Выбрать главу

„Ja“, sagte Quaterquem, „der Aufstand wurde niedergeschlagen, die Sepoys wurden gehängt, Holkar wurde getötet wie vor ihm Tipu Sahib und sein Vater; und du, Corcoran, gebürtig aus Saint-Malo, auch du wirst verraten und getötet werden wie deine Vorgänger. Mein Freund, du bist verrückt. Komm mit mir auf meine Insel, dort ist Platz für zwei. Wir werden in aller Ruhe dort leben, keiner wird uns behelligen; im Sommer kegeln wir, und im Winter spielen wir Billard. Das ist der wahre Sinn des Lebens. Und wenn dir meine Insel nicht gefällt, in der Nähe habe ich eine andere entdeckt, fast ebenso abgelegen und schön wie meine. Ich biete sie dir an.“

Corcoran betrachtete seinen Freund einige Zeit nachdenklich. Dann zuckte er leicht mit den Schultern.

„Mein lieber Quaterquem, wenn ich gewiß wäre, daß ich scheitern und in zehn Tagen erschossen würde, ich glaube nicht, daß ich anders handeln würde, als ich jetzt handele. Halte mich nicht für einen Träumer. Kennst du diesen Schriftzug?“

„Das ist Napoleons Unterschrift!“ rief Quaterquem erstaunt.

„Lies die Überschrift dieses Schriftstücks.“

Verzeichnis der Etappenorte der französischen Armee auf dem Landweg von Strasbourg bis Kalkutta. Aufgeschrieben nach Diktat Seiner Majestät Napoleons I., Kaiser der Franzosen, König von Italien, Protektor der Rheinkonföderation, eigenhändig von Seiner Majestät unterzeichnet am 15. April 1812 zu Paris.“

„Diese Note, mein Freund, wurde von Monsieur Daru, Generalintendant der Armee, angefertigt. Napoleons Agenten, unter anderem Lascaris[2], der Syrien und die Wüste unter dem Namen Scheik Ibrahim durchquerte, hatten die Aufgabe, den Weg zu erkunden und die einzelnen Völker auf die kommenden Ereignisse vorzubereiten. In den fruchtbaren Ebenen Mesopotamiens, bei den Wahhabiten, in den Bergen Persiens, in Khorasan und Mazanderan wußte man, daß der unbesiegbare Sultan Buonaberdi, die rechte Hand Allahs, die Engländer ins Meer werfen würde, und jeder war bereit, ihn mit Nahrungsmitteln zu beliefern, mit Tieren, ja sogar mit Streitkräften, entweder aus Gehorsam zu Allah oder aus Haß gegen die Engländer – die, das muß man gerechterweise sagen, bis auf den letzten Mann vernichtet worden wären, wenn sie sich in Indien nur einen Augenblick schwach gezeigt hätten.

Napoleon wollte, aus Dresden kommend, mit seiner Armee den Njemen überschreiten, in Litauen einmarschieren und die große russische Armee in zwei Hälften spalten. Wie du weißt, marschierten seine Truppen zu langsam, und der Plan mißlang, weil ihm einige Stunden fehlten; er hätte Petersburg nehmen können, Moskau, und wäre mit dem Zaren nach Belieben verfahren. Wenn dieser erste Schlag gelungen wäre, so wäre der Rest ein Kinderspiel gewesen. Der Zar hätte seinen Teil von Polen wiederhergeben müssen, Österreich Galizien. Das wiedervereinte Polen wäre geschlossen zu Pferde gestiegen, um Napoleon zu folgen.

Aber glaube nicht, daß man den Zaren nicht abgefunden hätte. Du wirst staunen, welches Geschenk man ihm machen wollte. China! Da machst du runde Augen. Mein Freund, nichts leichter als das. China ist für den da, der es haben will. Es ist ein großer Körper ohne Kopf. Ich habe da so einiges gesehen und weiß auch einiges…

Doch das sind Pläne für die Zukunft. Napoleon jedenfalls hatte auf den ersten Blick erkannt, daß – trotz der Entfernung – ein gewaltiges Reich, dessen ganzes Leben klassifiziert, etikettiert, registriert ist, in dem dieses Leben nach strengen Regeln abläuft, wobei ganze Stunden des Tages nur für rituelle Zeremonien vorgesehen sind, wo hunderttausend berittene Tataren die Garde des Souveräns bilden und genügen, um dreihundertfünfzig Millionen zu unterdrücken…, Napoleon also wußte sehr gut, sage ich, daß ein solches Land dem erstbesten zur Beute anheimfallen würde. Deshalb bot er die Hälfte davon seinem Kumpan Alexander an, aber nur die Hälfte, außerdem war das der Nordteil, der kalt und versteppt ist. Ohne es genau festzulegen, behielt er sich den übrigen Teil vor, das heißt alles Land, das südlich des Hwangho liegt. China wäre nur der Anfang gewesen, zu dem mittleren Teil wären Indochina und Indien hinzugekommen. Auf diese Art und Weise wäre dieser riesige Kontinent Asien zwischen den beiden, Alexander und Napoleon, geteilt worden.

Natürlich hätten die Türken, durch deren Land er gezogen wäre, als erste geopfert werden müssen. Um Österreich zu befriedigen, das zum Vasallen geworden war, vor allem um es gegen Rußland zu stellen, hätte man ihm auch seinen Anteil gegeben, und zwar das Donautal in der Walachei mit seiner Mündung. Dann hätte Napoleon, von der polnischen und ungarischen Kavallerie unterstützt, freien Zugang nach Konstantinopel gehabt. Du weißt, daß er sein ganzes Leben davon träumte, Kaiser von Konstantinopel zu werden. Das verband ihn mit dem Zaren, der denselben Traum träumte.

Er hatte Frankreich und Italien; durch seinen Bruder Joseph hoffte er, Spanien zu gewinnen. Tanger, Oran, Algier und Tripolis wären nur weitere Häppchen. Ägypten erwartete ihn, er kannte es ja schon, und der Isthmus von Suez, den Monsieur de Lesseps heute so mühselig anlegt, wäre in sechs Monaten vollendet gewesen. Seine Ingenieure hatten nämlich schon Spuren eines alten, heute versandeten Kanals entdeckt, der zweifellos aus der Zeit Ramses’ V. stammte. Schließlich gehörte ihm auch – gutwillig oder gezwungen – das Mittelmeer, und von der Höhe von Gibraltar aus hätten die Engländer nichts weiter tun können, als seiner Flotte hinterdreinzuschauen.“

„Wer hat dir denn Napoleons Plane enthüllt?“ fragte Quaterquem. „Und was hältst du von diesen vertraulichen Mitteilungen, die er doch zweifelsohne niemandem anvertraut hat?“

„Hältst du mich für einen Romancier?“ erwiderte der Maharadscha. „Bildest du dir ein, ich würde mir einen Scherz daraus machen, diesem großen Mann Ideen unterzuschieben, die ich mir selber ausgedacht habe? Zuerst mußt du wissen, daß Napoleon bis heute stets verkannt wurde. Im Grunde war er ein Poet und Mathematiker in einem. Als Poet hatte er phantastische Ideen; als Mathematiker entwickelte er seine Phantasien mit derart verblüffender Präzision und nüchternem Kalkül, daß es den Gemeinsinn der Dummen überstieg.“

„Du hast zweifellos recht“, sagte Quaterquem, „aber nochmals: Wer hat dir denn die Pläne Napoleons anvertraut?“

„Er selbst, lieber Freund, ja, er selbst, denn neben der Note, die er Daru diktiert hatte, existiert noch eine andere, geheimere und vollständigere, die er nicht der Hand eines Sekretärs überlassen wollte. Hier, lies selbst! Das ist die Depesche an Lascaris, seinen einzigen Vertrauten. Der schlecht informierte Lamartine hat geglaubt, daß Lascaris’ Papiere nach dessen Tod den Engländern in Kairo in die Hände gefallen wären. Der englische Konsul hat damals dieses Gerücht verbreitet, um Nachforschungen von vornherein auszuschließen; diese kostbaren Papiere jedoch existieren noch. Hier sind sie. Der sterbende Lascaris hatte einen Freund beauftragt, sie der französischen Regierung zu überbringen; aber dieser Freund wußte, daß er überwacht wurde, außerdem rechnete er mit einer Hinterlist von Mehmed Ali, dem Pascha von Ägypten. Er floh also nach Suez, schiffte sich ein, und da er nicht wußte, wem er das kostbare Stück anvertrauen sollte, steuerte er Indien an und übergab es Holkar persönlich.

вернуться

2

Alle, die Voyage en Orient von Monsieur de Lamartine gelesen haben, wissen, daß Lascaris, Ritter des Malteserordens, Napoleon sehr verbunden war und von ihm nach dem Vertrag von Tilsit in den Orient geschickt wurde. Wenn Napoleon die Russen und Engländer besiegt hätte, wäre Lascaris heute wahrscheinlich berühmter als Metternich und Talleyrand.