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Am Eingang seines Zeltes, dem größten und bequemsten von allen, blieb er kurz stehen und lauschte. Sofern das Klagen des Windes noch nicht zu vernehmen war, verdichtete sich die tiefe Stille so sehr, daß sie sogar dem Gehör eines Menschen schädlich sein konnte.

Gacel liebte diese Stille.

2. Kapitel

Jeden Morgen sattelte der alte Suilem oder einer seiner Enkel das Lieblingskamel seines Herrn, des amahar Gacel, und wartete damit vor dem Eingang des Zeltes.

Jeden Morgen ergriff der Targi sein Gewehr, kletterte auf den Rücken des langbeinigen mehari[6] und ritt in eine der vier Himmelsrichtungen davon, um nach Wild Ausschau zu halten.

Gacel liebte sein Kamel, wie nur ein Mann der Wüste ein Tier zu lieben vermag, von dem oft sein Leben abhängt. Heimlich, wenn ihn niemand hören konnte, redete er mit dem Kamel, als könnte es ihn verstehen. Er nannte es r'orab, den Raben, und spottete auf diese Weise über das besonders helle Fell, das oftmals kaum vom Wüstensand zu unterscheiden war, so daß das Tier vor dem Hintergrund einer hohen Düne fast unsichtbar war.

Diesseits von Tamanrasset gab es kein schnelleres und ausdauernderes Mehari. Ein reicher Kaufmann, Herr über eine Karawane von mehr als dreihundert Tieren, hatte Gacel einmal fünf Kamele für das Mehari geboten, aber Gacel war nicht darauf eingegangen. Er wußte, daß R'Orab das einzige Kamel der Welt war, das ihn in der sogar finstersten Nacht zu seinem Zeltlager zurückbringen konnte, falls ihm eines Tages bei einem seiner einsamen Streifzüge etwas zustoßen sollte. Häufig schlief er ein, vom schaukelnden Gang des Tieres gewiegt und von Müdigkeit übermannt, und mehr als einmal geschah es, daß seine Familie ihm am Eingang seiner khaima aus dem Sattel half und ihn zu seinem Schlaflager geleitete.

Die Franzosen behaupteten, Kamele seien dumme, grausame und rachsüchtige Tiere, deren Gehorsam man durch Schreie und Schläge erzwingen müsse, doch ein echter amahar wußte, daß ein gutes Wüstenkamel, besonders ein reinrassiges, bestens gepflegtes und abgerichtetes Mehari, so treu und klug wie ein Hund sein konnte, aber natürlich tausendmal nützlicher in dieser Landschaft aus Sand und Wind.

Das ganze Jahr über behandelten die Franzosen alle Kamele gleich, ohne zu begreifen, daß die Tiere in den Monaten der Brunft reizbar und gefährlich werden konnten, besonders wenn die Hitze mit den Ostwinden zunahm. Deshalb wurden die Franzosen in der Wüste nie gute Reiter, und deshalb gelang es ihnen nie, die Tuareg zu beherrschen, sondern sie wurden von diesen in den Jahren der Kämpfe und Fehden immer wieder besiegt, obwohl sie in der Überzahl und besser bewaffnet waren.

Später gelang es dann den Franzosen, die Oasen und Brunnen unter ihre Kontrolle zu bringen. Sie verschanzten sich mit ihren Kanonen und Maschinengewehren an den wenigen Wasserstellen im flachen Land. Die »Söhne des Windes«, jene freien, unbezähmbaren Reiter, mußten sich vor etwas beugen, das seit Anbeginn der Zeiten ihr ärgster Feind gewesen war: der Durst.

Aber die Franzosen empfanden keinen Stolz, die »Männer mit dem Schleier« besiegt zu haben, denn in Wirklichkeit gelang es ihnen nicht, sie in einem offenen Krieg niederzuzwingen. Weder Schwarze aus dem Senegal noch Lastwagen oder gar Panzer vermochten etwas in einer Wüste auszurichten, die von einem Ende bis zum anderen von den Tuareg mit ihren Meharis beherrscht wurde.

Die Tuareg waren nicht sehr zahlreich und lebten zudem weit verstreut, wohingegen die Soldaten aus der Hauptstadt oder aus anderen Kolonien wie Heuschreckenschwärme einfielen. Eines Tages war es soweit, daß in der Sahara kein Kamel, kein Mann, keine Frau und kein Kind an einem Brunnen trinken konnte, ohne die Franzosen um Erlaubnis zu fragen.

An jenem Tag legten die imohar die Waffen nieder, weil sie nicht mitansehen konnten, wie ihre Familien zugrunde gingen. Von da an waren sie dazu verurteilt, in Vergessenheit zu geraten. Sie waren nun ein Volk ohne Daseinsberechtigung, denn man hatte ihnen die Grundlagen ihrer Existenz entzogen: Freiheit und Kampf.

Aber noch lebten hier und dort einzelne Familien wie diejenige von Gacel. Sie hausten irgendwo in den Weiten der Wüste, doch ihnen gehörten nicht mehr Scharen von stolzen, hochmütigen Kriegern an, sondern es gab nur noch Männer, die in ihrem Inneren aufbegehrten und im übrigen die Gewißheit hatten, daß sie nie wieder die gefürchteten Männer des Schleiers, des Schwertes und der Lanze sein würden.

Dennoch waren die imohar auch weiterhin die Herren der Wüste, von der hammada bis zum erg[7] oder zu den windgepeitschten, hohen Bergen. Die echte Wüste bestand nämlich nicht aus den spärlichen Oasen und Brunnen, sondern aus Tausenden von Quadratkilometern in ihrem Umkreis. Fernab der Wasserstellen gab es keine Franzosen, keine senegalesischen Askaris, ja nicht einmal Beduinen, denn da diese die Sandwüsten und steinigen Ebenen nicht kannten, hielten sie sich an die Karawanenwege, die von Oase zu Oase, von einer menschlichen Siedlung zur nächsten führten. Die Beduinen fürchteten die unermeßliche Weite dieses Landes.

Einzig die Tuareg, und ganz besonders die Einzelgänger unter ihnen, wagten sich ohne Furcht ins »Land der Leere«, das auf den Landkarten als weißer Fleck verzeichnet war. An heißen Tagen herrschte dort mittags eine Temperatur, die das Blut zum Kochen brachte. Hier gediehen nicht einmal die zähesten aller Dornenbüsche, und sogar die Zugvögel flogen in großer Höhe über dieses Gebiet hinweg.

Gacel hatte in seinem Leben schon zweimal einen solchen weißen Fleck, ein »Land der Leere« durchquert. Das erste Mal war es ein Tapferkeitsbeweis gewesen. Er wollte zeigen, daß er ein würdiger Nachfahre des legendären Turki war. Das zweite Mal — er war inzwischen ein erwachsener Mann — ging es ihm darum, sich selbst zu beweisen, daß er noch immer derselbe Gacel war, der in jungen Jahren sein Leben riskiert hatte.

Die Wüste aus Sand, Sonne und Hitze, dieser trostlose, den Geist verwirrende Ofen, übte auf Gacel eine seltsame Faszination aus. Ihrem Zauber war er eines Abends vor vielen Jahren erlegen, als er im Schein des Feuers zum ersten Mal von der Großen Karawane hatte reden hören: Siebenhundert Männer und zweitausend Kamele waren von einem »weißen Fleck« verschluckt worden, und nie wieder hatte man eine Spur von Mensch und Tier gefunden.

Diese Karawane, die als die größte galt, die jemals von den reichen haussa-Kaufleuten[8] zusammengestellt worden war, hatte sich auf dem Weg von Gao nach Tripoli befunden. Sie wurde geführt von den erfahrensten Kennern der Wüste.

Ausgewählte Meharis trugen auf ihren Rücken ein wahres Vermögen an Elfenbein, Ebenholz, Gold und Edelsteinen.

Ein Onkel zweiten Grades, nach dem Gacel benannt worden war, bewachte damals mit seinen Männern die Karawane. Auch er verschwand für immer, als hätte er nie existiert oder als wäre er nur eine Erscheinung in einem Traum gewesen.

In den Jahren danach wagten viele Männer das unsinnige Abenteuer, nach der verschollenen Karawane zu suchen, getrieben von der eitlen Hoffnung, in den Besitz von Reichtümern zu gelangen, die nach dem Buchstaben des Gesetzes dem gehörten, der sie dem Wüstensand entreißen konnte. Doch der Sand wahrte sein Geheimnis; er konnte alles zudecken und Städte, Festungen, Oasen, Männer und Kamele unter sich begraben. Von den Armen seines Verbündeten, des Windes, getragen, kam er mit unerwarteter Wucht daher und senkte sich über die Reisenden in der Wüste, deckte sie zu und verwandelte sie in eine der zahllosen Dünen des erg.

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6

mehari — Reitkamel, meist mit hellem Fell; gemeint ist das einhöckerige Kamel oder Dromedar, das in Nordafrika und Südwestasien vorkommt. Pluraclass="underline" mehara

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7

erg — Sandwüste (mit oder ohne Dünen)

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8

haussa — westafrikanische, islamisierte Bevölkerungsgruppe