilt, wieder schmerzt?«

»Es ist nicht schlimm, Onkel. Dieser nette Herr hob mir den Krug auf den Kopf, und das Tragen selbst...« Sie lächelte Servianus zu, worauf der wie zaudernd stehenblieb.

Als sich der Alte umdrehte und ihn musterte, verbeugte er sich höflich. »Hilfsbereitschaft unterscheidet Mensch und Tier und ich möchte ein Mensch werden.« Wohlbedacht verwendete er das etruskische Sprichwort, und mit Freude registrierte er das Brauenzucken des anderen.

»Meinen Dank!« knurrte Tolumnius nicht eben freundlich, faßte das Mädchen am Arm und steuerte auf sein Anwesen zu.

Servianus merkte sich das Haus und spazierte, innerlich schmunzelnd, zurück. Jetzt sorgte er sich nicht mehr, daß seine Mission fehlschlagen könnte. Jedenfalls nicht die, zu der ihn Sulpicius Verus entsandt hatte. Er stand am Ziel. Dieser Tolumnius, der fünfte des Namens auf der Liste des Geheimbüros, war aller Wahrscheinlichkeit nach der rechte. Sein Spürsinn sagte ihm das. Für den Beweis würde Tillia den Schlüssel liefern... Danach galt es, sich zu entscheiden. Verrat so oder Verrat so. Er war dessen längst müde.

Im Weiter schlendern dachte er: Dereinst lasse auch ich mich irgendwo hier nieder. Was die Reichen nach Rom in die gefährliche Nähe des Herrschers treibt, mag der schweigende Vesuv da drüben wissen. Südlich von Kap Misenum ist das Leben angenehm, die Sonne warm, die Luft lind, das Wasser klar, die Mädchen schön. So unbegreiflich ist es nicht, daß Nero Rom anzünden ließ. Neapolis oder Pompeji hätte er schwerlich verbrannt. Oder gerade? Herrscher sind unberechenbar. Man müßte sie in Bausch und Bogen verjagen. Doch was dann?

Erneut hatte eine Patrouille die Reisedokumente der beiden Männer kontrolliert. Da sich nichts daran aussetzen ließ, durften sie ungehindert weiterreiten. Die Neugier der Soldaten war begreiflich: zwei bescheiden gekleidete Reiter aus dem fernen Präneste ohne Reisegepäck?

Inzwischen füllte der riesige, von gelbgrauen Wolken umzogene Vesuv den gesamten Südhorizont. Mit jedem Tritt der Pferde schienen sich seine Vorberge weiter in die Höhe zu stülpen. Die zwei kannten solche Täuschung; sie suchten nach dem Orientierungsmal, das man ihnen genannt hatte: zur Rechten eine charakteristische Brückenruine über den Sebethus.

»Die beiden Streifen ob die Kerle etwas gemerkt haben? Vor drei Wochen herrschte hier noch Ruhe... Hörst du mir zu, Gratha?«

»Gewiß. Dort, das war mal eine Brücke. Wir müssen die Straße verlassen. Der Pfad nach links... Da ist er!«

Sein Begleiter schluckte. Er hätte das Zeichen als erster erkennen sollen, ihm hatten die Freunde den Weg beschrieben. Doch ihm fehlte das Auge für Geländemerkmale.

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SOC: Secretum Officium Caesarii= Kaiserliches Geheimbüro