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Kaum daß ich ausgeredet, so nimmt er mich unverzüglich mit sich nach einem Hause, dessen Eingang versperrt war. Er läßt mich durch eine kleine Hintertür hinein und führt mich in ein düsteres Zimmer mit verhangenen Fenstern, wo eine Dame in Trauer saß und weinte.

Er trat zu ihr und sagte:

›Hier bringe ich Ihnen jemand, Madame, der sich anheischig gemacht hat, Ihren Gemahl wohl zu bewachen.‹

Die Dame strich die Haare zurück, die von beiden Seiten über ein Gesicht hingen, das selbst in der Betrübnis entzückend schön war, sah mich an und sprach:

›Oh, lieber Freund, ich bitte Euch, tut es auch ja mit aller Sorgfalt!‹

›Seien Sie unbesorgt, Madame‹, gab ich zur Antwort, ›und halten Sie mir nur ein gutes Trinkgeld parat!‹

Das versprach sie mir, stand darauf schleunigst auf und brachte mich in ein anderes Zimmer. Da stand die Leiche in schneeweiße Leilachen eingeschlagen. Nachdem sieben Zeugen herbeigeholt, schlägt die Dame die Tücher voneinander, weint eine Weile über dem Toten und ruft endlich die Anwesenden zu Zeugen an, daß der Körper durchaus unversehrt sei.

Sie zeigte, indem sie das tat, pünktlich ein Glied nach dem andern an, und ein Notarius protokollierte es auf der Stelle.

›Sehen Sie, meine Herren‹, sprach sie, ›daß nichts der Nase fehlt, den Augen nichts, daß die Ohren unversehrt sind, die Lippen unbeschädigt, daß ganz ist das Kinn? Seien Sie hiervon meine Zeugen!‹

Hierauf ward das Protokoll unterzeichnet, und die Dame ging hinweg.

›Nun, Madame‹, rief ich ihr nach, ›seien Sie so gut und lassen mir alles geben, was ich brauche!‹

›Und was ist das?‹ fragt sie.

›Eine große Lampe‹, sagt’ ich, ›mit zureichendem Öl, sie, bis es wieder hell wird, brennend zu erhalten, eine Flasche Wein nebst einem Glase und ein Tellerchen Brosamen von Ihrer Tafel.‹

›Geht‹, sprach sie und schüttelte den Kopf. ›Ihr seid nicht gescheit: Wie könnt Ihr Überbleibsel von Mahlzeiten in einem Trauerhause suchen, worin seit so vielen Tagen kein Rauch gesehen worden ist? Denkt Ihr etwa, Ihr seid zum Schmause hierher gebeten? Laßt Euch das nicht einkommen und setzt Euch lieber hin und weint und wehklagt, wie es sich an einem solchen Orte geziemt!‹

Hiermit wendete sie sich zu ihrem Mädchen und sagte: ›Myrrhina, gib im gleich eine Lampe und Öl!‹ Als dies geschehen, ging sie samt den andern aus dem Zimmer, und ich ward eingeschlossen.

Also allein zum Schutze der Leiche gelassen, reibe ich mir die Augen aus, und nachdem ich sie genugsam zum Wachen gerüstet, fang’ ich mir eins zu singen an, um mich vor Furcht zu verwahren. Darüber wird es dämmrig, finster, Nacht, und tiefer und tiefer Nacht. Je später hin, je grausiger.

Mit einmal, siehe, da kommt ein Wiesel herbeigekrochen! setzt sich mir gerade gegenüber und guckt mir so starr ins Gesicht, daß ich über die Keckheit eines so winzigen Tierchens um ein haar gänzlich die Fassung verloren hätte.

Doch rufe ich ihm endlich zu:

›Willst du wohl fort, du garstige Bestie? Willst du bald zu deinesgleichen, oder es soll dir übel ergehen! Willst du fort?‹

Damit das Wiesel wie der Blitz um und zur Stube hinaus. Aber auch nicht einen Augenblick darauf, befällt mich ein so tiefer Schlaf, daß der delphische Gott selbst nicht hätte unterscheiden mögen, wer, von der Leiche und mir, dem Scheine nach am mehrsten tot sei. Ganz sinnlos liegend und selbst eines Wächters bedürftig, war es so gut, als wär’ ich nicht da.

Eben störten die munteren Hähne mit ihrem kreischenden Geschrei die tiefe Stille der Nacht, als ich wieder erwachte.

Äußerst erschrocken, raffe ich mich auf, springe nach der Leiche hin, decke sie auf, beleuchte sie und wollte eben untersuchen, ob auch noch alles daran sei, was mir überliefert worden, als auch die betrübte Witwe mit den gestrigen Zeugen ängstlich zur Tür hereintritt, über den Körper hinfällt, oft und lange ihn küßt und beim Scheine der Lampe Musterung seiner Gliedmaßen hält.

Bald, so wendet sie sich um, ruft ihren Haushofmeister Philodespotus und befiehlt ihm, mir für die wohlgehaltene Wacht den ausgemachten Lohn nicht länger vorzuenthalten.

Er wurde mir auf der Stelle ausgezahlt, und sie setzte hinzu:

›Ich danke Euch höchlichst, junger Mensch! Ihr habt mir mit Eifer gedient, und beim Hercules, ich werde Euch beständig dafür unter meine Freunde zählen!‹

Von Freuden über einen so unerwarteten ansehnlichen Verdienst berauscht und mit schmachtendem Entzücken meine blanken Dukaten in der Hand von allen Seiten betrachtend, erwiderte ich:

›Zählen Sie mich lieber unter Ihre treuen Diener, Madame, und befehlen Sie, sooft Sie meine Dienste wieder brauchen.‹

Kaum habe ich das gesagt, so speien alle Hausgenossen über die böse Vorbedeutung aus und fallen stracks alle, jeglicher nach seiner Weise bewaffnet, über mich her. Der eine ohrfeigt mich brav mit den Händen ab, der andere zerbläut mir die Schultern mit dem Ellbogen, ein dritter versetzt mir mit geballten Fäusten derbe Rippenstöße. Man tritt mich mit Füßen, rauft mich bei den Haaren, zerreißt mir die Kleidung, mißhandelt, zerfleischt mich nicht minder denn den schönen Adonis oder den Sohn der pimpleischen Muse[26] und wirft mich zur Tür hinaus.

Derweilen ich mich in einer Nebengasse von dieser unsanften Behandlung wieder zu erholen suchte und meine unselige Rede leider nur ein wenig zu spät bedachte, auch mir selbst eingestand, daß ich von Rechts wegen wohl noch mehr Prügel dafür verdient hätte, derweilen war der Tote schon zum letzten Male zu Hause beweint und gerufen[27] worden, und langsam und mit großem Pompe, wie es bei Vornehmen nach Landes Brauch und Sitte zu geschehen pflegt, kam der Leichenzug über den Markt daher.

Zugleich lief ein alter Mann, der unter lautem Jammer sein ehrwürdiges Haar zerriß, aus Leibeskräften seitwärts hinzu, faßte die Bahre mit beiden Händen an und rief mit zwar starker, doch von Schluchzen unterbrochener Stimme:

›Hilfe, ihr Larissäer! Ich beschwöre euch bei eurem Bürgereide, bei eurer Liebe fürs Vaterland! Hilfe! Nehmt euch diese ermordeten Mitbürgers an und rächet nach der Strenge die allerschändlichste Tat an diesem abscheulichen Weibe! Denn sie, und kein anderer Mensch in der Welt, hat diesen Unglücklichen, der mein Schwestersohn ist, aus Liebe zu einem Buhlen und aus Lüsternheit nach seiner reichen Verlassenschaft mit Gift ermordet.‹

So der Greis, wimmernd und weinend.

Das Volk nahm Anteil an seinem Leid. Die Wahrscheinlichkeit des Vorwurfs machte es leichtgläubig gegen die Tat. Es ward wütend, rief nach Feuer, suchte Steine und hetzte die Jungen an, die Dame zu vertilgen. Mit erlogenen Tränen aber schwur diese hoch und teuer bei allen Gottheiten, dergleichen Schandtat sei ihr nie in den Sinn gekommen.

›So lassen wir‹, sprach der Greis wieder, ›die Entscheidung der Wahrheit auf die göttliche Vorsehung ankommen! Hier ist Zachlas, ein vornehmer ägyptischer Prophet[28]. Ich habe für ein Ansehnliches von ihm erhalten, daß er mir den Geist des Verstorbenen aus der Hölle zurückrufe und diesen Körper auf einen Augenblick wieder belebe.‹

Mit den Worten führt er einen Jüngling herbei, in Leinen gekleidet, Palmenschuhe an, und das Haupt über und über geschoren.

Er küßt’ ihm lange die Hände, umfaßte selbst seine Knie und sprach zu ihm:

›Erbarme dich, heiliger Priester, erbarme dich! Bei den ewigen Sternen des Himmels, bei den Gottheiten der Unterwelt, bei dem Urstoffe des ganzen Alls, bei dem nächtlichen Schweigen, bei Koptos’[29] Heiligtume, bei des Nils Anwachs, bei den memphitischen Geheimnissen und bei den pharischen Sistrums[30] – flehe ich zu dir: Wolle diesem Leichnam nur ein kurzer Genuß der Sonne verleihen! Wolle nur ein geringes Licht den ewig verschlossenen Augen wieder eingießen! Nicht, daß wir den Gesetzen der Natur widerstrebten noch der Erde ihr Eigentum verweigerten: nein, nur um des Trostes der Rache willen erbitten wir von dir diesen Augenblick Leben.‹

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26

Orpheus.

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27

Bevor die Leiche weggetragen wurde, rief man sie nochmals beim Namen und sagte ihr das letzte Lebewohl.

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28

Die Griechen und Römer nennen die ägyptischen Philosophen Propheten und Priester.

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29

Stadt in Ägypten.

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30

Pharus, Insel an der Nilmündung. Sistrum, eine beim Isiskult in Ägypten gebrauchte Klapper.