Diese Idee wurde ihm zum Verhängnis.
Baber, der ihn aufmerksam beobachtet hatte, warf mit einemmal blitzschnell seine Schlinge um den Hals des unglücklichen Doubleface, zog an der Schnur, was dem Engländer einen solchen Schmerz bereitete, daß er vom Stamm rutschte, einen Augenblick in der Luft hing und sich so selbst erdrosselte.
Das war das Ende des Kampfes. Der triumphierende Baber zog den Körper des Engländers über die Einfriedung, wie Achill den Leichnam Hektors über die Mauern von Troja geschleift hatte.
„Es ist gut“, sagte Corcoran. „Du hast dein Leben gerettet, Baber. Sugriva, laß diesen armen Doubleface beerdigen. Zu Lebzeiten war er ein elender Verräter, ein Spion, der Abfall der Menschheit. Jetzt ist er tot. Friede seiner Asche.“
Dann begab er sich in seinen Palast.
Im Palast angekommen, setzte er sich an sein Schreibpult und verfaßte folgende Depesche:
„An Lord Henry Braddock, Generalgouverneur von Hindustan in Kalkutta
Bhagavapur, den 16. Februar 1860
Mylord,
die Beziehungen guter Nachbarschaft und Freundschaft, die zwischen meiner Regierung und der Ihren immer bestanden haben und, so hoffe ich, immer bestehen bleiben mögen, machen es mir zur Pflicht, Sie von einem unliebsamen Vorfall zu unterrichten, der diese guten gegenseitigen Beziehungen hätte trüben können.
Ein gewisser Scipio Rückert, nach eigenen Aussagen preußischer Staatsbürger und unter englischem Schutz reisend, mit einem Empfehlungsbrief von Sir William Barrowlinson (ohne Zweifel eine Fälschung) versehen, hat mich unter dem Vorwand, im Vindhyagebirge wissenschaftliche Studien über die dortige Flora und Fauna treiben zu wollen, um Schutz und Unterstützung gebeten.
Auf Empfehlung von Sir William Barrowlinson, dem die gelehrte Welt so viel verdankt, habe ich diesen Rückert auf das freundlichste und zuvorkommendste empfangen, er allerdings hat es mir mit schwärzestem Undank vergolten.
Mylord wird bei der Lektüre beiliegender Kopie eines Briefes, den Rückert, dessen richtiger Name Doubleface zu sein scheint, an Sie schreiben wollte, zweifellos entrüstet sein von dem Mißbrauch, den solch ein Bürger von Ihrem Namen machte, wie auch von den entehrenden Nachrichten, die er Mylord anzubieten die Stirn hatte. Ich beeile mich hinzuzufügen, daß meine Entrüstung über eine so schnöde Verleumdung die Verachtung Mylords vorausgesehen hat und daß dieser Doubleface, der übrigens auch nicht leugnete, der Chef der Geheimpolizei von Kalkutta (gewesen) zu sein, die Sühne erhalten hat, die ein solches Verbrechen und der Mißbrauch des Namens von Mylord verdient. Mit anderen Worten, er wurde gehängt.
Mylord kann im Bhagavapurer Anzeiger, den ihm zu schicken ich veranlassen werde, alle Details dieser Urteilsvollstreckung nachlesen. Der Verrat Doublefaces war so niederträchtig – und übrigens durch sein eigenes Geständnis zweifelsfrei bewiesen –, daß ich es nicht für nötig erachtete, in dieser Angelegenheit die üblichen Regeln eines langwierigen Gerichtsverfahrens einzuhalten.
Ich muß Mylord davon in Kenntnis setzen, daß man in den Papieren Doublefaces eine sehr genaue und gewissenhaft angefertigte Liste aller ökonomischen und militärischen Mittel meines Reiches gefunden hat.
Natürlich habe ich es als nicht erforderlich erachtet, diesen so sorgfältig ausgearbeiteten Plan meiner Depesche beizulegen, und ich glaube, daß Mylord meine Zurückhaltung und Diskretion in diesem Punkt billigen wird.
Möge Sie Gott, Mylord, in seiner heiligen Garde aufnehmen.
Corcoran I. Maharadscha“
„Das ist eine Kriegserklärung“, sagte Quaterquem, nachdem er den Brief gelesen hatte, „und deine Vorbereitungen sind noch nicht abgeschlossen.“
„Wie auch immer, der Krieg wäre unvermeidlich gewesen“, erwiderte Corcoran. „Du hast es ja selbst gesehen, ihre Armee marschiert schon. Was kommen muß, kommt. Diesem Halunken verzeihen, hieße zurückweichen. Bis jetzt habe ich mich hier nur durch meine Kampfentschlossenheit halten können; nun wohl, ich werde damit weitermachen.“
„Hast du Verbündete?“
„In zwei oder drei Jahren hätte ich ganz Indien hinter mir. Aber gegenwärtig ist niemand dazu bereit. Die letzte Sepoyrevolte hat die energischsten und entschlossensten Kämpfer das Leben gekostet. Man muß auf eine neue Generation bauen, die die schrecklichen Massaker vergessen haben wird.“ Quaterquem schlug sich an die Stirn.
„Ich habe eine Idee“, sagte er, „wer dir in drei Monaten ein mächtiger Verbündeter sein kann. In diesem Fall wärst du nicht nur gerettet, sondern Herr über ganz Indien.“
„Wer ist dieser Verbündete?“
„Sprich leise!“ sagte Quaterquem. „Sprich leise, man könnte uns belauschen.“
Und er flüsterte einen Namen in Corcorans Ohr.
„Ich hatte schon daran gedacht“, erwiderte der Maharadscha nach einem Augenblick des Schweigens. „Aber es ist so weit weg. Die Überfahrt, hin und zurück, wird mindestens vier Monate dauern. Und wen sollte ich wohl schicken?“
„Du vergißt mein Luftschiff“, sagte Quaterquem, „das dreihundert Meilen in der Stunde macht und wie ein Pfeil dahinfliegt, ohne auf Meere, Flüsse oder Berge Rücksicht nehmen zu müssen. Wir könnten auch ostwärts fliegen, das wäre kürzer. Noch heute abend könnten wir uns eine Aufführung des Wilhelm Tell ansehen. Morgen wirst du eine Audienz haben. Übermorgen sind wir zurück. Sugriva und Louison werden während deiner Abwesenheit regieren.“
„Es ist zu spät“, sagte Corcoran, „aber du kannst mir trotzdem einen Gefallen tun. Laß uns in deinem Flugapparat das englische Feldlager und mein eigenes besuchen. Vielleicht können wir schon in einer Stunde fliegen? Man soll Acajou rufen.“
„Einverstanden“, erwiderte Quaterquem.
Der große Neger erschien vor den beiden.
„Acajou, bereite das Luftschiff vor, wir fliegen ab“, sagte Quaterquem. Der Neger machte vor Freude einen Sprung.
„Oh, ich sehe Nini und Zozo. Fein, Mister Quaterquem.“
„Acajou, mein Freund, wir werden Nini und Zozo erst Ende der Woche sehen; heute haben wir noch etwas anderes zu erledigen.“
15.
Ein Scherz Acajous
Die Vorbereitungen der langen Reise, die Corcoran mit seinem Freund Quaterquem unternehmen wollte, dauerten den ganzen Tag. Es ging nicht darum, wie man sich leicht denken kann, Kleider oder Nahrungsmittel an Bord zu nehmen, sondern den Marathen den Abflug des Maharadschas geheimzuhalten. Es wurde also beschlossen, erst in der Nacht abzureisen. Nur Sugriva sollte informiert werden. Auch Sita wollte Corcoran nicht benachrichtigen, aus Angst, sie zu beunruhigen. Glücklicherweise war die Nacht sehr dunkel, und die beiden Freunde konnten sich, unterstützt von Acajou, in die Lüfte erheben, ohne von jemandem bemerkt zu werden.
Hier möchte sicher gern der eine oder andere Leser etwas über die Form und den Antrieb dieses wunderbaren Flugapparates erfahren.
Ich muß gestehen (und welche Frage man mir auch stellen möge, ich werde nicht die Indiskretion begehen, auch nur eine zu beantworten), daß es mir nicht gestattet ist, das Geheimnis dieser bewundernswerten Maschine zu enthüllen. Ich darf hier nur soviel verraten, daß der Erfinder, nachdem er gewissenhaft den Flug der Vögel studierte, die Richtigkeit des Prinzips erkannt hat: schwerer als Luft, das später auch der berühmte Monsieur Nadar beherzigt hat. Er verzichtete völlig auf die Anwendung von Wasserstoffgas und eine riesige ballonartige Hülle, die dem Wind so viel Angriffsfläche bietet. Kurz gesagt, die Form meines (man verzeihe mir dieses unbescheidene Wort) Flugapparates war nicht anders als die des Fregattvogels, des schnellsten aller Vögel, der in wenigen Stunden tausendfünfhundert Seemeilen zurücklegt. Was den Motor anbetrifft, so habe ich mich meinem Freund Quaterquem gegenüber verpflichtet, das Geheimnis so lange zu wahren, bis er selbst die Zeit für gekommen hält, es zu lüften.[3]
3
Das von Quaterquem an die illustre Akademie der Wissenschaften eingereichte Schriftstück vermodert noch heute in den Schubladen der Akademie. Es trägt die Nummer 719, und der Gutachter, der gelehrte Monsieur Bernadet, hat eigenhändig folgende Notiz daruntergcschrieben: Der Autor gehört in die Irrenanstalt von Charenton.